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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

Der Herzog räusperte sich und sagte dann: Sehr artig! Sehr fein gegeben!
Aber Ihr umgeht meine Frage.

Ich war eben im Begriff, sie zu beantworten, Altezza: Marcello ahnte
von dem politischen Vorhaben Elters Vetters nicht das Mindeste.

Des Herzogs graue Augen funkelten, aber er machte eine bedauernde Miene.
Das thut mir aufrichtig leid, sagte er, denn der Tod, dem er entgegengeht,
wäre dann ein umso ehrenhafterer gewesen.

In den Augen der Mehrzahl meiner Mitbürger, erwiederte Andrea, gilt
vor allem das beinhalten der Hausehre für ehrenhaft. Diese hat er gegen
einen nächtlichen Einbrecher verteidigt. Mcmtuas Stolz war, im Gegensatz zu
Verona, Venedig und Mailand, seit Menschengedenken auf diese Seite der hei¬
mischen Sitte gerichtet, und dank unsrer erhabenen Herrscher umgiebt den Kreis
der Mantnaner Häuslichkeit eine gewisse Schutzherrlichkeit. Wer es gut mit
dem erlauchten Geschlechte der Gonzagas meint, glaubt daher nicht daran, daß die
Verurteilung Marcellos etwas andres bedeuten kann, als eine Euch, hoher Herr,
erwünscht gekommene Gelegenheit, Gnade walten zu lassen und vor aller Welt
darzuthun, daß Ihr zu hoch stehet, um vor einem dem Grabe zuwankenden
Greise zu zittern.

Der Herzog sagte wegwerfenden Tones: Ihr wählt Eure Worte schlecht,
Signor Primaticcio!

Je öfter mir künftig die hohe Ehre zuteil werden wird, Eurer Herrlichkeit
aufzuwarten, entgegnete Andrea, bescheiden sich verneigend, desto besser wird
meine Zunge die Wahrheit sagen lernen, ohne das Ohr des hohen Hörers zu
verletzen.

Francesco war aufgestanden. Ihr bleibt ein Advokat, sagte er, indem er
dem ebenfalls aufgestandenen Anwalt den Rücken wandte und wieder ans Fenster
trat, daher könnt Ihr mich wohl überreden, aber nicht überzeugen. Gut, ich
gebe zu, Mantua mag über das Todesurteil verschiedner Meinung sein; ich gebe
zu, Gnadenakte sind für die Menge Kennzeichen der Kraft und Sicherheit und
meinetwegen auch der Seelengröße dessen, welcher begnadigt; ich gebe sogar zu:
die Sachlage ist seit dem heutigen Tage eine völlig andre geworden. Aber
wenn ich Euch wie einen Freund behandeln soll, wenn Ihr nicht bloß als
Advokat platirt habt, warum schweigt Ihr dann von einer wichtigen, schwer
ins Gewicht fallenden Kombination völlig?

Bon welcher, Altezza?

Ihr wißt, wovon ich rede.

Durchaus nicht, Altezza.

So muß ich glauben, daß Euer Gedächtnis Euch zu Zeiten wie ein fauler
Knecht bedient. Ich rede von dem Neffen Marcellos, von Abbondio Buvnaeolfi.

Das war in der That die Auslassung, welche sich dem Anwalt nach¬
weisen ließ.


Um eine Perle.

Der Herzog räusperte sich und sagte dann: Sehr artig! Sehr fein gegeben!
Aber Ihr umgeht meine Frage.

Ich war eben im Begriff, sie zu beantworten, Altezza: Marcello ahnte
von dem politischen Vorhaben Elters Vetters nicht das Mindeste.

Des Herzogs graue Augen funkelten, aber er machte eine bedauernde Miene.
Das thut mir aufrichtig leid, sagte er, denn der Tod, dem er entgegengeht,
wäre dann ein umso ehrenhafterer gewesen.

In den Augen der Mehrzahl meiner Mitbürger, erwiederte Andrea, gilt
vor allem das beinhalten der Hausehre für ehrenhaft. Diese hat er gegen
einen nächtlichen Einbrecher verteidigt. Mcmtuas Stolz war, im Gegensatz zu
Verona, Venedig und Mailand, seit Menschengedenken auf diese Seite der hei¬
mischen Sitte gerichtet, und dank unsrer erhabenen Herrscher umgiebt den Kreis
der Mantnaner Häuslichkeit eine gewisse Schutzherrlichkeit. Wer es gut mit
dem erlauchten Geschlechte der Gonzagas meint, glaubt daher nicht daran, daß die
Verurteilung Marcellos etwas andres bedeuten kann, als eine Euch, hoher Herr,
erwünscht gekommene Gelegenheit, Gnade walten zu lassen und vor aller Welt
darzuthun, daß Ihr zu hoch stehet, um vor einem dem Grabe zuwankenden
Greise zu zittern.

Der Herzog sagte wegwerfenden Tones: Ihr wählt Eure Worte schlecht,
Signor Primaticcio!

