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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

das unheimliche Vorgefühl des Näherrückens des bösen Feindes in Grauen zu
verwandeln.

Aber der Herzog befahl von neuem: Vorlesen! Und der Page erfüllte,
sogut es gehen wollte, feine Pflicht.

Als er fertig war und sich mit bebenden Knieen entfernt hatte, ließ Fran-
cesco den Brief durch den Anwalt in Asche verwandeln.

Erst dann trat er wieder näher. Er hatte auf jedes Wort genau Acht
gegeben. Der Schreiber des Briefes, ein ihm bekannter, längst aus Furcht vor
den Spähern des Herzogs nach Florenz übergesiedelter Anhänger der Buona-
colsis, war ihm auch seiner Schreibweise nach nicht fremd: mehr als einer seiner
um den alten Marcello gerichteten Briefe war von Vitalianos Spähern auf¬
gefangen worden und ruhte in dem Geheimfach Fraueeseos. Der Pcstbrief
war echt, so echt, daß der Page beim mühsamen Entziffern der Zeilen zuweilen
aus Angst vor der Wirkung des wunderlich respektwidrigeu Inhalts nicht weiter
zu lesen gewagt hatte. Aber nach dieser Seite war Francesco, trotz der erst
so kurzen Dauer seines Regiments, dnrch sein Spähersystem schon abgehärtet.
Ihm lag es vor allem darau, über den Tod Abbondivs Gewißheit zu erhalten,
und diese hatte er jetzt; selbst ihm, dein tief von Mißtrauen Erfüllten, war nach
Anhörung des Schreibens der letzte Zweifel geschwunden.

Von diesem Gefühl ungewöhnlicher Beruhigung durchdrungen und auch
über die wenig fürstliche Rolle beschämt, welche er uuter dem Drucke chamäleon¬
artig wechselnder Stimmungsfärbungcn dem mutigen Anwalt gegenüber gespielt
hatte, warf der Herzog endlich die letzten Hintergedanken, mit denen das Ver¬
hältnis zu dem neuen Würdenträger eingegangen worden war, von sich.

Ich verberge Euch uicht länger, sagte er, daß ich glücklich bin, von dem
Alpdrucke, den ich über mich hatte Gewalt gewinnen lassen, befreit zu sein, und
selbst wenn ich's Euch verbergen wollte, was könnte es helfen? Wenige haben
Gelegenheit gehabt, so tief auf den Abgrund meiner Seele zu schauen, wie Ihr
in dieser Stunde. Ist es Euch dabei zuweilen unheimlich geworden, so bedenkt,
daß ich von der Natur nicht mit jenen bestechenden Gaben ausgestattet wurde,
welche schon so manchem Herrscher das Regieren leicht machten -- v ich weiß,
man liebt Francesco nicht, wehrte er die widersprechende Geste des alten Ur¬
walds ab. Nun denn, fuhr er fort, für das Opfer, das Ihr mir bringt, für
den Schein des Überlciufertums, der Euch in der Auffassung vieler umgeben
wird, möglicherweise auch für Widerwärtigkeiten, die Euch mein tiefwurzelndes
Mißtrauen gegen die Menschen ohne Ausnahme bereiten wird, für alles das
kann ich Euch nicht entschädigen -- nnr das Bewußtsein, dem Vaterlande zu
dienen, kann es. Aber versprechen wenigstens, daß ich Euch ohne Rückhalt zu
vertrauen suchen will, das kann ich, und das thue ich mit diesem Handschlage
und diesem Kuß. Er umarmte ihn. Und damit anch ein äußeres Wahrzeichen
dieses meines ehrlichen Entschlusses nicht fehle, fuhr er fort, nehmt hier das


Um eine Perle.

das unheimliche Vorgefühl des Näherrückens des bösen Feindes in Grauen zu
verwandeln.

Aber der Herzog befahl von neuem: Vorlesen! Und der Page erfüllte,
sogut es gehen wollte, feine Pflicht.

Als er fertig war und sich mit bebenden Knieen entfernt hatte, ließ Fran-
cesco den Brief durch den Anwalt in Asche verwandeln.

Erst dann trat er wieder näher. Er hatte auf jedes Wort genau Acht
gegeben. Der Schreiber des Briefes, ein ihm bekannter, längst aus Furcht vor
den Spähern des Herzogs nach Florenz übergesiedelter Anhänger der Buona-
colsis, war ihm auch seiner Schreibweise nach nicht fremd: mehr als einer seiner
um den alten Marcello gerichteten Briefe war von Vitalianos Spähern auf¬
gefangen worden und ruhte in dem Geheimfach Fraueeseos. Der Pcstbrief
war echt, so echt, daß der Page beim mühsamen Entziffern der Zeilen zuweilen
aus Angst vor der Wirkung des wunderlich respektwidrigeu Inhalts nicht weiter
zu lesen gewagt hatte. Aber nach dieser Seite war Francesco, trotz der erst
so kurzen Dauer seines Regiments, dnrch sein Spähersystem schon abgehärtet.
Ihm lag es vor allem darau, über den Tod Abbondivs Gewißheit zu erhalten,
und diese hatte er jetzt; selbst ihm, dein tief von Mißtrauen Erfüllten, war nach
Anhörung des Schreibens der letzte Zweifel geschwunden.

