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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zwei Briefe Lassalles.

unermüdlich und mit immer gleichem Ernste auf deu offnen Abgrund hinge¬
wiesen, der sich zwischen dem Kapital und den besitzlosen Massen aufthue und
stetig erweitere, und er hatte von der Regierung und von der Geistes- und
Geldaristokratie rettende Thaten gefordert. Aber er hatte lange Zeit umsonst
gerufen, und erst als die in den sechziger Jahren beginnende Organisation des
Arbeiterstandes, die in zahlreichen Strikes zu tage trat, und das Auftreten einer
sozialdemokratischen Partei die allgemeine Aufmerksamkeit auf die sozialen Fragen
lenkte, erinnerten sich viele Politiker, denen Hubers Mahnungen seither sehr
uninteressant gewesen und die ihnen möglichst aus dem Wege gegangen waren,
daran, daß er schon immer von solchen Dingen gesprochen habe, und sie fingen
jetzt an, uach seiner Meinung zu fragen und seineu Beistand zu begehren. In den
literanschen Kämpfen, welche zwischen Schulze-Delitzsch und Lassalle und ihren
beiderseitigen Anhängern entbrannten, wurde nicht selten auch Hubers Ausspruch
provozirt, und jede Partei schien Wert darauf zu legen, daß er sich für sie
erkläre. Huber aber säumte nicht, in seiner herben und derben Art nach jeder
Seite hin kräftige Hiebe auszuteilen und viel mehr das, was ihn von jeder Seite
schied, als das, worin er ihr beistimmte, hervorzuheben. In seiner 1863 er¬
schienenen Broschüre "Die Arbeiter und ihre Ratgeber" griff er Schulze an,
weil dieser in rein theoretisirender Weise ohne Rücksicht auf die thatsächlichen
Verhältnisse jede Staatshilfe für die Arbeiter verwarf und die soziale Frage
als Mittel für die Herrschaft der Fortschrittspartei ausbeutete. Dagegen den
maßlosen Angriffen gegenüber, welche Lassalle gegen Schulze erhoben hatte,
verteidigte er diesen und stellte das große Verdienst, welches sich Schulze durch
die Gründung der Genossenschaften erworben hatte, in das rechte Licht. Er
griff Lassalles Lehre, das; ein "ehernes Gesetz" den Arbeiter zum kärglichsten
Lohn verurteile, als große Übertreibung an, und wenn er auch sein schließliches
Ziel, das Aufgehen der Großproduktion in genossenschaftliche Bildungen, nicht
verwerfen wollte, so verwarf er doch sehr entschieden die Mittel, mit denen
Lassalle dies Ziel erreichen wollte. "Der wesentliche Unterschied zwischen uns,
so schrieb er, liegt, wenigstens was die materielle Seite der Sache betrifft, darin,
daß wir jenes Ziel nur auf dem weiten, mühsamen, steilen Wege der friedlichen
Selbsthilfe in langsamer Bewegung Schritt vor Schritt für erreichbar halten,
während Lassalle meint, dasselbe könne und müsse nur mit Hilfe des Staates,
dann aber mit einem Sprung und Griff, erstrebt werden. Aber gerade dieser
Unterschied hinsichtlich des Weges wirkt so entscheidend ans die Sache selbst
zurück, daß wir schon dadurch in die entschiedensten Gegensätze getrieben werden."

Diese Äußerungen wurden die Veranlassung, daß Lassalle, der seither in
keine direkte Berührung mit Huber getreten war, sich brieflich an ihn wandte.
Er schrieb ihm aus Berlin am 26. Juni 1L63:")



Die Briefe sind genau abgedruckt; die zahlreiche" gesperrt gedruckten Wörter sind im
Original unterstrichen.
Zwei Briefe Lassalles.

unermüdlich und mit immer gleichem Ernste auf deu offnen Abgrund hinge¬
wiesen, der sich zwischen dem Kapital und den besitzlosen Massen aufthue und
stetig erweitere, und er hatte von der Regierung und von der Geistes- und
Geldaristokratie rettende Thaten gefordert. Aber er hatte lange Zeit umsonst
gerufen, und erst als die in den sechziger Jahren beginnende Organisation des
Arbeiterstandes, die in zahlreichen Strikes zu tage trat, und das Auftreten einer
sozialdemokratischen Partei die allgemeine Aufmerksamkeit auf die sozialen Fragen
lenkte, erinnerten sich viele Politiker, denen Hubers Mahnungen seither sehr
uninteressant gewesen und die ihnen möglichst aus dem Wege gegangen waren,
daran, daß er schon immer von solchen Dingen gesprochen habe, und sie fingen
jetzt an, uach seiner Meinung zu fragen und seineu Beistand zu begehren. In den
literanschen Kämpfen, welche zwischen Schulze-Delitzsch und Lassalle und ihren
beiderseitigen Anhängern entbrannten, wurde nicht selten auch Hubers Ausspruch
provozirt, und jede Partei schien Wert darauf zu legen, daß er sich für sie
erkläre. Huber aber säumte nicht, in seiner herben und derben Art nach jeder
Seite hin kräftige Hiebe auszuteilen und viel mehr das, was ihn von jeder Seite
schied, als das, worin er ihr beistimmte, hervorzuheben. In seiner 1863 er¬
schienenen Broschüre „Die Arbeiter und ihre Ratgeber" griff er Schulze an,
weil dieser in rein theoretisirender Weise ohne Rücksicht auf die thatsächlichen
Verhältnisse jede Staatshilfe für die Arbeiter verwarf und die soziale Frage
als Mittel für die Herrschaft der Fortschrittspartei ausbeutete. Dagegen den
maßlosen Angriffen gegenüber, welche Lassalle gegen Schulze erhoben hatte,
verteidigte er diesen und stellte das große Verdienst, welches sich Schulze durch
die Gründung der Genossenschaften erworben hatte, in das rechte Licht. Er
griff Lassalles Lehre, das; ein „ehernes Gesetz" den Arbeiter zum kärglichsten
Lohn verurteile, als große Übertreibung an, und wenn er auch sein schließliches
Ziel, das Aufgehen der Großproduktion in genossenschaftliche Bildungen, nicht
verwerfen wollte, so verwarf er doch sehr entschieden die Mittel, mit denen
Lassalle dies Ziel erreichen wollte. „Der wesentliche Unterschied zwischen uns,
so schrieb er, liegt, wenigstens was die materielle Seite der Sache betrifft, darin,
daß wir jenes Ziel nur auf dem weiten, mühsamen, steilen Wege der friedlichen
Selbsthilfe in langsamer Bewegung Schritt vor Schritt für erreichbar halten,
während Lassalle meint, dasselbe könne und müsse nur mit Hilfe des Staates,
dann aber mit einem Sprung und Griff, erstrebt werden. Aber gerade dieser
Unterschied hinsichtlich des Weges wirkt so entscheidend ans die Sache selbst
zurück, daß wir schon dadurch in die entschiedensten Gegensätze getrieben werden."

