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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Vereinfachung der Schwurgerichte.

es ist in keiner Richtung dargethan, wie der Einfluß des Richterkollegiums auf
die sechs Geschworenen ein größerer sein sollte als auf die bisherigen zwölf,
da auch die sechs Geschworenen ganz ebenso wie die bisherigen zwölf ohne jede
Kommunikation mit dem Gerichtshofe in ihrem abgeschlossenen Zimmer sich zu
entscheiden haben; jedes Beweises, ja selbst jedes plausibel" Vorwandes ent¬
behrt der Behauptung, daß sechs Geschworene kein gleichberechtigter Faktor
gegenüber den drei rechtsgelehrten Mitgliedern des Gerichtshofes seien, da doch
die Zahl in der Zusammensetzung der einzelnen Faktoren deren Gewicht und
Bedeutung nicht bestimmen kann; endlich ist die Entrüstung über die "geradezu
ungeheuerliche" Bestimmung, daß der Gerichtshof eine mit vier gegen zwei
Stimmen zum Nachteile des Angeklagten durch die Geschworenen entschiedene
Frage selbständig zu prüfen habe, eine offenbar auf die Gedankenlosigkeit der
Leser berechnete Finte, denn wer diese Bestimmung auf ihren Inhalt ansieht,
muß sich doch sofort sagen, daß hier von einer Benachteiligung des Angeklagten
auch nicht im entferntesten die Rede sein kann. Ist der Angeklagte von vier
Geschworenen für schuldig erklärt worden, so hat ja der Gerichtshof höchstens
das Recht, ihn ebenfalls schuldig zu finden, und dann ist der Angeklagte von
zwei verschiednen Instanzen gleichmäßig schuldig befunden worden; findet er ihn
aber entgegen der Ansicht der Geschworenen nichtschuldig, so kann er nichts
thun als ihn freispreche". Für die so oft und laut begehrte Sicherung des
Angeklagten gegen ungerechte Verurteilung ist also mit der Bestimmung des
Entwurfes nur eine weitere Vorkehrung getroffen. Man sieht hiernach in der
That nicht ein, wozu der Lärm.

Die Wortführer der Opposition haben ja allerdings stets ihre Gründe,
eine von der Regierung vorgeschlagene Maßregel als reaktionär anzuschwärzen,
wenn sie hoffen können, ihre Freiheitsliebe bei dem fraglichen Anlasse aufs
neue ins Licht zu stellen; die große Mehrzahl der belästigten und in ihren
Geschäften beeinträchtigten Geschworenen aber, die schon jetzt alle erdenklichen
Mittel anwenden, um sich der ihnen auferlegten Last möglichst zu entziehen,
werden es mit Dank anerkennen, daß die Negierung einen Weg vorgeschlagen
hat, auf welchem die Gesetzgebung ihnen diese Last einigermaßen erleichtern kann.




Die Vereinfachung der Schwurgerichte.

es ist in keiner Richtung dargethan, wie der Einfluß des Richterkollegiums auf
die sechs Geschworenen ein größerer sein sollte als auf die bisherigen zwölf,
da auch die sechs Geschworenen ganz ebenso wie die bisherigen zwölf ohne jede
Kommunikation mit dem Gerichtshofe in ihrem abgeschlossenen Zimmer sich zu
entscheiden haben; jedes Beweises, ja selbst jedes plausibel« Vorwandes ent¬
behrt der Behauptung, daß sechs Geschworene kein gleichberechtigter Faktor
gegenüber den drei rechtsgelehrten Mitgliedern des Gerichtshofes seien, da doch
die Zahl in der Zusammensetzung der einzelnen Faktoren deren Gewicht und
Bedeutung nicht bestimmen kann; endlich ist die Entrüstung über die „geradezu
ungeheuerliche" Bestimmung, daß der Gerichtshof eine mit vier gegen zwei
Stimmen zum Nachteile des Angeklagten durch die Geschworenen entschiedene
Frage selbständig zu prüfen habe, eine offenbar auf die Gedankenlosigkeit der
Leser berechnete Finte, denn wer diese Bestimmung auf ihren Inhalt ansieht,
muß sich doch sofort sagen, daß hier von einer Benachteiligung des Angeklagten
auch nicht im entferntesten die Rede sein kann. Ist der Angeklagte von vier
Geschworenen für schuldig erklärt worden, so hat ja der Gerichtshof höchstens
das Recht, ihn ebenfalls schuldig zu finden, und dann ist der Angeklagte von
zwei verschiednen Instanzen gleichmäßig schuldig befunden worden; findet er ihn
aber entgegen der Ansicht der Geschworenen nichtschuldig, so kann er nichts
thun als ihn freispreche». Für die so oft und laut begehrte Sicherung des
Angeklagten gegen ungerechte Verurteilung ist also mit der Bestimmung des
Entwurfes nur eine weitere Vorkehrung getroffen. Man sieht hiernach in der
That nicht ein, wozu der Lärm.

