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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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zuschieben wagen; denn weder Nepal noch Birma sind Nachbarn, die, wenn sie
zu Feinden werden, zu verachten sind, und die zehn Millionen Muhammedaner
von Hyderabad warten uur ans die Gelegenheit, das Joch der Ungläubigen
abzuwerfen und die alte Herrlichkeit wiederzuerobern. Ringsumher und mitten
im Lande werden furchtbare Gegner aufstehen, und wenn auch vereinzelte Em¬
pörungen bisher immer unterdrückt worden sind, so dürfte eine allgemeine Er¬
hebung, wo nicht den Untergang der britischen Macht, so doch eine furchtbare
Schwächung derselben zur Folge haben.

Diese Ratschläge konnten damals nicht befolgt werden, aber man fuhr nach
dem Pariser Frieden auf feiten der Russen fort, sich zu ihrer Verwirklichung
vorzubereiten, indem sie zuvörderst ihre Herrschaft und ihren Einfluß weiter
über das mittelasiatische Tiefland auszubreiten bemüht waren. 1855 wurde
dem Chan von Chokand die Stadt Taschkend nebst Umgebung entrissen, und
im nächsten Jahre rückte eine russische Armee unter General Romanowski in
Buchara ein, schlug den Chan bei Jedschar und zwang ihm einen Frieden auf,
in welchem er Rußland eine beträchtliche Strecke Landes abtrat, aus der mit
andern neuerdings erworbenen Gebieten das Gouvernement Turkestan gebildet
wurde. Bereits 1868 folgte ein neuer Feldzug, indem der Generalgouvemeur
von Turkestan, General Kaufmann, von Taschkend, das man zur Hauptstadt
des neuen Gouvernements gemacht hatte, in die Gegenden zwischen dem Ann Darga
und dem Sir eindrang, die Bucharen schlug, die Städte Samarkand und
Buchara einnahm und einen Frieden erzwang, der dem russischen Reiche Sa-
markand und verschiedne andre Orte nebst einem Landstriche hinzufügte, welcher
bis in die Nähe des Ann Darga reichte. Daneben verpflichtete sich der Chan,
den russischen Handel in dem ihm verbleibenden Lande zu beschützen und einen
jährlichen Tribut zu entrichten, dessen erste Rate im September 1869 durch
eine Gesandtschaft in Petersburg überbracht wurde. 1873 erklärte Nußland
dem Chan vou Chiwa, dessen Bewohner wiederholt räuberisch in die russischen
Gebiete eingebrochen waren, den Krieg, und Kaufmann marschirte an der Spitze
von 14 000 Mann gegen die Hauptstadt der Chiwesen. Schon einmal, im
Jahre 1839, war ein solcher Zug unternommen worden und vollständig mi߬
lungen. General Pervwski war vou Orenburg aus gegen die Euba und den
Aralsee vorgedrungen, hatte aber, nachdem er durch strenge Kälte sehr erheb¬
liche Verluste an Menschen und Kameelen erlitten, im Februar 1340 unverrich-
teter Sache wieder umkehren müssen. Kaufmann war glücklicher; zwar hatte
er in den Wüste,:, durch welche der Marsch ging, gleichfalls mit großen natür¬
lichen Hindernissen zu kämpfen, sie wurden aber überwunden, und am 12. Juni
1873 hielte" die Russen ihren feierlichen Einzug in der Hauptstadt der Usbeken
von Chiwa, in welcher der Chan bald nachher mit ihnen einen Frieden ab¬
schließen mußte, der ihn zum Vasallen des Zaren machte und diesem das bisher
chiwesische Gebiet ans dem rechten Ufer des Am" Darga nebst dem Delta des


zuschieben wagen; denn weder Nepal noch Birma sind Nachbarn, die, wenn sie
zu Feinden werden, zu verachten sind, und die zehn Millionen Muhammedaner
von Hyderabad warten uur ans die Gelegenheit, das Joch der Ungläubigen
abzuwerfen und die alte Herrlichkeit wiederzuerobern. Ringsumher und mitten
im Lande werden furchtbare Gegner aufstehen, und wenn auch vereinzelte Em¬
pörungen bisher immer unterdrückt worden sind, so dürfte eine allgemeine Er¬
hebung, wo nicht den Untergang der britischen Macht, so doch eine furchtbare
Schwächung derselben zur Folge haben.

Diese Ratschläge konnten damals nicht befolgt werden, aber man fuhr nach
dem Pariser Frieden auf feiten der Russen fort, sich zu ihrer Verwirklichung
vorzubereiten, indem sie zuvörderst ihre Herrschaft und ihren Einfluß weiter
über das mittelasiatische Tiefland auszubreiten bemüht waren. 1855 wurde
dem Chan von Chokand die Stadt Taschkend nebst Umgebung entrissen, und
im nächsten Jahre rückte eine russische Armee unter General Romanowski in
Buchara ein, schlug den Chan bei Jedschar und zwang ihm einen Frieden auf,
in welchem er Rußland eine beträchtliche Strecke Landes abtrat, aus der mit
andern neuerdings erworbenen Gebieten das Gouvernement Turkestan gebildet
wurde. Bereits 1868 folgte ein neuer Feldzug, indem der Generalgouvemeur
von Turkestan, General Kaufmann, von Taschkend, das man zur Hauptstadt
des neuen Gouvernements gemacht hatte, in die Gegenden zwischen dem Ann Darga
und dem Sir eindrang, die Bucharen schlug, die Städte Samarkand und
Buchara einnahm und einen Frieden erzwang, der dem russischen Reiche Sa-
markand und verschiedne andre Orte nebst einem Landstriche hinzufügte, welcher
bis in die Nähe des Ann Darga reichte. Daneben verpflichtete sich der Chan,
den russischen Handel in dem ihm verbleibenden Lande zu beschützen und einen
jährlichen Tribut zu entrichten, dessen erste Rate im September 1869 durch
eine Gesandtschaft in Petersburg überbracht wurde. 1873 erklärte Nußland
dem Chan vou Chiwa, dessen Bewohner wiederholt räuberisch in die russischen
Gebiete eingebrochen waren, den Krieg, und Kaufmann marschirte an der Spitze
von 14 000 Mann gegen die Hauptstadt der Chiwesen. Schon einmal, im
Jahre 1839, war ein solcher Zug unternommen worden und vollständig mi߬
lungen. General Pervwski war vou Orenburg aus gegen die Euba und den
Aralsee vorgedrungen, hatte aber, nachdem er durch strenge Kälte sehr erheb¬
liche Verluste an Menschen und Kameelen erlitten, im Februar 1340 unverrich-
teter Sache wieder umkehren müssen. Kaufmann war glücklicher; zwar hatte
er in den Wüste,:, durch welche der Marsch ging, gleichfalls mit großen natür¬
lichen Hindernissen zu kämpfen, sie wurden aber überwunden, und am 12. Juni
1873 hielte« die Russen ihren feierlichen Einzug in der Hauptstadt der Usbeken
von Chiwa, in welcher der Chan bald nachher mit ihnen einen Frieden ab¬
schließen mußte, der ihn zum Vasallen des Zaren machte und diesem das bisher
chiwesische Gebiet ans dem rechten Ufer des Am» Darga nebst dem Delta des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/116>, abgerufen am 14.06.2024.