Diese Äußerungen wurden die Veranlassung, daß Lassalle, der seither in
keine direkte Berührung mit Huber getreten war, sich brieflich an ihn wandte.
Er schrieb ihm aus Berlin am 26. Juni 1L63:")



Die Briefe sind genau abgedruckt; die zahlreiche» gesperrt gedruckten Wörter sind im
Original unterstrichen.
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[0348] Zwei Briefe Lassalles. unermüdlich und mit immer gleichem Ernste auf deu offnen Abgrund hinge¬ wiesen, der sich zwischen dem Kapital und den besitzlosen Massen aufthue und stetig erweitere, und er hatte von der Regierung und von der Geistes- und Geldaristokratie rettende Thaten gefordert. Aber er hatte lange Zeit umsonst gerufen, und erst als die in den sechziger Jahren beginnende Organisation des Arbeiterstandes, die in zahlreichen Strikes zu tage trat, und das Auftreten einer sozialdemokratischen Partei die allgemeine Aufmerksamkeit auf die sozialen Fragen lenkte, erinnerten sich viele Politiker, denen Hubers Mahnungen seither sehr uninteressant gewesen und die ihnen möglichst aus dem Wege gegangen waren, daran, daß er schon immer von solchen Dingen gesprochen habe, und sie fingen jetzt an, uach seiner Meinung zu fragen und seineu Beistand zu begehren. In den literanschen Kämpfen, welche zwischen Schulze-Delitzsch und Lassalle und ihren beiderseitigen Anhängern entbrannten, wurde nicht selten auch Hubers Ausspruch provozirt, und jede Partei schien Wert darauf zu legen, daß er sich für sie erkläre. Huber aber säumte nicht, in seiner herben und derben Art nach jeder Seite hin kräftige Hiebe auszuteilen und viel mehr das, was ihn von jeder Seite schied, als das, worin er ihr beistimmte, hervorzuheben. In seiner 1863 er¬ schienenen Broschüre „Die Arbeiter und ihre Ratgeber" griff er Schulze an, weil dieser in rein theoretisirender Weise ohne Rücksicht auf die thatsächlichen Verhältnisse jede Staatshilfe für die Arbeiter verwarf und die soziale Frage als Mittel für die Herrschaft der Fortschrittspartei ausbeutete. Dagegen den maßlosen Angriffen gegenüber, welche Lassalle gegen Schulze erhoben hatte, verteidigte er diesen und stellte das große Verdienst, welches sich Schulze durch die Gründung der Genossenschaften erworben hatte, in das rechte Licht. Er griff Lassalles Lehre, das; ein „ehernes Gesetz" den Arbeiter zum kärglichsten Lohn verurteile, als große Übertreibung an, und wenn er auch sein schließliches Ziel, das Aufgehen der Großproduktion in genossenschaftliche Bildungen, nicht verwerfen wollte, so verwarf er doch sehr entschieden die Mittel, mit denen Lassalle dies Ziel erreichen wollte. „Der wesentliche Unterschied zwischen uns, so schrieb er, liegt, wenigstens was die materielle Seite der Sache betrifft, darin, daß wir jenes Ziel nur auf dem weiten, mühsamen, steilen Wege der friedlichen Selbsthilfe in langsamer Bewegung Schritt vor Schritt für erreichbar halten, während Lassalle meint, dasselbe könne und müsse nur mit Hilfe des Staates, dann aber mit einem Sprung und Griff, erstrebt werden. Aber gerade dieser Unterschied hinsichtlich des Weges wirkt so entscheidend ans die Sache selbst zurück, daß wir schon dadurch in die entschiedensten Gegensätze getrieben werden." Diese Äußerungen wurden die Veranlassung, daß Lassalle, der seither in keine direkte Berührung mit Huber getreten war, sich brieflich an ihn wandte. Er schrieb ihm aus Berlin am 26. Juni 1L63:") Die Briefe sind genau abgedruckt; die zahlreiche» gesperrt gedruckten Wörter sind im Original unterstrichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/348>, abgerufen am 16.05.2024.