Die Wortführer der Opposition haben ja allerdings stets ihre Gründe,
eine von der Regierung vorgeschlagene Maßregel als reaktionär anzuschwärzen,
wenn sie hoffen können, ihre Freiheitsliebe bei dem fraglichen Anlasse aufs
neue ins Licht zu stellen; die große Mehrzahl der belästigten und in ihren
Geschäften beeinträchtigten Geschworenen aber, die schon jetzt alle erdenklichen
Mittel anwenden, um sich der ihnen auferlegten Last möglichst zu entziehen,
werden es mit Dank anerkennen, daß die Negierung einen Weg vorgeschlagen
hat, auf welchem die Gesetzgebung ihnen diese Last einigermaßen erleichtern kann.




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[0468] Die Vereinfachung der Schwurgerichte. es ist in keiner Richtung dargethan, wie der Einfluß des Richterkollegiums auf die sechs Geschworenen ein größerer sein sollte als auf die bisherigen zwölf, da auch die sechs Geschworenen ganz ebenso wie die bisherigen zwölf ohne jede Kommunikation mit dem Gerichtshofe in ihrem abgeschlossenen Zimmer sich zu entscheiden haben; jedes Beweises, ja selbst jedes plausibel« Vorwandes ent¬ behrt der Behauptung, daß sechs Geschworene kein gleichberechtigter Faktor gegenüber den drei rechtsgelehrten Mitgliedern des Gerichtshofes seien, da doch die Zahl in der Zusammensetzung der einzelnen Faktoren deren Gewicht und Bedeutung nicht bestimmen kann; endlich ist die Entrüstung über die „geradezu ungeheuerliche" Bestimmung, daß der Gerichtshof eine mit vier gegen zwei Stimmen zum Nachteile des Angeklagten durch die Geschworenen entschiedene Frage selbständig zu prüfen habe, eine offenbar auf die Gedankenlosigkeit der Leser berechnete Finte, denn wer diese Bestimmung auf ihren Inhalt ansieht, muß sich doch sofort sagen, daß hier von einer Benachteiligung des Angeklagten auch nicht im entferntesten die Rede sein kann. Ist der Angeklagte von vier Geschworenen für schuldig erklärt worden, so hat ja der Gerichtshof höchstens das Recht, ihn ebenfalls schuldig zu finden, und dann ist der Angeklagte von zwei verschiednen Instanzen gleichmäßig schuldig befunden worden; findet er ihn aber entgegen der Ansicht der Geschworenen nichtschuldig, so kann er nichts thun als ihn freispreche». Für die so oft und laut begehrte Sicherung des Angeklagten gegen ungerechte Verurteilung ist also mit der Bestimmung des Entwurfes nur eine weitere Vorkehrung getroffen. Man sieht hiernach in der That nicht ein, wozu der Lärm. Die Wortführer der Opposition haben ja allerdings stets ihre Gründe, eine von der Regierung vorgeschlagene Maßregel als reaktionär anzuschwärzen, wenn sie hoffen können, ihre Freiheitsliebe bei dem fraglichen Anlasse aufs neue ins Licht zu stellen; die große Mehrzahl der belästigten und in ihren Geschäften beeinträchtigten Geschworenen aber, die schon jetzt alle erdenklichen Mittel anwenden, um sich der ihnen auferlegten Last möglichst zu entziehen, werden es mit Dank anerkennen, daß die Negierung einen Weg vorgeschlagen hat, auf welchem die Gesetzgebung ihnen diese Last einigermaßen erleichtern kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/468>, abgerufen am 21.05.2024.