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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Uommilitonen.

Nein, fuhr der Redner fort, der Einfluß dieser wunderthätig wirkenden
Uuiversitätsjahre ist und bleibt maßgebend für das ganze geistige Leben, er
drückt dem klassisch Gebildeten das Gepräge auf, er reiht ihn nach beendigter
Studienzeit zwar den "alten Herren," aber nicht den Philistern ein; mir "alter
Herr" ist der durch den Verlauf der Zeit Promovirte, er bleibt aber immer
akademischer Bürger, wie Sie alle heute bei der Tafel fröhlich einstimmten in
die Worte:


Miichte nie auf Erden
Etwas andres werden,
Als ein kreuzfideler Studio.

Die BeifaUsbezeugungen wiederholten sich, worauf der Redner wieder begann:
Philister sind nur diejenigen, die entweder nie eigentliche Burschen gewesen sind
oder die den Burschen ausgezogen haben. Bei den echten Burschen wirkt der
geheimnisvolle Zauber der akademischen Weihe fort, wie der Dichter von denen
sagt, die einst zu Bologna studirten:


Aber sie bleiben geweiht mit dem Nardenblc der Jugend
Wie zur ewigen Lust, und sie prangen in blühender Myrte,
Ob auch der Scheitel ergraut in der Dürre des Ernsts und der Würden.

Wieder hielt er an, um die durch dichterischen Aufschwung gehobene Stim¬
mung, die sich auch in seinem Gesichtsausdruck kundgab, einzudämmen und zu
der Ruhe sachgemäßer Behandlung zurückzukehren. Des Ernstes und der Würde,
heißt es! nahm er die Rede auf, und damit sind die obersten Pflichtcngebicte
gemeint, in die der Exmatrikulirte eintritt: die Pflichten gegen sich selbst, gegen
die Familie, die Gemeinde, den Staat.

Der Redner ging nun diese Gebiete einzeln durch, schilderte ihren Zu¬
sammenhang, ihr Jneinandergreifen, ihren Widerstreit und dessen Losung --
nue kunstvoll rednerische Leistung, die ihm reiche Anerkennung von der Lchrcr-
dank her eintrug.

Die einzelnen Thatsachen, die er dabei vorbrachte und denen die Erfah¬
rungen seines Lebens, und besouders die heute gemachte" Wahrnehmungen zu
gründe lagen, machten sichtlich einen tiefen Eindruck auf die Versammelten;
jeder hörte etwas heraus, was ihn betraf, jeder fühlte sich gemeint.

Dieser Widerstreit der Pflichten -- fuhr der Redner fort -- und seine
richtige Lösung bildet den Inhalt des Lebens der Hochgebildeten gegenüber
dem pol-nun vu1gu8, den Ungeschulten und den Halbgebildeten; und uus,
Kommilitonen, ist in diesem Kampfe ein Führeramt gegeben: ?08ownr!

Diesem Absätze gab er eine ganz besondre, der Wichtigkeit desselben ange¬
messene Betonung. Dann sprach er weiter: Jeder in seinem Kreise, jeder nach
seiner Kraft und seinem Einfluß. Die Losung ist: Hingebung an die Sache,
der Schild: ehrliche Gesinnung, die Waffen: alle die Mittel an Geist und


Die Uommilitonen.

Nein, fuhr der Redner fort, der Einfluß dieser wunderthätig wirkenden
Uuiversitätsjahre ist und bleibt maßgebend für das ganze geistige Leben, er
drückt dem klassisch Gebildeten das Gepräge auf, er reiht ihn nach beendigter
Studienzeit zwar den „alten Herren," aber nicht den Philistern ein; mir „alter
Herr" ist der durch den Verlauf der Zeit Promovirte, er bleibt aber immer
akademischer Bürger, wie Sie alle heute bei der Tafel fröhlich einstimmten in
die Worte:


Miichte nie auf Erden
Etwas andres werden,
Als ein kreuzfideler Studio.

Die BeifaUsbezeugungen wiederholten sich, worauf der Redner wieder begann:
Philister sind nur diejenigen, die entweder nie eigentliche Burschen gewesen sind
oder die den Burschen ausgezogen haben. Bei den echten Burschen wirkt der
geheimnisvolle Zauber der akademischen Weihe fort, wie der Dichter von denen
sagt, die einst zu Bologna studirten:


Aber sie bleiben geweiht mit dem Nardenblc der Jugend
Wie zur ewigen Lust, und sie prangen in blühender Myrte,
Ob auch der Scheitel ergraut in der Dürre des Ernsts und der Würden.

Wieder hielt er an, um die durch dichterischen Aufschwung gehobene Stim¬
mung, die sich auch in seinem Gesichtsausdruck kundgab, einzudämmen und zu
der Ruhe sachgemäßer Behandlung zurückzukehren. Des Ernstes und der Würde,
heißt es! nahm er die Rede auf, und damit sind die obersten Pflichtcngebicte
gemeint, in die der Exmatrikulirte eintritt: die Pflichten gegen sich selbst, gegen
die Familie, die Gemeinde, den Staat.