Je öfter mir künftig die hohe Ehre zuteil werden wird, Eurer Herrlichkeit
aufzuwarten, entgegnete Andrea, bescheiden sich verneigend, desto besser wird
meine Zunge die Wahrheit sagen lernen, ohne das Ohr des hohen Hörers zu
verletzen.

Francesco war aufgestanden. Ihr bleibt ein Advokat, sagte er, indem er
dem ebenfalls aufgestandenen Anwalt den Rücken wandte und wieder ans Fenster
trat, daher könnt Ihr mich wohl überreden, aber nicht überzeugen. Gut, ich
gebe zu, Mantua mag über das Todesurteil verschiedner Meinung sein; ich gebe
zu, Gnadenakte sind für die Menge Kennzeichen der Kraft und Sicherheit und
meinetwegen auch der Seelengröße dessen, welcher begnadigt; ich gebe sogar zu:
die Sachlage ist seit dem heutigen Tage eine völlig andre geworden. Aber
wenn ich Euch wie einen Freund behandeln soll, wenn Ihr nicht bloß als
Advokat platirt habt, warum schweigt Ihr dann von einer wichtigen, schwer
ins Gewicht fallenden Kombination völlig?

Bon welcher, Altezza?

Ihr wißt, wovon ich rede.

Durchaus nicht, Altezza.

So muß ich glauben, daß Euer Gedächtnis Euch zu Zeiten wie ein fauler
Knecht bedient. Ich rede von dem Neffen Marcellos, von Abbondio Buvnaeolfi.

Das war in der That die Auslassung, welche sich dem Anwalt nach¬
weisen ließ.


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[0644] Um eine Perle. Der Herzog räusperte sich und sagte dann: Sehr artig! Sehr fein gegeben! Aber Ihr umgeht meine Frage. Ich war eben im Begriff, sie zu beantworten, Altezza: Marcello ahnte von dem politischen Vorhaben Elters Vetters nicht das Mindeste. Des Herzogs graue Augen funkelten, aber er machte eine bedauernde Miene. Das thut mir aufrichtig leid, sagte er, denn der Tod, dem er entgegengeht, wäre dann ein umso ehrenhafterer gewesen. In den Augen der Mehrzahl meiner Mitbürger, erwiederte Andrea, gilt vor allem das beinhalten der Hausehre für ehrenhaft. Diese hat er gegen einen nächtlichen Einbrecher verteidigt. Mcmtuas Stolz war, im Gegensatz zu Verona, Venedig und Mailand, seit Menschengedenken auf diese Seite der hei¬ mischen Sitte gerichtet, und dank unsrer erhabenen Herrscher umgiebt den Kreis der Mantnaner Häuslichkeit eine gewisse Schutzherrlichkeit. Wer es gut mit dem erlauchten Geschlechte der Gonzagas meint, glaubt daher nicht daran, daß die Verurteilung Marcellos etwas andres bedeuten kann, als eine Euch, hoher Herr, erwünscht gekommene Gelegenheit, Gnade walten zu lassen und vor aller Welt darzuthun, daß Ihr zu hoch stehet, um vor einem dem Grabe zuwankenden Greise zu zittern. Der Herzog sagte wegwerfenden Tones: Ihr wählt Eure Worte schlecht, Signor Primaticcio! Je öfter mir künftig die hohe Ehre zuteil werden wird, Eurer Herrlichkeit aufzuwarten, entgegnete Andrea, bescheiden sich verneigend, desto besser wird meine Zunge die Wahrheit sagen lernen, ohne das Ohr des hohen Hörers zu verletzen. Francesco war aufgestanden. Ihr bleibt ein Advokat, sagte er, indem er dem ebenfalls aufgestandenen Anwalt den Rücken wandte und wieder ans Fenster trat, daher könnt Ihr mich wohl überreden, aber nicht überzeugen. Gut, ich gebe zu, Mantua mag über das Todesurteil verschiedner Meinung sein; ich gebe zu, Gnadenakte sind für die Menge Kennzeichen der Kraft und Sicherheit und meinetwegen auch der Seelengröße dessen, welcher begnadigt; ich gebe sogar zu: die Sachlage ist seit dem heutigen Tage eine völlig andre geworden. Aber wenn ich Euch wie einen Freund behandeln soll, wenn Ihr nicht bloß als Advokat platirt habt, warum schweigt Ihr dann von einer wichtigen, schwer ins Gewicht fallenden Kombination völlig? Bon welcher, Altezza? Ihr wißt, wovon ich rede. Durchaus nicht, Altezza. So muß ich glauben, daß Euer Gedächtnis Euch zu Zeiten wie ein fauler Knecht bedient. Ich rede von dem Neffen Marcellos, von Abbondio Buvnaeolfi. Das war in der That die Auslassung, welche sich dem Anwalt nach¬ weisen ließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/644>, abgerufen am 15.06.2024.