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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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bei ihrer Geburt hatte die schuldbeladene Mutter sie ans dem Haus, in die
Stadt zu den frommen Frauen geben wollen, "damit sie christlich auferzogen
wird und einmal selber eine werden kann." Aber damals hatte ihr der Rein-
dorfer gesagt: "Sei nit so dumm, unsern Herrgott geht es nicht so nah an
wie mich, so wird er doch keinen Zorn auf das Kind haben, das, an allem ganz
unschuldig ist; du aber verbleibst eine Sünderin, wenn es gleich eine Heilige
werden möcht', und es soll doch vorerst nur eine Klosterfrau werden, und die
sollen nicht alle auf das Heiligwerden aus sein. Es ist nicht mein Kind, so
red' ich ihm auch nicht das Wort, aber die Frommheit kann man keinem an¬
lernen, wie jungen Hunden das Wildaufspüren, und wenn dann plötzlich eins
zu Jahren und zu Verstand kommt, und es mag sich nicht darein finden, dann
taugt es für Erd' und Himmel nicht mehr. Und sich dabei auf gut Glück ver¬
lassen, wie es ausgeht, dazu ist heuttags schon gar kein Zeitpunkt, wo alle Welt
hinter den Kutten her ist, früher hat man noch manches vertuschen können,
jetzt aber braucht unser Herrgott nur Leute in seinem Dienst, die ihm Ehre
machen, die andern sollen davon bleiben. Wär' das aber auch nicht meine
Meinung, hierin that' ich dir doch nicht deinen Willen! Du hast vermeint, ich
würde jasagen, weil ich selber das Kind nicht gerne vor mir sehen möcht', und
dabei hättest du es auch aus den Augen gekriegt und aus dem Sinn, und das
wär' dir recht gewesen, denn mit der Schamhaftigkeit über seine Sünden hält
es der Mensch wie die Katze mit dem Unrat, weiß sie den nur eingescharrt,
so geht sie stolz davon, als hätte man sie nie darüber hocken gesehen. Du
hättest darauf vergessen und dir einbilden können, es wäre noch alles in alter
GeHörigkeit. Darum bleibt das Kind im Hause und dir unter Augen!" Jetzt
aber muß Leni trotz aller Vorsicht aus dem Hause, und sie setzt sich auf die
Eisenbahn, nach Wien zu kommen.

Auf der Fahrt dahin, im Coupe, macht sie die Bekanntschaft eines alten
Bauern. Der hat an der schmucken Dirne seine Freude, er beobachtet sie, und
da gerade sein verwitweter Schwiegersohn, der Gmsbvdenbauer Kaspar Engert
in Föhrndors, eine zuverlässige Person braucht zu seinem verwaisten Mädchen,
welche es in seiner Nervenkrankheit (dem Veitstanz) betreuen soll, macht der
"Ehul" der Mitreisenden den Vorschlag, diese Stellung anzunehmen. "O, ich
hab' dich ganz g'nau beobacht', mein' liebe Dirn'! Vorhin, wie d' noch munterer
g'wehen bist und die zwei Herren dort ent' im Eck kurzweilige Reden g'führt
hab'n, da haft du wohl g'schmunzelt, denn Spaß bleibt Spaß, und ihn nit ver¬
kennen, das is schon recht, aber verquer is er dir kommen und zur Unzeit, und
d'rum Hast's Lachen bezwungen; wann sich's schickt, würd'se wohl auch 'n Ernst
bezwingen können, und g'rad dös, daß einer geg'n sich selber aufkommen kann,
is 's notwendigste, was der Mensch auf der Welt braucht, und was mer schon
'n Kindern von klein auf beibringen sollt', denn so lang ich's unter'" Händen
hab', verhüt ich wohl, daß 's ein' Dummheit macheu, wann ich's aber freilassen


bei ihrer Geburt hatte die schuldbeladene Mutter sie ans dem Haus, in die
Stadt zu den frommen Frauen geben wollen, „damit sie christlich auferzogen
wird und einmal selber eine werden kann." Aber damals hatte ihr der Rein-
dorfer gesagt: „Sei nit so dumm, unsern Herrgott geht es nicht so nah an
wie mich, so wird er doch keinen Zorn auf das Kind haben, das, an allem ganz
unschuldig ist; du aber verbleibst eine Sünderin, wenn es gleich eine Heilige
werden möcht', und es soll doch vorerst nur eine Klosterfrau werden, und die
sollen nicht alle auf das Heiligwerden aus sein. Es ist nicht mein Kind, so
red' ich ihm auch nicht das Wort, aber die Frommheit kann man keinem an¬
lernen, wie jungen Hunden das Wildaufspüren, und wenn dann plötzlich eins
zu Jahren und zu Verstand kommt, und es mag sich nicht darein finden, dann
taugt es für Erd' und Himmel nicht mehr. Und sich dabei auf gut Glück ver¬
lassen, wie es ausgeht, dazu ist heuttags schon gar kein Zeitpunkt, wo alle Welt
hinter den Kutten her ist, früher hat man noch manches vertuschen können,
jetzt aber braucht unser Herrgott nur Leute in seinem Dienst, die ihm Ehre
machen, die andern sollen davon bleiben. Wär' das aber auch nicht meine
Meinung, hierin that' ich dir doch nicht deinen Willen! Du hast vermeint, ich
würde jasagen, weil ich selber das Kind nicht gerne vor mir sehen möcht', und
dabei hättest du es auch aus den Augen gekriegt und aus dem Sinn, und das
wär' dir recht gewesen, denn mit der Schamhaftigkeit über seine Sünden hält
es der Mensch wie die Katze mit dem Unrat, weiß sie den nur eingescharrt,
so geht sie stolz davon, als hätte man sie nie darüber hocken gesehen. Du
hättest darauf vergessen und dir einbilden können, es wäre noch alles in alter
GeHörigkeit. Darum bleibt das Kind im Hause und dir unter Augen!" Jetzt
aber muß Leni trotz aller Vorsicht aus dem Hause, und sie setzt sich auf die
Eisenbahn, nach Wien zu kommen.

Auf der Fahrt dahin, im Coupe, macht sie die Bekanntschaft eines alten
Bauern. Der hat an der schmucken Dirne seine Freude, er beobachtet sie, und
da gerade sein verwitweter Schwiegersohn, der Gmsbvdenbauer Kaspar Engert
in Föhrndors, eine zuverlässige Person braucht zu seinem verwaisten Mädchen,
welche es in seiner Nervenkrankheit (dem Veitstanz) betreuen soll, macht der
„Ehul" der Mitreisenden den Vorschlag, diese Stellung anzunehmen. „O, ich
hab' dich ganz g'nau beobacht', mein' liebe Dirn'! Vorhin, wie d' noch munterer
g'wehen bist und die zwei Herren dort ent' im Eck kurzweilige Reden g'führt
hab'n, da haft du wohl g'schmunzelt, denn Spaß bleibt Spaß, und ihn nit ver¬
kennen, das is schon recht, aber verquer is er dir kommen und zur Unzeit, und
d'rum Hast's Lachen bezwungen; wann sich's schickt, würd'se wohl auch 'n Ernst
bezwingen können, und g'rad dös, daß einer geg'n sich selber aufkommen kann,
is 's notwendigste, was der Mensch auf der Welt braucht, und was mer schon
'n Kindern von klein auf beibringen sollt', denn so lang ich's unter'» Händen
hab', verhüt ich wohl, daß 's ein' Dummheit macheu, wann ich's aber freilassen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/98>, abgerufen am 03.06.2024.