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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Vereinfachung der Schwurgerichte.

der rechtsgelehrten Richter) in Beratung zu treten hat und ohne Angabe von
Gründen über den von den Geschworenen zum Nachteile des Angeklagten fest¬
gestellten Punkt entscheidet.

Von den fortschrittlichen und sonstigen Oppositionsblättern wird der Gesetz¬
entwurf als eine reaktionäre Maßregel äußerster Gattung augegriffen und das
Volk zur Verteidigung seiner Freiheit gegen diesen hinterlistigen Überfall auf¬
gerufen. Es wird ausgeführt, daß die Haupttendenz des Entwurfs eine Herab-
drückung des Geschworenengerichts seiner juristischen und moralische" Bedeutung
nach sei, daß die Selbständigkeit und das Selbstbewußtsein des Einzelnen in
dem Maße vermindert werde, wie der Einfluß zunächst des Obmannes und dann
haupsächlich der des gelehrten Richterkollegiums steige, daß durch die Herabsetzung
der Zahl der Geschworenen diese ans ihrer Stellung als gleichberechtigter Faktor
gegenüber dem (aus drei Mitgliedern bestehenden) rechtsgelehrten Richterkollegium
verdrängt würden, und daß die Bestimmung, der zufolge bei Entscheidung der
Schuldfrage zum Nachteile des Angeklagten der Gerichtshof noch einmal selb¬
ständig über die Schuldfrage entscheiden solle, eine "geradezu ungeheuerliche"
sei, weil er das Prinzip, auf dem die Schwurgerichtsbarkeit aller Staaten be¬
ruhe, vollständig durchbreche. Schon an und für sich im Interesse des An¬
sehens der Geschwvrenenbank müsse das Hinübergreifen der Wirksamkeit des
Gerichtshofes in die Sphäre der Geschworenen bekämpft werden, es müsse dies
aber auch ans praktischen Erwägungen geschehen. Es liege ans der Hand und
sei dnrch die Erfahrung vielfach bestätigt worden (?), daß, falls die Richter
eine derartige Mitwirkung ausüben, die Geschworenen die Verantwortlichkeit
von sich abzuwälzen suchen, sie verurteilten in zweifelhaften Fällen, sodaß das
Richtcrkollegium die schließlich? Entscheidung in der Hand habe und die Ge¬
schworenen jeder eigentlichen Verantwortlichkeit überhoben seien. Keine Partei,
die das Interesse des Volkes vertrete oder vertreten wolle, werde es wagen,
für ein Gesetz einzutreten, das bestimmt sei, den Einfluß des Laienelements auf
die Rechtsprechung zu brechen.

Es ist in diesen Blättern die Widersinnigkeit, Gefährlichkeit und Unbrauch-
barkeit des ganzen Geschworcneninstitnts schon früher so schlagend nachgewiesen
und gezeigt worden, welch völlig andre Motive als diejenigen einer geord¬
neten unparteiischen Rechtspflege dem Verlangen nach Beibehaltung dieser Ein¬
richtung bei einer großen Zahl der lautesten Schreier für dasselbe zugrunde
liegen, daß es nicht erforderlich ist, diese Darlegung hier zu wiederholen. Wenn
Wir aber auch von diesem prinzipiellen Standpunkte absehen und uns auf den
des Bestandes dieses unglücklichen Instituts stellen, so ist in keiner Weise zu
erkennen, inwiefern die vorgeschlagenen Änderungen die von der Opposition er¬
hobenen Einwendungen rechtfertigen könnten. Es ist weder gezeigt, warum das
Selbstbewußtsein oder die Selbständigkeit eines Geschworenen leiden sollte, wenn
er in einer Vereinigung von sechs statt von zwölf Personen zu urteilen hat;


Die Vereinfachung der Schwurgerichte.

der rechtsgelehrten Richter) in Beratung zu treten hat und ohne Angabe von
Gründen über den von den Geschworenen zum Nachteile des Angeklagten fest¬
gestellten Punkt entscheidet.

Von den fortschrittlichen und sonstigen Oppositionsblättern wird der Gesetz¬
entwurf als eine reaktionäre Maßregel äußerster Gattung augegriffen und das
Volk zur Verteidigung seiner Freiheit gegen diesen hinterlistigen Überfall auf¬
gerufen. Es wird ausgeführt, daß die Haupttendenz des Entwurfs eine Herab-
drückung des Geschworenengerichts seiner juristischen und moralische» Bedeutung
nach sei, daß die Selbständigkeit und das Selbstbewußtsein des Einzelnen in
dem Maße vermindert werde, wie der Einfluß zunächst des Obmannes und dann
haupsächlich der des gelehrten Richterkollegiums steige, daß durch die Herabsetzung
der Zahl der Geschworenen diese ans ihrer Stellung als gleichberechtigter Faktor
gegenüber dem (aus drei Mitgliedern bestehenden) rechtsgelehrten Richterkollegium
verdrängt würden, und daß die Bestimmung, der zufolge bei Entscheidung der
Schuldfrage zum Nachteile des Angeklagten der Gerichtshof noch einmal selb¬
ständig über die Schuldfrage entscheiden solle, eine „geradezu ungeheuerliche"
sei, weil er das Prinzip, auf dem die Schwurgerichtsbarkeit aller Staaten be¬
ruhe, vollständig durchbreche. Schon an und für sich im Interesse des An¬
sehens der Geschwvrenenbank müsse das Hinübergreifen der Wirksamkeit des
Gerichtshofes in die Sphäre der Geschworenen bekämpft werden, es müsse dies
aber auch ans praktischen Erwägungen geschehen. Es liege ans der Hand und
sei dnrch die Erfahrung vielfach bestätigt worden (?), daß, falls die Richter
eine derartige Mitwirkung ausüben, die Geschworenen die Verantwortlichkeit
von sich abzuwälzen suchen, sie verurteilten in zweifelhaften Fällen, sodaß das
Richtcrkollegium die schließlich? Entscheidung in der Hand habe und die Ge¬
schworenen jeder eigentlichen Verantwortlichkeit überhoben seien. Keine Partei,
die das Interesse des Volkes vertrete oder vertreten wolle, werde es wagen,
für ein Gesetz einzutreten, das bestimmt sei, den Einfluß des Laienelements auf
die Rechtsprechung zu brechen.

