Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Gemüt, mit denen uns Haus und Schule, Fach- und Lebensweisheit ausge-
rüstet haben. Die Wege können auseinandergehen, Parteien können und müssen
sich bilden je nach der Auffassung, die durch verschiedene Verhältnisse beeinflußt,
verschiedenartig sein wird. Die Grundsätze aber stehen fest, die Grundsätze des
Schönen, Wahren und Guten; diese drei Ideale bleiben unser Ziel. Und in
dem Streben nach diesem Ziele haben wir fortgearbeitet im Anschluß an unsre
Vorfahren, die einstigen Kommilitonen, deren Gedankenarbeit wir fortsetzen.
Wir fühlen uns als ihre Erben und werden, wo wir die Erbschaft überblicken,
von Dank erfüllt, zugleich aber werdeu wir uns bewußt, daß auch wir durch
sie tüchtig gemacht, das Erbe wacker verwaltet und bereichert unsern Erben
überlassen. Denn Bildung ist ein die Zeiten dnrchdaueruder Garten, er kräftigt
und füllt sich im Laufe der Jahrhunderte immer man. Mögen die, die uns
folgen, die Arbeit, die wir begonnen, weiter und zu Eude führen, mögen sie
die Zeitfragen lösen, die wir ungelöst zurücklassen. Wir Ältern haben in den
Morgenstürmen großer Zeitereignisse gestanden, mögen unsre Nachfolger des
Sonnenscheins beruhigterer Zeitläufte und ihres Segens genießen, dann wird
der Ernteertrag der nächsten fünfzig Jahre unsre Erfolge übertreffen, wie wir
mit den unsrigen die Früchte übertroffen haben, die vor fünfzig Jahren gezeitigt
worden sind. Dies dürfen wir heute ohne Überhebung sagen, wo wir unsern
letzten Wunsch euch und den zukünftigen Kommilitonen verkünden.

Er machte eine kleine Pause, um der hoch gehobenen Stimme Erholung zu
gönnen, dann sagte er sanft: Kommilitonen! Wir gehen auseinander, und nur
die Wenigsten von uns werden das nächste Fest, das Fest der hundertjährigen
Jubelfeier erleben. Es kommt ein letztes ?oMiin,ur! Darum Wollen wir uns
der frohen Stunde ganz hingeben in Liebe und Freundschaft und mit so jugend¬
lichem Herzen wie damals, als wir Abiturienten waren! Weg mit dem Nieder¬
schlage, den das Getriebe der Welt in unserm Innern zurückgelassen, hier, am
Busen der ^Inn irultvr, wird Herz und Auge klar, hier suhlen wir uns alle
frug und gut!

So sprach und schloß der "blasse Heinrich."

Ist schon ein Bild oder ein Musikstück nicht zu beschreibe", so läßt sich
vollends das Meisterstück des Redners, das gehört und -- gesehen sein will,
nicht annähernd durch Worte wiedergeben, und strengte auch der kühnste Epiker
jeine Darstellungkraft an.


Gleicht der Dichtende doch dein Hochlands-Felsengesteinc,
Das zuthal dem Schützen den Hall des Schusses zurückschickt
Matt im luftigen Hauche mit Echos zärtlicher Stimme.
So tönt schwächer das Lied des nncherzählcndell Dichters
Als der dröhnende Schall der übergewaltigen Großthat,
Die er nur wiedergehallt.

Die Festversammlung war nach den letzten Worten des Vortmgs von einer


Gemüt, mit denen uns Haus und Schule, Fach- und Lebensweisheit ausge-
rüstet haben. Die Wege können auseinandergehen, Parteien können und müssen
sich bilden je nach der Auffassung, die durch verschiedene Verhältnisse beeinflußt,
verschiedenartig sein wird. Die Grundsätze aber stehen fest, die Grundsätze des
Schönen, Wahren und Guten; diese drei Ideale bleiben unser Ziel. Und in
dem Streben nach diesem Ziele haben wir fortgearbeitet im Anschluß an unsre
Vorfahren, die einstigen Kommilitonen, deren Gedankenarbeit wir fortsetzen.
Wir fühlen uns als ihre Erben und werden, wo wir die Erbschaft überblicken,
von Dank erfüllt, zugleich aber werdeu wir uns bewußt, daß auch wir durch
sie tüchtig gemacht, das Erbe wacker verwaltet und bereichert unsern Erben
überlassen. Denn Bildung ist ein die Zeiten dnrchdaueruder Garten, er kräftigt
und füllt sich im Laufe der Jahrhunderte immer man. Mögen die, die uns
folgen, die Arbeit, die wir begonnen, weiter und zu Eude führen, mögen sie
die Zeitfragen lösen, die wir ungelöst zurücklassen. Wir Ältern haben in den
Morgenstürmen großer Zeitereignisse gestanden, mögen unsre Nachfolger des
Sonnenscheins beruhigterer Zeitläufte und ihres Segens genießen, dann wird
der Ernteertrag der nächsten fünfzig Jahre unsre Erfolge übertreffen, wie wir
mit den unsrigen die Früchte übertroffen haben, die vor fünfzig Jahren gezeitigt
worden sind. Dies dürfen wir heute ohne Überhebung sagen, wo wir unsern
letzten Wunsch euch und den zukünftigen Kommilitonen verkünden.

