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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

reizte die Muslime der kleinen Bucharei und Ostturkcstans wiederholt zu Auf¬
ständen gegen ihre chinesischen Oberherren auf, während andre, darunter auch
englische, in Jarkand und Chokaud, in Buchara und Chiwa eifrig für die
Interessen ihrer Auftraggeber wirkten und sich gegenseitig zu schaden suchten.
Ihre Bemühungen waren in diesen Usbekenstaaten erst später erfolgreich für
Rußland. Dagegen zeigten sich in Persien und Afghanistan infolge solcher
diplomatischen Arbeit schon jetzt Vorspiele des unausbleiblichen Kampfes zwischen
den Russen und Briten.

Nach dem Kriege, der im Februar 1828 mit dein für Persien äußerst
nachteiligen Frieden von Turkmantschai endigte, schlug der Schah in feiner
Politik andre Wege als die bisherigen ein. England hatte ihm während
des Krieges die vertragsmäßig versprochenen Hilfsgelder verweigert und bei
den Verhandlungen eine unfreundliche Sprache geführt. Er hoffte für die
Zukunft von dieser Macht nichts mehr, und Rußland wurde jetzt in Teheran
der einflußreichere Ratgeber. Auf Empfehlung des russischen Gesandten Si-
mouitsch ernannte der Schah Fels Ali deu Prinzen Muhammed Mirza zu
seinem Nachfolger, und auf Anraten desselben Diplomaten versuchte dieser
junge Fürst 1834 gleich nach seiner Thronbesteigung die Gelegenheit, die ein
Aufstand in Chorassan zu einer Ausdehnung der Perserherrschaft nach Südosten
hin zu bieten schien, zu benutzen, mit andern Worten, er unternahm es, Belu-
dschistan und das südliche Afghanistan, also alles Land bis an die Grenzen
Indiens, zu unterwerfe", was bei dein Einflüsse, den Rußland in Teheran übte,
einer Erweiterung der Machtsphäre desselben bis an den Indus ungefähr
gleichgekommen wäre. Der Plan mißlang, obwohl er anfangs nicht ohne Aus¬
sichten war. Hatte doch ein Abgeordneter der Baraksi-Fürsten, die von Kandcihar
aus über das südwestliche Afghanistan geboten, in Teheran erklärt, mit dem
Beistände seiner Chane könne der Schah bis Delhi vordringen und Indien bis
dahin wieder dem Islam unterwerfen, und schien doch selbst der Emir Dose
Muhauied in Kabul geneigt, die Oberherrlichkeit der "Zuflucht des Weltalls"
anzuerkennen, wenn ihm Hilfe zur Bekämpfung der ungläubigen Sikhs gewährt
würde. Der britische Gesandte in Teheran riet dringend von dem Unternehmen
ab, aber vergeblich. Der erste Zug des Schah gegen Chvraffau mißlang voll¬
ständig, aber sofort wurde mit russischem Gelde zu einem zweiten gerüstet, der im
nächste" Frühlinge stattfinden sollte. In Petersburg behauptete man zwar, als
die Engländer sich nach der Sache erkundigten, Simonitsch handle gegen die
ihm zugegangenen Instruktionen, der Graf hatte aber geheime Weisungen, und
so änderte er sein bisheriges Verhalten nicht. 1837, während Schah Mu¬
hammed sich zu seinein zweiten Feldzuge nach Chorassan anschickte, sandte er
deu Adjutanten des Generals Perowski in Orenburg, einen Kapitän Witkowitsch,
an die Baralst-Sirdars in Kandcihar und Kabul mit der Aufforderung, sich
in den Schutz des Zaren zu begeben, der sie gegen die Sikhs unterstützen werde.


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

reizte die Muslime der kleinen Bucharei und Ostturkcstans wiederholt zu Auf¬
ständen gegen ihre chinesischen Oberherren auf, während andre, darunter auch
englische, in Jarkand und Chokaud, in Buchara und Chiwa eifrig für die
Interessen ihrer Auftraggeber wirkten und sich gegenseitig zu schaden suchten.
Ihre Bemühungen waren in diesen Usbekenstaaten erst später erfolgreich für
Rußland. Dagegen zeigten sich in Persien und Afghanistan infolge solcher
diplomatischen Arbeit schon jetzt Vorspiele des unausbleiblichen Kampfes zwischen
den Russen und Briten.

Nach dem Kriege, der im Februar 1828 mit dein für Persien äußerst
nachteiligen Frieden von Turkmantschai endigte, schlug der Schah in feiner
Politik andre Wege als die bisherigen ein. England hatte ihm während
des Krieges die vertragsmäßig versprochenen Hilfsgelder verweigert und bei
den Verhandlungen eine unfreundliche Sprache geführt. Er hoffte für die
Zukunft von dieser Macht nichts mehr, und Rußland wurde jetzt in Teheran
der einflußreichere Ratgeber. Auf Empfehlung des russischen Gesandten Si-
mouitsch ernannte der Schah Fels Ali deu Prinzen Muhammed Mirza zu
seinem Nachfolger, und auf Anraten desselben Diplomaten versuchte dieser
junge Fürst 1834 gleich nach seiner Thronbesteigung die Gelegenheit, die ein
Aufstand in Chorassan zu einer Ausdehnung der Perserherrschaft nach Südosten
hin zu bieten schien, zu benutzen, mit andern Worten, er unternahm es, Belu-
dschistan und das südliche Afghanistan, also alles Land bis an die Grenzen
Indiens, zu unterwerfe», was bei dein Einflüsse, den Rußland in Teheran übte,
einer Erweiterung der Machtsphäre desselben bis an den Indus ungefähr
gleichgekommen wäre. Der Plan mißlang, obwohl er anfangs nicht ohne Aus¬
sichten war. Hatte doch ein Abgeordneter der Baraksi-Fürsten, die von Kandcihar
aus über das südwestliche Afghanistan geboten, in Teheran erklärt, mit dem
Beistände seiner Chane könne der Schah bis Delhi vordringen und Indien bis
dahin wieder dem Islam unterwerfen, und schien doch selbst der Emir Dose
Muhauied in Kabul geneigt, die Oberherrlichkeit der „Zuflucht des Weltalls"
anzuerkennen, wenn ihm Hilfe zur Bekämpfung der ungläubigen Sikhs gewährt
würde. Der britische Gesandte in Teheran riet dringend von dem Unternehmen
ab, aber vergeblich. Der erste Zug des Schah gegen Chvraffau mißlang voll¬
ständig, aber sofort wurde mit russischem Gelde zu einem zweiten gerüstet, der im
nächste» Frühlinge stattfinden sollte. In Petersburg behauptete man zwar, als
die Engländer sich nach der Sache erkundigten, Simonitsch handle gegen die
ihm zugegangenen Instruktionen, der Graf hatte aber geheime Weisungen, und
so änderte er sein bisheriges Verhalten nicht. 1837, während Schah Mu¬
hammed sich zu seinein zweiten Feldzuge nach Chorassan anschickte, sandte er
deu Adjutanten des Generals Perowski in Orenburg, einen Kapitän Witkowitsch,
an die Baralst-Sirdars in Kandcihar und Kabul mit der Aufforderung, sich
in den Schutz des Zaren zu begeben, der sie gegen die Sikhs unterstützen werde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/8>, abgerufen am 22.05.2024.