Der Redner ging nun diese Gebiete einzeln durch, schilderte ihren Zu¬
sammenhang, ihr Jneinandergreifen, ihren Widerstreit und dessen Losung —
nue kunstvoll rednerische Leistung, die ihm reiche Anerkennung von der Lchrcr-
dank her eintrug.

Die einzelnen Thatsachen, die er dabei vorbrachte und denen die Erfah¬
rungen seines Lebens, und besouders die heute gemachte« Wahrnehmungen zu
gründe lagen, machten sichtlich einen tiefen Eindruck auf die Versammelten;
jeder hörte etwas heraus, was ihn betraf, jeder fühlte sich gemeint.

Dieser Widerstreit der Pflichten — fuhr der Redner fort — und seine
richtige Lösung bildet den Inhalt des Lebens der Hochgebildeten gegenüber
dem pol-nun vu1gu8, den Ungeschulten und den Halbgebildeten; und uus,
Kommilitonen, ist in diesem Kampfe ein Führeramt gegeben: ?08ownr!

Diesem Absätze gab er eine ganz besondre, der Wichtigkeit desselben ange¬
messene Betonung. Dann sprach er weiter: Jeder in seinem Kreise, jeder nach
seiner Kraft und seinem Einfluß. Die Losung ist: Hingebung an die Sache,
der Schild: ehrliche Gesinnung, die Waffen: alle die Mittel an Geist und


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[0431] Die Uommilitonen. Nein, fuhr der Redner fort, der Einfluß dieser wunderthätig wirkenden Uuiversitätsjahre ist und bleibt maßgebend für das ganze geistige Leben, er drückt dem klassisch Gebildeten das Gepräge auf, er reiht ihn nach beendigter Studienzeit zwar den „alten Herren," aber nicht den Philistern ein; mir „alter Herr" ist der durch den Verlauf der Zeit Promovirte, er bleibt aber immer akademischer Bürger, wie Sie alle heute bei der Tafel fröhlich einstimmten in die Worte: Miichte nie auf Erden Etwas andres werden, Als ein kreuzfideler Studio. Die BeifaUsbezeugungen wiederholten sich, worauf der Redner wieder begann: Philister sind nur diejenigen, die entweder nie eigentliche Burschen gewesen sind oder die den Burschen ausgezogen haben. Bei den echten Burschen wirkt der geheimnisvolle Zauber der akademischen Weihe fort, wie der Dichter von denen sagt, die einst zu Bologna studirten: Aber sie bleiben geweiht mit dem Nardenblc der Jugend Wie zur ewigen Lust, und sie prangen in blühender Myrte, Ob auch der Scheitel ergraut in der Dürre des Ernsts und der Würden. Wieder hielt er an, um die durch dichterischen Aufschwung gehobene Stim¬ mung, die sich auch in seinem Gesichtsausdruck kundgab, einzudämmen und zu der Ruhe sachgemäßer Behandlung zurückzukehren. Des Ernstes und der Würde, heißt es! nahm er die Rede auf, und damit sind die obersten Pflichtcngebicte gemeint, in die der Exmatrikulirte eintritt: die Pflichten gegen sich selbst, gegen die Familie, die Gemeinde, den Staat. Der Redner ging nun diese Gebiete einzeln durch, schilderte ihren Zu¬ sammenhang, ihr Jneinandergreifen, ihren Widerstreit und dessen Losung — nue kunstvoll rednerische Leistung, die ihm reiche Anerkennung von der Lchrcr- dank her eintrug. Die einzelnen Thatsachen, die er dabei vorbrachte und denen die Erfah¬ rungen seines Lebens, und besouders die heute gemachte« Wahrnehmungen zu gründe lagen, machten sichtlich einen tiefen Eindruck auf die Versammelten; jeder hörte etwas heraus, was ihn betraf, jeder fühlte sich gemeint. Dieser Widerstreit der Pflichten — fuhr der Redner fort — und seine richtige Lösung bildet den Inhalt des Lebens der Hochgebildeten gegenüber dem pol-nun vu1gu8, den Ungeschulten und den Halbgebildeten; und uus, Kommilitonen, ist in diesem Kampfe ein Führeramt gegeben: ?08ownr! Diesem Absätze gab er eine ganz besondre, der Wichtigkeit desselben ange¬ messene Betonung. Dann sprach er weiter: Jeder in seinem Kreise, jeder nach seiner Kraft und seinem Einfluß. Die Losung ist: Hingebung an die Sache, der Schild: ehrliche Gesinnung, die Waffen: alle die Mittel an Geist und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/431>, abgerufen am 21.05.2024.