Es ist in diesen Blättern die Widersinnigkeit, Gefährlichkeit und Unbrauch-
barkeit des ganzen Geschworcneninstitnts schon früher so schlagend nachgewiesen
und gezeigt worden, welch völlig andre Motive als diejenigen einer geord¬
neten unparteiischen Rechtspflege dem Verlangen nach Beibehaltung dieser Ein¬
richtung bei einer großen Zahl der lautesten Schreier für dasselbe zugrunde
liegen, daß es nicht erforderlich ist, diese Darlegung hier zu wiederholen. Wenn
Wir aber auch von diesem prinzipiellen Standpunkte absehen und uns auf den
des Bestandes dieses unglücklichen Instituts stellen, so ist in keiner Weise zu
erkennen, inwiefern die vorgeschlagenen Änderungen die von der Opposition er¬
hobenen Einwendungen rechtfertigen könnten. Es ist weder gezeigt, warum das
Selbstbewußtsein oder die Selbständigkeit eines Geschworenen leiden sollte, wenn
er in einer Vereinigung von sechs statt von zwölf Personen zu urteilen hat;


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[0467] Die Vereinfachung der Schwurgerichte. der rechtsgelehrten Richter) in Beratung zu treten hat und ohne Angabe von Gründen über den von den Geschworenen zum Nachteile des Angeklagten fest¬ gestellten Punkt entscheidet. Von den fortschrittlichen und sonstigen Oppositionsblättern wird der Gesetz¬ entwurf als eine reaktionäre Maßregel äußerster Gattung augegriffen und das Volk zur Verteidigung seiner Freiheit gegen diesen hinterlistigen Überfall auf¬ gerufen. Es wird ausgeführt, daß die Haupttendenz des Entwurfs eine Herab- drückung des Geschworenengerichts seiner juristischen und moralische» Bedeutung nach sei, daß die Selbständigkeit und das Selbstbewußtsein des Einzelnen in dem Maße vermindert werde, wie der Einfluß zunächst des Obmannes und dann haupsächlich der des gelehrten Richterkollegiums steige, daß durch die Herabsetzung der Zahl der Geschworenen diese ans ihrer Stellung als gleichberechtigter Faktor gegenüber dem (aus drei Mitgliedern bestehenden) rechtsgelehrten Richterkollegium verdrängt würden, und daß die Bestimmung, der zufolge bei Entscheidung der Schuldfrage zum Nachteile des Angeklagten der Gerichtshof noch einmal selb¬ ständig über die Schuldfrage entscheiden solle, eine „geradezu ungeheuerliche" sei, weil er das Prinzip, auf dem die Schwurgerichtsbarkeit aller Staaten be¬ ruhe, vollständig durchbreche. Schon an und für sich im Interesse des An¬ sehens der Geschwvrenenbank müsse das Hinübergreifen der Wirksamkeit des Gerichtshofes in die Sphäre der Geschworenen bekämpft werden, es müsse dies aber auch ans praktischen Erwägungen geschehen. Es liege ans der Hand und sei dnrch die Erfahrung vielfach bestätigt worden (?), daß, falls die Richter eine derartige Mitwirkung ausüben, die Geschworenen die Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen suchen, sie verurteilten in zweifelhaften Fällen, sodaß das Richtcrkollegium die schließlich? Entscheidung in der Hand habe und die Ge¬ schworenen jeder eigentlichen Verantwortlichkeit überhoben seien. Keine Partei, die das Interesse des Volkes vertrete oder vertreten wolle, werde es wagen, für ein Gesetz einzutreten, das bestimmt sei, den Einfluß des Laienelements auf die Rechtsprechung zu brechen. Es ist in diesen Blättern die Widersinnigkeit, Gefährlichkeit und Unbrauch- barkeit des ganzen Geschworcneninstitnts schon früher so schlagend nachgewiesen und gezeigt worden, welch völlig andre Motive als diejenigen einer geord¬ neten unparteiischen Rechtspflege dem Verlangen nach Beibehaltung dieser Ein¬ richtung bei einer großen Zahl der lautesten Schreier für dasselbe zugrunde liegen, daß es nicht erforderlich ist, diese Darlegung hier zu wiederholen. Wenn Wir aber auch von diesem prinzipiellen Standpunkte absehen und uns auf den des Bestandes dieses unglücklichen Instituts stellen, so ist in keiner Weise zu erkennen, inwiefern die vorgeschlagenen Änderungen die von der Opposition er¬ hobenen Einwendungen rechtfertigen könnten. Es ist weder gezeigt, warum das Selbstbewußtsein oder die Selbständigkeit eines Geschworenen leiden sollte, wenn er in einer Vereinigung von sechs statt von zwölf Personen zu urteilen hat;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/467>, abgerufen am 21.05.2024.