Von diesem Gefühl ungewöhnlicher Beruhigung durchdrungen und auch
über die wenig fürstliche Rolle beschämt, welche er uuter dem Drucke chamäleon¬
artig wechselnder Stimmungsfärbungcn dem mutigen Anwalt gegenüber gespielt
hatte, warf der Herzog endlich die letzten Hintergedanken, mit denen das Ver¬
hältnis zu dem neuen Würdenträger eingegangen worden war, von sich.

Ich verberge Euch uicht länger, sagte er, daß ich glücklich bin, von dem
Alpdrucke, den ich über mich hatte Gewalt gewinnen lassen, befreit zu sein, und
selbst wenn ich's Euch verbergen wollte, was könnte es helfen? Wenige haben
Gelegenheit gehabt, so tief auf den Abgrund meiner Seele zu schauen, wie Ihr
in dieser Stunde. Ist es Euch dabei zuweilen unheimlich geworden, so bedenkt,
daß ich von der Natur nicht mit jenen bestechenden Gaben ausgestattet wurde,
welche schon so manchem Herrscher das Regieren leicht machten — v ich weiß,
man liebt Francesco nicht, wehrte er die widersprechende Geste des alten Ur¬
walds ab. Nun denn, fuhr er fort, für das Opfer, das Ihr mir bringt, für
den Schein des Überlciufertums, der Euch in der Auffassung vieler umgeben
wird, möglicherweise auch für Widerwärtigkeiten, die Euch mein tiefwurzelndes
Mißtrauen gegen die Menschen ohne Ausnahme bereiten wird, für alles das
kann ich Euch nicht entschädigen — nnr das Bewußtsein, dem Vaterlande zu
dienen, kann es. Aber versprechen wenigstens, daß ich Euch ohne Rückhalt zu
vertrauen suchen will, das kann ich, und das thue ich mit diesem Handschlage
und diesem Kuß. Er umarmte ihn. Und damit anch ein äußeres Wahrzeichen
dieses meines ehrlichen Entschlusses nicht fehle, fuhr er fort, nehmt hier das


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[0697] Um eine Perle. das unheimliche Vorgefühl des Näherrückens des bösen Feindes in Grauen zu verwandeln. Aber der Herzog befahl von neuem: Vorlesen! Und der Page erfüllte, sogut es gehen wollte, feine Pflicht. Als er fertig war und sich mit bebenden Knieen entfernt hatte, ließ Fran- cesco den Brief durch den Anwalt in Asche verwandeln. Erst dann trat er wieder näher. Er hatte auf jedes Wort genau Acht gegeben. Der Schreiber des Briefes, ein ihm bekannter, längst aus Furcht vor den Spähern des Herzogs nach Florenz übergesiedelter Anhänger der Buona- colsis, war ihm auch seiner Schreibweise nach nicht fremd: mehr als einer seiner um den alten Marcello gerichteten Briefe war von Vitalianos Spähern auf¬ gefangen worden und ruhte in dem Geheimfach Fraueeseos. Der Pcstbrief war echt, so echt, daß der Page beim mühsamen Entziffern der Zeilen zuweilen aus Angst vor der Wirkung des wunderlich respektwidrigeu Inhalts nicht weiter zu lesen gewagt hatte. Aber nach dieser Seite war Francesco, trotz der erst so kurzen Dauer seines Regiments, dnrch sein Spähersystem schon abgehärtet. Ihm lag es vor allem darau, über den Tod Abbondivs Gewißheit zu erhalten, und diese hatte er jetzt; selbst ihm, dein tief von Mißtrauen Erfüllten, war nach Anhörung des Schreibens der letzte Zweifel geschwunden. Von diesem Gefühl ungewöhnlicher Beruhigung durchdrungen und auch über die wenig fürstliche Rolle beschämt, welche er uuter dem Drucke chamäleon¬ artig wechselnder Stimmungsfärbungcn dem mutigen Anwalt gegenüber gespielt hatte, warf der Herzog endlich die letzten Hintergedanken, mit denen das Ver¬ hältnis zu dem neuen Würdenträger eingegangen worden war, von sich. Ich verberge Euch uicht länger, sagte er, daß ich glücklich bin, von dem Alpdrucke, den ich über mich hatte Gewalt gewinnen lassen, befreit zu sein, und selbst wenn ich's Euch verbergen wollte, was könnte es helfen? Wenige haben Gelegenheit gehabt, so tief auf den Abgrund meiner Seele zu schauen, wie Ihr in dieser Stunde. Ist es Euch dabei zuweilen unheimlich geworden, so bedenkt, daß ich von der Natur nicht mit jenen bestechenden Gaben ausgestattet wurde, welche schon so manchem Herrscher das Regieren leicht machten — v ich weiß, man liebt Francesco nicht, wehrte er die widersprechende Geste des alten Ur¬ walds ab. Nun denn, fuhr er fort, für das Opfer, das Ihr mir bringt, für den Schein des Überlciufertums, der Euch in der Auffassung vieler umgeben wird, möglicherweise auch für Widerwärtigkeiten, die Euch mein tiefwurzelndes Mißtrauen gegen die Menschen ohne Ausnahme bereiten wird, für alles das kann ich Euch nicht entschädigen — nnr das Bewußtsein, dem Vaterlande zu dienen, kann es. Aber versprechen wenigstens, daß ich Euch ohne Rückhalt zu vertrauen suchen will, das kann ich, und das thue ich mit diesem Handschlage und diesem Kuß. Er umarmte ihn. Und damit anch ein äußeres Wahrzeichen dieses meines ehrlichen Entschlusses nicht fehle, fuhr er fort, nehmt hier das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/697>, abgerufen am 18.05.2024.