Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Sie Stadt Banausos.

sein kann, aus welchem zu dauernden, normalen, den Bedürfnissen der Gegen¬
wart entsprechenden Verhältnissen erst zu gelangen ist: diejenige allgemeine
Geistesbildung, durch welche die Jugend der führenden Stände der Nation für
die Aufgaben des Lebens innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes vor¬
bereitet werden soll, kann naturgemäß und im Interesse des Wohles der Ge¬
samtheit nur eine einzige und einheitliche sein, und die Organisation derjenigen
Schulen, welche diese Bildung zu vermitteln bestimmt sind, muß und wird darum
ebenmäßig eine einheitliche sein oder wieder werden, man möge ihnen einen
Namen geben, welchen man wolle; nur die Beschaffenheit dieser Organisation
in Ansehung der in Anwendung zu bringenden Vildungsmittel und der Art
und des Maßes ihrer Anwendung kann vernünftigerweise ein Gegenstand der
Erwägung oder des Streites sein. Zu sagen, welches das Endergebnis nach
dieser Richtung in Wirklichkeit sein wird, müßte ich ein Prophet sein: ich kann
allein meine subjektive Überzeugung dahin aussprechen, daß, solange im Geistes¬
leben unsers Volkes ein Bruch mit seiner ganzen Vergangenheit nicht ein¬
getreten sein wird, und solange es als ein Erfordernis der allgemeinen natio¬
nalen Bildung zu gelten haben wird, daß der sich gebildet nennende und wirklich
Gebildete mit Bewußtsein in dem Zusammenhange des historischen Lebens seines
Volkes stehe, die höheren Schulen bei uns, sagen wir die Gymnasien, die alten
Sprachen, im besondern auch das Griechische, zu ihren Unterrichtsgegenständen
zu zählen haben werden, und daß es sich allein darum handeln kann, die Be¬
schäftigung mit ihnen in das richtige Verhältnis zu den übrigen Disziplinen
und deren berechtigten Anforderungen zu bringen. Und daß es bei gutem
Willen gelingen könne und werde, einen passenden mnäus vivsnäi zu finden,
ist mir nicht zweifelhaft."

Daß diese Sätze Kirchhvffs den Nagel auf den Kopf treffen, braucht wohl
nicht auseinandergesetzt zu werden. Das wunderbarste an der Sache ist, daß es
den Realschulen garnicht einfällt, auf das Griechische zu verzichten, wie man
z. B. aus ihren mit Vorliebe dem griechischen Altertume entnommenen deut¬
schen Aufsätzen ersieht. Thäten sie dies, so würde man die Behauptungen ihrer
Vorkämpfer überhaupt erst verstehen und mit ihnen rechnen können. Nein, das
Griechische soll nur nicht als Sprache gelernt, das heißt, der im griechischen
Altertum vorhcmdne Bildungsstoff soll in bequemerer Weise zugänglich gemacht
werden als durch Erlernung der Sprache, oder mit andern Worten, es wird
der Kampf gegen jede wissenschaftliche historische Bildung geführt.

Die Folgen davon führt Kirchhofs kurz (S. 14) so aus: "Ich begnüge
mich zu konstatiren, daß auf dem Gebiete gewisser deu meinigen verwandter Diszi¬
plinen sich ein Notstand fühlbar zu machen beginnt, indem z. B. sprachwissen¬
schaftlichen Vorträgen aus der völligen Unkenntnis des Griechischen bei einer
unverhältnismäßig großen Anzahl ihrer Hörer ein störendes und unleidliches
Hemmnis erwächst, welches durchaus in irgendeiner Weise beseitigt werden muß,


Sie Stadt Banausos.

sein kann, aus welchem zu dauernden, normalen, den Bedürfnissen der Gegen¬
wart entsprechenden Verhältnissen erst zu gelangen ist: diejenige allgemeine
Geistesbildung, durch welche die Jugend der führenden Stände der Nation für
die Aufgaben des Lebens innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes vor¬
bereitet werden soll, kann naturgemäß und im Interesse des Wohles der Ge¬
samtheit nur eine einzige und einheitliche sein, und die Organisation derjenigen
Schulen, welche diese Bildung zu vermitteln bestimmt sind, muß und wird darum
ebenmäßig eine einheitliche sein oder wieder werden, man möge ihnen einen
Namen geben, welchen man wolle; nur die Beschaffenheit dieser Organisation
in Ansehung der in Anwendung zu bringenden Vildungsmittel und der Art
und des Maßes ihrer Anwendung kann vernünftigerweise ein Gegenstand der
Erwägung oder des Streites sein. Zu sagen, welches das Endergebnis nach
dieser Richtung in Wirklichkeit sein wird, müßte ich ein Prophet sein: ich kann
allein meine subjektive Überzeugung dahin aussprechen, daß, solange im Geistes¬
leben unsers Volkes ein Bruch mit seiner ganzen Vergangenheit nicht ein¬
getreten sein wird, und solange es als ein Erfordernis der allgemeinen natio¬
nalen Bildung zu gelten haben wird, daß der sich gebildet nennende und wirklich
Gebildete mit Bewußtsein in dem Zusammenhange des historischen Lebens seines
Volkes stehe, die höheren Schulen bei uns, sagen wir die Gymnasien, die alten
Sprachen, im besondern auch das Griechische, zu ihren Unterrichtsgegenständen
zu zählen haben werden, und daß es sich allein darum handeln kann, die Be¬
schäftigung mit ihnen in das richtige Verhältnis zu den übrigen Disziplinen
und deren berechtigten Anforderungen zu bringen. Und daß es bei gutem
Willen gelingen könne und werde, einen passenden mnäus vivsnäi zu finden,
ist mir nicht zweifelhaft."

