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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ans dem Jahre ^3^3.

in allen Versammlungen davon geredet wurden, daß die Soldaten auf das
Volk geschossen und Wehrlose ermordet hätten, und man hatte solchen Nach¬
richten gegenüber sein kühles Blut behalten. Wenn aber jetzt der Unsinn
Glauben fand, daß man das "Volk" arglistig durch eine Proklamation auf
den Schloßplatz gelockt habe, um es dort durch das Militär abschlachten zu
lassen, so war das schon ein Zeichen der Geistesverwirrung, von welcher die
Menge plötzlich ergriffen war. Wir werden für solche Erscheinungen vergebens
nach einer andern Erklärung suchen als der: Der Sinn der Menschen ward
verwirrt, weil es so bestimmt war, damit unser Volk die ihm vorgezeichnete
Bahn beschreibe.

Die Waffe, deren sich die Revolution in Deutschland zunächst bediente,
ist, so will es ans den ersten Blick scheinen, wenig kriegerisch und gewaltsam
gewesen; man trat ja nur mit Petitionen den Regierungen gegenüber, man bat
also nur. Aber die Art, wie man bat, war von vornherein eine eigentümliche.
In großen aufgeregten Massenversammlungen und unter dein frischen Eindruck
der Pariser Nachrichte" wurden diese Petitionen beraten und angenommen, so
schon am 27. Februar, also drei Tage nach der Erklärung der französischen
Republik, in Mannheim und in Karlsruhe, am 28. in Stuttgart, in deu
ersten Märztagen in Wiesbaden, Köln, Düsseldorf, Leipzig u. s. w. Große
Deputationen sollten diese Petitionen übergeben, und wo es anging, zogen
dichte Volksmassen mit den Deputationen, um erkennen zu lassen, welche Folgen
eintreten würden, wenn die Petitionen nicht bewilligt würden. Am 1. März
machten sich schon fünfhundert Menschen von Mannheim unter Struves Führung
auf, um bereits eine zweite, weitergehende Petition in Karlsruhe zu übergeben,
und das schöne Wort "Stnrmpetition" war erfunden. Als Beispiel dafür, in
welchem Stile diese Petitionen geschrieben waren, will ich nur die mitteilen,
welche eine Volkskommissivn von Heman dem Kurfürsten von Hessen am 9. Mürz
zugehen ließ, und welche die entscheidende Wendung in Kassel herbeiführte:

Durch die Proklamation Ew. Königlichen Hoheit vom 7. dieses sind die
Wünsche des Volkes nicht erfüllt und seine Bitten unvollständig gewährt worden.

Das Volk ist mißtrauisch gegen Ew. Königliche Hoheit selbst, und sieht in
der unvollständigen Gewährung seiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Es sieht darin
die dringendste Aufforderung, sich noch enger zusammenzuschaaren und eine noch
festere Haltung Ew. Königlichen Hoheit gegenüber einzunehmen.

Das Volk, welches wir meinen, ist nicht mehr der vage Begriff von ehedem
nein -- es sind alle -- alle --, ja, Königliche Hoheit, alle! Auch das Militär
hat sich einstimmig dafür erklärt.

Das Volk verlangt, was ihm gebührt. Es spricht den Willen aus, daß seine
Zukunft besser sein solle als seine Vergangenheit, und dieser Wille ist unwider¬
stehlich. Das Volk hat sich eine Kommission gewählt, und die verlangt nun für
dasselbe und namens seiner --

Es folgen dann die sich immer wiederholenden Märzfordcrungen, von
denen ich später noch sprechen will, und dann heißt es weiter:


Ans dem Jahre ^3^3.

in allen Versammlungen davon geredet wurden, daß die Soldaten auf das
Volk geschossen und Wehrlose ermordet hätten, und man hatte solchen Nach¬
richten gegenüber sein kühles Blut behalten. Wenn aber jetzt der Unsinn
Glauben fand, daß man das „Volk" arglistig durch eine Proklamation auf
den Schloßplatz gelockt habe, um es dort durch das Militär abschlachten zu
lassen, so war das schon ein Zeichen der Geistesverwirrung, von welcher die
Menge plötzlich ergriffen war. Wir werden für solche Erscheinungen vergebens
nach einer andern Erklärung suchen als der: Der Sinn der Menschen ward
verwirrt, weil es so bestimmt war, damit unser Volk die ihm vorgezeichnete
Bahn beschreibe.

Die Waffe, deren sich die Revolution in Deutschland zunächst bediente,
ist, so will es ans den ersten Blick scheinen, wenig kriegerisch und gewaltsam
gewesen; man trat ja nur mit Petitionen den Regierungen gegenüber, man bat
also nur. Aber die Art, wie man bat, war von vornherein eine eigentümliche.
In großen aufgeregten Massenversammlungen und unter dein frischen Eindruck
der Pariser Nachrichte» wurden diese Petitionen beraten und angenommen, so
schon am 27. Februar, also drei Tage nach der Erklärung der französischen
Republik, in Mannheim und in Karlsruhe, am 28. in Stuttgart, in deu
ersten Märztagen in Wiesbaden, Köln, Düsseldorf, Leipzig u. s. w. Große
Deputationen sollten diese Petitionen übergeben, und wo es anging, zogen
dichte Volksmassen mit den Deputationen, um erkennen zu lassen, welche Folgen
eintreten würden, wenn die Petitionen nicht bewilligt würden. Am 1. März
machten sich schon fünfhundert Menschen von Mannheim unter Struves Führung
auf, um bereits eine zweite, weitergehende Petition in Karlsruhe zu übergeben,
und das schöne Wort „Stnrmpetition" war erfunden. Als Beispiel dafür, in
welchem Stile diese Petitionen geschrieben waren, will ich nur die mitteilen,
welche eine Volkskommissivn von Heman dem Kurfürsten von Hessen am 9. Mürz
zugehen ließ, und welche die entscheidende Wendung in Kassel herbeiführte:

Durch die Proklamation Ew. Königlichen Hoheit vom 7. dieses sind die
Wünsche des Volkes nicht erfüllt und seine Bitten unvollständig gewährt worden.

