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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem Jahre ^3H3,

der Dienst dauerte. Als wir aber dann gegen Mitternacht, als alles ruhig
war, unsre Station verließen, und als die Männer der Schützengilde mich noch
zu einem gemütlichen Souper eingeladen hatten, mit welchem man in später
Stunde die glücklich gethane Arbeit und das Zusammenwirken von Bürger und
Student feiern wollte, glaubte ich, mit meinen Hiobsposten nicht mehr zurück¬
halten zu dürfen, und erzählte von allem, was ich gehört hatte. Aber es wollte
mir nicht gelingen, die einmal eingezogene gemütliche Stimmung zu stören.
Wenn wir nur unsern Mann bei der Flasche stehen -- so hieß es --, so kommt
das Vaterland schon wieder in Ordnung, und schließlich sind auch noch Soldaten
da. Die Frage, warum ein Studenteuball in diesem Winter nicht wie sonst
bei Milenz, sondern in einem andern Lokal abgehalten worden sei, interessirte
die Gesellschaft schließlich mehr als alle Politik. Und dennoch -- zwei Glieder
dieser Tafelrunde, und darunter gerade einen, bei dem ich an diesem Abende ge¬
sessen hatte, sah ich am folgenden Nachmittage, nachdem der Kampf ciusgebrochcn
war, in ihren goldgestickten Uniformen schußbereit mit der Büchse in der Hand
hinter dem Universitätsgebäude stehen, wo sie mir mit wuteutstcllter Miene zu¬
riefen: Heute heißt es nur noch, die Hunde von Soldaten niederschießen.

Ein adlicher Referendar, der mir mehrfach in Gesellschaften begegnet, mir
aber ziemlich fremd geblieben war, fiel mir ans dem Schloßplatz in Freude
über die königlichen Proklamationen mit ihren Zusagen freiheitlicher Regierung
und deutscher Einheit schier um den Hals, und eine Viertelstunde später sah
ich ihn wieder, wie er in furchtbarer Aufregung und buchstäblich mit Schaum
vor dem Munde zum Kampf gegen die Soldaten aufrief. Ein Student, den
ich als einen besonnenen und liebenswürdigen Menschen näher kannte, trat mir,
als ich in dem Universitätsgebüude die dort noch unbekannte königliche Prokla¬
mation verlesen wollte, drohend mit einer eisernen Stange, die er sich irgendwo
abgerissen hatte, und mit wütender Geberde entgegen und schrie: Rache ist
jetzt das heiligste Gefühl -- was sollen jetzt Proklamationen! Ich habe ihn
nie wiedergesehen, aber von gemeinsamen Freunden weiß ich, daß dieser
Paroxysmus bei ihm nur bis zum nächsten Tage, bis zur Beendigung des
Kampfes dauerte; dann ist fürchterliche Reue über ihn gekommen, und er
ist vor sich selbst von Berlin geflüchtet und hat bis zu seinem nach wenigen
Jahren erfolgenden Ende den Eindruck jener Stunde nie wieder ganz über¬
wunden.

Das sind nur einzelne Beispiele des wunderbaren Stimmungswechsels. Mir
sind noch eine Menge ähnlicher Bilder vor Augen, und ich höre noch die
wüsten tierischen Töne, die im Universitätsgebäude von denselben Jünglingen
ausgestoßen wurden, die bis dahin in korrekten parlamentarischen Formen de-
battirt hatten. Das allerdings verbreitete Gerücht, daß das Militär die friedliche
Menge ans dem Schloßplatze mit Waffen angegriffen habe, kann einen solchen
Umschwung der Stimmung nicht erklären, denn die ganze Woche war schon


Grenzboten I. 18LÜ. 6S
Aus dem Jahre ^3H3,

der Dienst dauerte. Als wir aber dann gegen Mitternacht, als alles ruhig
war, unsre Station verließen, und als die Männer der Schützengilde mich noch
zu einem gemütlichen Souper eingeladen hatten, mit welchem man in später
Stunde die glücklich gethane Arbeit und das Zusammenwirken von Bürger und
Student feiern wollte, glaubte ich, mit meinen Hiobsposten nicht mehr zurück¬
halten zu dürfen, und erzählte von allem, was ich gehört hatte. Aber es wollte
mir nicht gelingen, die einmal eingezogene gemütliche Stimmung zu stören.
Wenn wir nur unsern Mann bei der Flasche stehen — so hieß es —, so kommt
das Vaterland schon wieder in Ordnung, und schließlich sind auch noch Soldaten
da. Die Frage, warum ein Studenteuball in diesem Winter nicht wie sonst
bei Milenz, sondern in einem andern Lokal abgehalten worden sei, interessirte
die Gesellschaft schließlich mehr als alle Politik. Und dennoch — zwei Glieder
dieser Tafelrunde, und darunter gerade einen, bei dem ich an diesem Abende ge¬
sessen hatte, sah ich am folgenden Nachmittage, nachdem der Kampf ciusgebrochcn
war, in ihren goldgestickten Uniformen schußbereit mit der Büchse in der Hand
hinter dem Universitätsgebäude stehen, wo sie mir mit wuteutstcllter Miene zu¬
riefen: Heute heißt es nur noch, die Hunde von Soldaten niederschießen.

Ein adlicher Referendar, der mir mehrfach in Gesellschaften begegnet, mir
aber ziemlich fremd geblieben war, fiel mir ans dem Schloßplatz in Freude
über die königlichen Proklamationen mit ihren Zusagen freiheitlicher Regierung
und deutscher Einheit schier um den Hals, und eine Viertelstunde später sah
ich ihn wieder, wie er in furchtbarer Aufregung und buchstäblich mit Schaum
vor dem Munde zum Kampf gegen die Soldaten aufrief. Ein Student, den
ich als einen besonnenen und liebenswürdigen Menschen näher kannte, trat mir,
als ich in dem Universitätsgebüude die dort noch unbekannte königliche Prokla¬
mation verlesen wollte, drohend mit einer eisernen Stange, die er sich irgendwo
abgerissen hatte, und mit wütender Geberde entgegen und schrie: Rache ist
jetzt das heiligste Gefühl — was sollen jetzt Proklamationen! Ich habe ihn
nie wiedergesehen, aber von gemeinsamen Freunden weiß ich, daß dieser
Paroxysmus bei ihm nur bis zum nächsten Tage, bis zur Beendigung des
Kampfes dauerte; dann ist fürchterliche Reue über ihn gekommen, und er
ist vor sich selbst von Berlin geflüchtet und hat bis zu seinem nach wenigen
Jahren erfolgenden Ende den Eindruck jener Stunde nie wieder ganz über¬
wunden.

Das sind nur einzelne Beispiele des wunderbaren Stimmungswechsels. Mir
sind noch eine Menge ähnlicher Bilder vor Augen, und ich höre noch die
wüsten tierischen Töne, die im Universitätsgebäude von denselben Jünglingen
ausgestoßen wurden, die bis dahin in korrekten parlamentarischen Formen de-
battirt hatten. Das allerdings verbreitete Gerücht, daß das Militär die friedliche
Menge ans dem Schloßplatze mit Waffen angegriffen habe, kann einen solchen
Umschwung der Stimmung nicht erklären, denn die ganze Woche war schon


Grenzboten I. 18LÜ. 6S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/525>, abgerufen am 15.06.2024.