Daß diese Sätze Kirchhvffs den Nagel auf den Kopf treffen, braucht wohl
nicht auseinandergesetzt zu werden. Das wunderbarste an der Sache ist, daß es
den Realschulen garnicht einfällt, auf das Griechische zu verzichten, wie man
z. B. aus ihren mit Vorliebe dem griechischen Altertume entnommenen deut¬
schen Aufsätzen ersieht. Thäten sie dies, so würde man die Behauptungen ihrer
Vorkämpfer überhaupt erst verstehen und mit ihnen rechnen können. Nein, das
Griechische soll nur nicht als Sprache gelernt, das heißt, der im griechischen
Altertum vorhcmdne Bildungsstoff soll in bequemerer Weise zugänglich gemacht
werden als durch Erlernung der Sprache, oder mit andern Worten, es wird
der Kampf gegen jede wissenschaftliche historische Bildung geführt.

Die Folgen davon führt Kirchhofs kurz (S. 14) so aus: „Ich begnüge
mich zu konstatiren, daß auf dem Gebiete gewisser deu meinigen verwandter Diszi¬
plinen sich ein Notstand fühlbar zu machen beginnt, indem z. B. sprachwissen¬
schaftlichen Vorträgen aus der völligen Unkenntnis des Griechischen bei einer
unverhältnismäßig großen Anzahl ihrer Hörer ein störendes und unleidliches
Hemmnis erwächst, welches durchaus in irgendeiner Weise beseitigt werden muß,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194770"/>
          <fw type="header" place="top"> Sie Stadt Banausos.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_255" prev="#ID_254"> sein kann, aus welchem zu dauernden, normalen, den Bedürfnissen der Gegen¬<lb/>
wart entsprechenden Verhältnissen erst zu gelangen ist: diejenige allgemeine<lb/>
Geistesbildung, durch welche die Jugend der führenden Stände der Nation für<lb/>
die Aufgaben des Lebens innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes vor¬<lb/>
bereitet werden soll, kann naturgemäß und im Interesse des Wohles der Ge¬<lb/>
samtheit nur eine einzige und einheitliche sein, und die Organisation derjenigen<lb/>
Schulen, welche diese Bildung zu vermitteln bestimmt sind, muß und wird darum<lb/>
ebenmäßig eine einheitliche sein oder wieder werden, man möge ihnen einen<lb/>
Namen geben, welchen man wolle; nur die Beschaffenheit dieser Organisation<lb/>
in Ansehung der in Anwendung zu bringenden Vildungsmittel und der Art<lb/>
und des Maßes ihrer Anwendung kann vernünftigerweise ein Gegenstand der<lb/>
Erwägung oder des Streites sein. Zu sagen, welches das Endergebnis nach<lb/>
dieser Richtung in Wirklichkeit sein wird, müßte ich ein Prophet sein: ich kann<lb/>
allein meine subjektive Überzeugung dahin aussprechen, daß, solange im Geistes¬<lb/>
leben unsers Volkes ein Bruch mit seiner ganzen Vergangenheit nicht ein¬<lb/>
getreten sein wird, und solange es als ein Erfordernis der allgemeinen natio¬<lb/>
nalen Bildung zu gelten haben wird, daß der sich gebildet nennende und wirklich<lb/>
Gebildete mit Bewußtsein in dem Zusammenhange des historischen Lebens seines<lb/>
Volkes stehe, die höheren Schulen bei uns, sagen wir die Gymnasien, die alten<lb/>
Sprachen, im besondern auch das Griechische, zu ihren Unterrichtsgegenständen<lb/>
zu zählen haben werden, und daß es sich allein darum handeln kann, die Be¬<lb/>
schäftigung mit ihnen in das richtige Verhältnis zu den übrigen Disziplinen<lb/>
und deren berechtigten Anforderungen zu bringen. Und daß es bei gutem<lb/>
Willen gelingen könne und werde, einen passenden mnäus vivsnäi zu finden,<lb/>
ist mir nicht zweifelhaft."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_256"> Daß diese Sätze Kirchhvffs den Nagel auf den Kopf treffen, braucht wohl<lb/>
nicht auseinandergesetzt zu werden. Das wunderbarste an der Sache ist, daß es<lb/>
den Realschulen garnicht einfällt, auf das Griechische zu verzichten, wie man<lb/>
z. B. aus ihren mit Vorliebe dem griechischen Altertume entnommenen deut¬<lb/>
schen Aufsätzen ersieht. Thäten sie dies, so würde man die Behauptungen ihrer<lb/>
Vorkämpfer überhaupt erst verstehen und mit ihnen rechnen können. Nein, das<lb/>
Griechische soll nur nicht als Sprache gelernt, das heißt, der im griechischen<lb/>