Er machte eine kleine Pause, um der hoch gehobenen Stimme Erholung zu
gönnen, dann sagte er sanft: Kommilitonen! Wir gehen auseinander, und nur
die Wenigsten von uns werden das nächste Fest, das Fest der hundertjährigen
Jubelfeier erleben. Es kommt ein letztes ?oMiin,ur! Darum Wollen wir uns
der frohen Stunde ganz hingeben in Liebe und Freundschaft und mit so jugend¬
lichem Herzen wie damals, als wir Abiturienten waren! Weg mit dem Nieder¬
schlage, den das Getriebe der Welt in unserm Innern zurückgelassen, hier, am
Busen der ^Inn irultvr, wird Herz und Auge klar, hier suhlen wir uns alle
frug und gut!

So sprach und schloß der „blasse Heinrich."

Ist schon ein Bild oder ein Musikstück nicht zu beschreibe«, so läßt sich
vollends das Meisterstück des Redners, das gehört und — gesehen sein will,
nicht annähernd durch Worte wiedergeben, und strengte auch der kühnste Epiker
jeine Darstellungkraft an.


Gleicht der Dichtende doch dein Hochlands-Felsengesteinc,
Das zuthal dem Schützen den Hall des Schusses zurückschickt
Matt im luftigen Hauche mit Echos zärtlicher Stimme.
So tönt schwächer das Lied des nncherzählcndell Dichters
Als der dröhnende Schall der übergewaltigen Großthat,
Die er nur wiedergehallt.

