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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Und Ihr führtet mich irre! Ihr wußtet nicht, wo er sei, und stelltet Euch
uur, als ob Jhr's wüßtet.

Nein, Altezza.

Aber er befindet sich nicht in Florenz selbst, oder Ihr wußtet wenigstens,
daß er, bis ich ihn dort fassen konnte, schon über alle Berge sein würde?

Nein, Mezza,

Er befindet sich dort, und auch morgen, auch übermorgen noch? Seht
Euch vor, Signor Primaticcio!

Er wird es nicht wieder verlassen, Altezza.

Im Vertrauen auf den Schutz Cosimos? Ihr spaßet! Ich werde ihn zu
fassen wissen, möchten auch zehn Cosimos Florenz zu seiner Freistatt erklärt
haben,

Ihr werdet ihn nicht zu fassen wissen, Altezza, sagte Andrea sehr ernst,
denn wenigstens in eine Freistatt der Arnostadt reicht Francescos Arm nicht.

Ins Grab? Er ist tot? Abbondio Buouacolsi hat aufgehört zu atmen?

Er war einer der ersten, Altezza, welcher der Pest erlag.




Limmddreißigstes Aapitel.

Der Herzog holte, wie von einer schweren Last befreit, tief Atem. Ge¬
wohnt, sich zu verstellen, hielt er aber den Laut der Freude zurück, der seinen
Lippen entschlüpfen wollte, und in demselben Augenblicke umflorte seinen hell¬
aufleuchtenden Blick auch schon wieder das Mißtrauen.

Und Eure Beweise, Andrea Primaticcio? fragte er.

Zunächst, Altezza, die herzliche Bitte um Eure Verzeihung.

Nein, zunächst Eure Beweise!

Hier sind sie, Altezza.

Andrea griff wieder in seinen Talar; einer jener gelbgefleckten und vielfach
durchstochenen Briefe, denen durch allerhand Räucherprozeduren die Ansteckungs¬
fähigkeit genommen sein soll, kam zum Vorschein.

Der Herzog trat entsetzt zurück. Einen Pcstbrief! rief er; und mir tragt
Ihr diese Giftbüchse aufs Zimmer! Aus meinen Augen! Er hatte sich in den
entlegensten Winkel geflüchtet. Rasch in den Kamin damit! befahl er. Aber
halt! widerrief er, als Andrea gehorchen wollte; Ihr seid sehr schnell, Signor
Primaticcio! Wie lautet der Inhalt? Der Page soll ihn vorlesen, nicht Ihr,
der Page, sage ich. Und er klatschte in die Hände.

Der Page trat ein. Vorlesen, befahl der Herzog.

Der Knabe zitterte beim Anblick des übelcmsschenden Papiers, denn man
hatte schon seit einigen Tagen gemunkelt, es seien irgendwo auf der Halbinsel
wieder Pcsterkrankungeu vorgekommen, und so oft von dergleichen die Rede ist,
pflegt ja ein sichtbares Zeichen, wie ein durchräucherter und durchstochener Brief,


Und Ihr führtet mich irre! Ihr wußtet nicht, wo er sei, und stelltet Euch
uur, als ob Jhr's wüßtet.

Nein, Altezza.

Aber er befindet sich nicht in Florenz selbst, oder Ihr wußtet wenigstens,
daß er, bis ich ihn dort fassen konnte, schon über alle Berge sein würde?

Nein, Mezza,

Er befindet sich dort, und auch morgen, auch übermorgen noch? Seht
Euch vor, Signor Primaticcio!

Er wird es nicht wieder verlassen, Altezza.

Im Vertrauen auf den Schutz Cosimos? Ihr spaßet! Ich werde ihn zu
fassen wissen, möchten auch zehn Cosimos Florenz zu seiner Freistatt erklärt
haben,

Ihr werdet ihn nicht zu fassen wissen, Altezza, sagte Andrea sehr ernst,
denn wenigstens in eine Freistatt der Arnostadt reicht Francescos Arm nicht.

Ins Grab? Er ist tot? Abbondio Buouacolsi hat aufgehört zu atmen?

Er war einer der ersten, Altezza, welcher der Pest erlag.




Limmddreißigstes Aapitel.

Der Herzog holte, wie von einer schweren Last befreit, tief Atem. Ge¬
wohnt, sich zu verstellen, hielt er aber den Laut der Freude zurück, der seinen
Lippen entschlüpfen wollte, und in demselben Augenblicke umflorte seinen hell¬
aufleuchtenden Blick auch schon wieder das Mißtrauen.

Und Eure Beweise, Andrea Primaticcio? fragte er.

Zunächst, Altezza, die herzliche Bitte um Eure Verzeihung.

Nein, zunächst Eure Beweise!

Hier sind sie, Altezza.

Andrea griff wieder in seinen Talar; einer jener gelbgefleckten und vielfach
durchstochenen Briefe, denen durch allerhand Räucherprozeduren die Ansteckungs¬
fähigkeit genommen sein soll, kam zum Vorschein.

Der Herzog trat entsetzt zurück. Einen Pcstbrief! rief er; und mir tragt
Ihr diese Giftbüchse aufs Zimmer! Aus meinen Augen! Er hatte sich in den
entlegensten Winkel geflüchtet. Rasch in den Kamin damit! befahl er. Aber
halt! widerrief er, als Andrea gehorchen wollte; Ihr seid sehr schnell, Signor
Primaticcio! Wie lautet der Inhalt? Der Page soll ihn vorlesen, nicht Ihr,
der Page, sage ich. Und er klatschte in die Hände.

Der Page trat ein. Vorlesen, befahl der Herzog.

Der Knabe zitterte beim Anblick des übelcmsschenden Papiers, denn man
hatte schon seit einigen Tagen gemunkelt, es seien irgendwo auf der Halbinsel
wieder Pcsterkrankungeu vorgekommen, und so oft von dergleichen die Rede ist,
pflegt ja ein sichtbares Zeichen, wie ein durchräucherter und durchstochener Brief,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/696>, abgerufen am 17.06.2024.