Altertum vorhcmdne Bildungsstoff soll in bequemerer Weise zugänglich gemacht<lb/>
werden als durch Erlernung der Sprache, oder mit andern Worten, es wird<lb/>
der Kampf gegen jede wissenschaftliche historische Bildung geführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_257" next="#ID_258"> Die Folgen davon führt Kirchhofs kurz (S. 14) so aus: &#x201E;Ich begnüge<lb/>
mich zu konstatiren, daß auf dem Gebiete gewisser deu meinigen verwandter Diszi¬<lb/>
plinen sich ein Notstand fühlbar zu machen beginnt, indem z. B. sprachwissen¬<lb/>
schaftlichen Vorträgen aus der völligen Unkenntnis des Griechischen bei einer<lb/>
unverhältnismäßig großen Anzahl ihrer Hörer ein störendes und unleidliches<lb/>
Hemmnis erwächst, welches durchaus in irgendeiner Weise beseitigt werden muß,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Sie Stadt Banausos. sein kann, aus welchem zu dauernden, normalen, den Bedürfnissen der Gegen¬ wart entsprechenden Verhältnissen erst zu gelangen ist: diejenige allgemeine Geistesbildung, durch welche die Jugend der führenden Stände der Nation für die Aufgaben des Lebens innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes vor¬ bereitet werden soll, kann naturgemäß und im Interesse des Wohles der Ge¬ samtheit nur eine einzige und einheitliche sein, und die Organisation derjenigen Schulen, welche diese Bildung zu vermitteln bestimmt sind, muß und wird darum ebenmäßig eine einheitliche sein oder wieder werden, man möge ihnen einen Namen geben, welchen man wolle; nur die Beschaffenheit dieser Organisation in Ansehung der in Anwendung zu bringenden Vildungsmittel und der Art und des Maßes ihrer Anwendung kann vernünftigerweise ein Gegenstand der Erwägung oder des Streites sein. Zu sagen, welches das Endergebnis nach dieser Richtung in Wirklichkeit sein wird, müßte ich ein Prophet sein: ich kann allein meine subjektive Überzeugung dahin aussprechen, daß, solange im Geistes¬ leben unsers Volkes ein Bruch mit seiner ganzen Vergangenheit nicht ein¬ getreten sein wird, und solange es als ein Erfordernis der allgemeinen natio¬ nalen Bildung zu gelten haben wird, daß der sich gebildet nennende und wirklich Gebildete mit Bewußtsein in dem Zusammenhange des historischen Lebens seines Volkes stehe, die höheren Schulen bei uns, sagen wir die Gymnasien, die alten Sprachen, im besondern auch das Griechische, zu ihren Unterrichtsgegenständen zu zählen haben werden, und daß es sich allein darum handeln kann, die Be¬ schäftigung mit ihnen in das richtige Verhältnis zu den übrigen Disziplinen und deren berechtigten Anforderungen zu bringen. Und daß es bei gutem Willen gelingen könne und werde, einen passenden mnäus vivsnäi zu finden, ist mir nicht zweifelhaft." Daß diese Sätze Kirchhvffs den Nagel auf den Kopf treffen, braucht wohl nicht auseinandergesetzt zu werden. Das wunderbarste an der Sache ist, daß es den Realschulen garnicht einfällt, auf das Griechische zu verzichten, wie man z. B. aus ihren mit Vorliebe dem griechischen Altertume entnommenen deut¬ schen Aufsätzen ersieht. Thäten sie dies, so würde man die Behauptungen ihrer Vorkämpfer überhaupt erst verstehen und mit ihnen rechnen können. Nein, das Griechische soll nur nicht als Sprache gelernt, das heißt, der im griechischen Altertum vorhcmdne Bildungsstoff soll in bequemerer Weise zugänglich gemacht werden als durch Erlernung der Sprache, oder mit andern Worten, es wird der Kampf gegen jede wissenschaftliche historische Bildung geführt. Die Folgen davon führt Kirchhofs kurz (S. 14) so aus: „Ich begnüge mich zu konstatiren, daß auf dem Gebiete gewisser deu meinigen verwandter Diszi¬ plinen sich ein Notstand fühlbar zu machen beginnt, indem z. B. sprachwissen¬ schaftlichen Vorträgen aus der völligen Unkenntnis des Griechischen bei einer unverhältnismäßig großen Anzahl ihrer Hörer ein störendes und unleidliches Hemmnis erwächst, welches durchaus in irgendeiner Weise beseitigt werden muß,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/94>, abgerufen am 05.06.2024.