Die Festversammlung war nach den letzten Worten des Vortmgs von einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195108"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1540" prev="#ID_1539"> Gemüt, mit denen uns Haus und Schule, Fach- und Lebensweisheit ausge-<lb/>
rüstet haben. Die Wege können auseinandergehen, Parteien können und müssen<lb/>
sich bilden je nach der Auffassung, die durch verschiedene Verhältnisse beeinflußt,<lb/>
verschiedenartig sein wird. Die Grundsätze aber stehen fest, die Grundsätze des<lb/>
Schönen, Wahren und Guten; diese drei Ideale bleiben unser Ziel. Und in<lb/>
dem Streben nach diesem Ziele haben wir fortgearbeitet im Anschluß an unsre<lb/>
Vorfahren, die einstigen Kommilitonen, deren Gedankenarbeit wir fortsetzen.<lb/>
Wir fühlen uns als ihre Erben und werden, wo wir die Erbschaft überblicken,<lb/>
von Dank erfüllt, zugleich aber werdeu wir uns bewußt, daß auch wir durch<lb/>
sie tüchtig gemacht, das Erbe wacker verwaltet und bereichert unsern Erben<lb/>
überlassen. Denn Bildung ist ein die Zeiten dnrchdaueruder Garten, er kräftigt<lb/>
und füllt sich im Laufe der Jahrhunderte immer man. Mögen die, die uns<lb/>
folgen, die Arbeit, die wir begonnen, weiter und zu Eude führen, mögen sie<lb/>
die Zeitfragen lösen, die wir ungelöst zurücklassen. Wir Ältern haben in den<lb/>
Morgenstürmen großer Zeitereignisse gestanden, mögen unsre Nachfolger des<lb/>
Sonnenscheins beruhigterer Zeitläufte und ihres Segens genießen, dann wird<lb/>
der Ernteertrag der nächsten fünfzig Jahre unsre Erfolge übertreffen, wie wir<lb/>
mit den unsrigen die Früchte übertroffen haben, die vor fünfzig Jahren gezeitigt<lb/>
worden sind. Dies dürfen wir heute ohne Überhebung sagen, wo wir unsern<lb/>
letzten Wunsch euch und den zukünftigen Kommilitonen verkünden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1541"> Er machte eine kleine Pause, um der hoch gehobenen Stimme Erholung zu<lb/>
gönnen, dann sagte er sanft: Kommilitonen! Wir gehen auseinander, und nur<lb/>
die Wenigsten von uns werden das nächste Fest, das Fest der hundertjährigen<lb/>
Jubelfeier erleben. Es kommt ein letztes ?oMiin,ur! Darum Wollen wir uns<lb/>
der frohen Stunde ganz hingeben in Liebe und Freundschaft und mit so jugend¬<lb/>
lichem Herzen wie damals, als wir Abiturienten waren! Weg mit dem Nieder¬<lb/>
schlage, den das Getriebe der Welt in unserm Innern zurückgelassen, hier, am<lb/>
Busen der ^Inn irultvr, wird Herz und Auge klar, hier suhlen wir uns alle<lb/>
frug und gut!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1542"> So sprach und schloß der &#x201E;blasse Heinrich."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1543"> Ist schon ein Bild oder ein Musikstück nicht zu beschreibe«, so läßt sich<lb/>
vollends das Meisterstück des Redners, das gehört und &#x2014; gesehen sein will,<lb/>
nicht annähernd durch Worte wiedergeben, und strengte auch der kühnste Epiker<lb/>
jeine Darstellungkraft an.</p><lb/>
          <quote> Gleicht der Dichtende doch dein Hochlands-Felsengesteinc,<lb/>
Das zuthal dem Schützen den Hall des Schusses zurückschickt<lb/>
Matt im luftigen Hauche mit Echos zärtlicher Stimme.<lb/>
So tönt schwächer das Lied des nncherzählcndell Dichters<lb/>
Als der dröhnende Schall der übergewaltigen Großthat,<lb/>
Die er nur wiedergehallt.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1544" next="#ID_1545"> Die Festversammlung war nach den letzten Worten des Vortmgs von einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] Gemüt, mit denen uns Haus und Schule, Fach- und Lebensweisheit ausge- rüstet haben. Die Wege können auseinandergehen, Parteien können und müssen sich bilden je nach der Auffassung, die durch verschiedene Verhältnisse beeinflußt, verschiedenartig sein wird. Die Grundsätze aber stehen fest, die Grundsätze des Schönen, Wahren und Guten; diese drei Ideale bleiben unser Ziel. Und in dem Streben nach diesem Ziele haben wir fortgearbeitet im Anschluß an unsre Vorfahren, die einstigen Kommilitonen, deren Gedankenarbeit wir fortsetzen. Wir fühlen uns als ihre Erben und werden, wo wir die Erbschaft überblicken, von Dank erfüllt, zugleich aber werdeu wir uns bewußt, daß auch wir durch sie tüchtig gemacht, das Erbe wacker verwaltet und bereichert unsern Erben überlassen. Denn Bildung ist ein die Zeiten dnrchdaueruder Garten, er kräftigt und füllt sich im Laufe der Jahrhunderte immer man. Mögen die, die uns folgen, die Arbeit, die wir begonnen, weiter und zu Eude führen, mögen sie die Zeitfragen lösen, die wir ungelöst zurücklassen. Wir Ältern haben in den Morgenstürmen großer Zeitereignisse gestanden, mögen unsre Nachfolger des Sonnenscheins beruhigterer Zeitläufte und ihres Segens genießen, dann wird der Ernteertrag der nächsten fünfzig Jahre unsre Erfolge übertreffen, wie wir mit den unsrigen die Früchte übertroffen haben, die vor fünfzig Jahren gezeitigt worden sind. Dies dürfen wir heute ohne Überhebung sagen, wo wir unsern letzten Wunsch euch und den zukünftigen Kommilitonen verkünden. Er machte eine kleine Pause, um der hoch gehobenen Stimme Erholung zu gönnen, dann sagte er sanft: Kommilitonen! Wir gehen auseinander, und nur die Wenigsten von uns werden das nächste Fest, das Fest der hundertjährigen Jubelfeier erleben. Es kommt ein letztes ?oMiin,ur! Darum Wollen wir uns der frohen Stunde ganz hingeben in Liebe und Freundschaft und mit so jugend¬ lichem Herzen wie damals, als wir Abiturienten waren! Weg mit dem Nieder¬ schlage, den das Getriebe der Welt in unserm Innern zurückgelassen, hier, am Busen der ^Inn irultvr, wird Herz und Auge klar, hier suhlen wir uns alle frug und gut! So sprach und schloß der „blasse Heinrich." Ist schon ein Bild oder ein Musikstück nicht zu beschreibe«, so läßt sich vollends das Meisterstück des Redners, das gehört und — gesehen sein will, nicht annähernd durch Worte wiedergeben, und strengte auch der kühnste Epiker jeine Darstellungkraft an. Gleicht der Dichtende doch dein Hochlands-Felsengesteinc, Das zuthal dem Schützen den Hall des Schusses zurückschickt Matt im luftigen Hauche mit Echos zärtlicher Stimme. So tönt schwächer das Lied des nncherzählcndell Dichters Als der dröhnende Schall der übergewaltigen Großthat, Die er nur wiedergehallt. Die Festversammlung war nach den letzten Worten des Vortmgs von einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/432>, abgerufen am 15.06.2024.