Das Volk ist mißtrauisch gegen Ew. Königliche Hoheit selbst, und sieht in
der unvollständigen Gewährung seiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Es sieht darin
die dringendste Aufforderung, sich noch enger zusammenzuschaaren und eine noch
festere Haltung Ew. Königlichen Hoheit gegenüber einzunehmen.

Das Volk, welches wir meinen, ist nicht mehr der vage Begriff von ehedem
nein — es sind alle — alle —, ja, Königliche Hoheit, alle! Auch das Militär
hat sich einstimmig dafür erklärt.

Das Volk verlangt, was ihm gebührt. Es spricht den Willen aus, daß seine
Zukunft besser sein solle als seine Vergangenheit, und dieser Wille ist unwider¬
stehlich. Das Volk hat sich eine Kommission gewählt, und die verlangt nun für
dasselbe und namens seiner —

Es folgen dann die sich immer wiederholenden Märzfordcrungen, von
denen ich später noch sprechen will, und dann heißt es weiter:


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[0526] Ans dem Jahre ^3^3. in allen Versammlungen davon geredet wurden, daß die Soldaten auf das Volk geschossen und Wehrlose ermordet hätten, und man hatte solchen Nach¬ richten gegenüber sein kühles Blut behalten. Wenn aber jetzt der Unsinn Glauben fand, daß man das „Volk" arglistig durch eine Proklamation auf den Schloßplatz gelockt habe, um es dort durch das Militär abschlachten zu lassen, so war das schon ein Zeichen der Geistesverwirrung, von welcher die Menge plötzlich ergriffen war. Wir werden für solche Erscheinungen vergebens nach einer andern Erklärung suchen als der: Der Sinn der Menschen ward verwirrt, weil es so bestimmt war, damit unser Volk die ihm vorgezeichnete Bahn beschreibe. Die Waffe, deren sich die Revolution in Deutschland zunächst bediente, ist, so will es ans den ersten Blick scheinen, wenig kriegerisch und gewaltsam gewesen; man trat ja nur mit Petitionen den Regierungen gegenüber, man bat also nur. Aber die Art, wie man bat, war von vornherein eine eigentümliche. In großen aufgeregten Massenversammlungen und unter dein frischen Eindruck der Pariser Nachrichte» wurden diese Petitionen beraten und angenommen, so schon am 27. Februar, also drei Tage nach der Erklärung der französischen Republik, in Mannheim und in Karlsruhe, am 28. in Stuttgart, in deu ersten Märztagen in Wiesbaden, Köln, Düsseldorf, Leipzig u. s. w. Große Deputationen sollten diese Petitionen übergeben, und wo es anging, zogen dichte Volksmassen mit den Deputationen, um erkennen zu lassen, welche Folgen eintreten würden, wenn die Petitionen nicht bewilligt würden. Am 1. März machten sich schon fünfhundert Menschen von Mannheim unter Struves Führung auf, um bereits eine zweite, weitergehende Petition in Karlsruhe zu übergeben, und das schöne Wort „Stnrmpetition" war erfunden. Als Beispiel dafür, in welchem Stile diese Petitionen geschrieben waren, will ich nur die mitteilen, welche eine Volkskommissivn von Heman dem Kurfürsten von Hessen am 9. Mürz zugehen ließ, und welche die entscheidende Wendung in Kassel herbeiführte: Durch die Proklamation Ew. Königlichen Hoheit vom 7. dieses sind die Wünsche des Volkes nicht erfüllt und seine Bitten unvollständig gewährt worden. Das Volk ist mißtrauisch gegen Ew. Königliche Hoheit selbst, und sieht in der unvollständigen Gewährung seiner Bitten eine Unaufrichtigkeit. Es sieht darin die dringendste Aufforderung, sich noch enger zusammenzuschaaren und eine noch festere Haltung Ew. Königlichen Hoheit gegenüber einzunehmen. Das Volk, welches wir meinen, ist nicht mehr der vage Begriff von ehedem nein — es sind alle — alle —, ja, Königliche Hoheit, alle! Auch das Militär hat sich einstimmig dafür erklärt. Das Volk verlangt, was ihm gebührt. Es spricht den Willen aus, daß seine Zukunft besser sein solle als seine Vergangenheit, und dieser Wille ist unwider¬ stehlich. Das Volk hat sich eine Kommission gewählt, und die verlangt nun für dasselbe und namens seiner — Es folgen dann die sich immer wiederholenden Märzfordcrungen, von denen ich später noch sprechen will, und dann heißt es weiter:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/526>, abgerufen am 21.05.2024.