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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Empfehlungsschreiben Muhammeds, welche dieser Offizier mitnahm, deuteten die
weitgehenden Absichten an, die der Schah im Vereine mit Rußland verwirklichen
wollte. Er gedachte, die Großthaten Nadir Schäds zu wiederholen und die
Fahne des Islam am Indus aufzupflanzen. Zunächst sollte Herat eingenommen
werden, dann beabsichtigten die Perser gegen Bates zu ziehen und später, am
Ann Darga vorrückend, Chiwa zu unterjochen und sich dort mit den Truppen
Perowskis zum Marsche nach Indien zu vereinigen, der zunächst von Herat
nach Farrah und Kandahar gehen sollte.

Das Verhältnis Englands zu Persien wurde unter diesen Umständen immer
gespannter. Während der Schah mit 40000 Mann gegen Herat anrückte, unter¬
hielten die Engländer freundschaftlichen Verkehr mit den dortigen Rebellen. Die
Minister des Schah protestirten dagegen, und als der britische Gesandte Mac
Reil diese Beschwerde zurückwies, schritten sie zu Gewaltmaßregeln, indem sie
einen in englischen Diensten stehenden Boten mit Depeschen aus Herat, die für
Mac Neit bestimmt waren, auf dein Wege nach Teheran gefangennehmen ließen.
Die von Mac Reil geforderte Genugthuung wurde in gereiztem Tone verweigert.
Man verließ sich auf die Russen. Hatte doch Witkowitsch versichert, nächstens
werde in Asterabad ein russisches Hilfsheer landen, um mit dem Schah gegen
die Durani in Herat vorzugehen. Mit den Sirdars der Baraksi in Kandahar
war bereits unter russischer Bürgschaft ein Vertrag abgeschlossen worden, nach
welchem sie sich der Oberherrlichkeit der Perser unterwerfen und dafür die Ver¬
waltung der Oase Herat erhalten sollten. In England erkannte man jetzt die
ganze Größe der Gefahr, welche Indien von Persien aus bedrohte, und Mac
Reil wurde angewiesen, dem Schah zu erklären, wem? er seine Pläne gegen
Afghanistan nicht aufgebe, so werde es zum Bruche zwischen ihm lind Gro߬
britannien kommen. Mit dieser Erklärung erschien der englische Gesandte im
persischen Lager vor Herat, und der Schah schien nachgeben und auf ein fried¬
liches Abkommen mit den Belagerten, wie es Mac Reil beiden Parteien vor¬
geschlagen hatte, eingehen zu Wollen. Aber Simvnitsch, der inzwischen gleichfalls
angelangt war, wußte ihn umzustimmen. Er schoß eine beträchtliche Summe
vor, damit den persischen Truppen der rückständige Sold gezahlt werden könne,
und ließ denselben sogar durch den ihn begleitenden russischen Generalstnbs-
offizier Rat bei der Errichtung von Batterien und bei untern militärische"
Maßnahmen erteilen. Mac Reil übergab nunmehr den: persischen Hofe ein
Ultimatum, in welchem er Verständigung des Schah mit den Schützlingen Eng¬
lands in Herat, Bestrafung derer, die den Boden der Gesandtschaft belästigt hatten,
Abschluß eines Handelsvertrages mit Großbritannien und Absetzung des Statt¬
halters von Buschir um persischen Meerbusen, der einen britischen Residenten
bedroht hatte, verlangte, und als der Schah diese Forderungen ablehnte, reiste
er im Juni 1838 von Teheran nach der Türkei ab. Bald nachher erschien ans
Ansuchen Mac Neith und auf Befehl Lord Aucklands, des Vizekönigs von Indien,


Empfehlungsschreiben Muhammeds, welche dieser Offizier mitnahm, deuteten die
weitgehenden Absichten an, die der Schah im Vereine mit Rußland verwirklichen
wollte. Er gedachte, die Großthaten Nadir Schäds zu wiederholen und die
Fahne des Islam am Indus aufzupflanzen. Zunächst sollte Herat eingenommen
werden, dann beabsichtigten die Perser gegen Bates zu ziehen und später, am
Ann Darga vorrückend, Chiwa zu unterjochen und sich dort mit den Truppen
Perowskis zum Marsche nach Indien zu vereinigen, der zunächst von Herat
nach Farrah und Kandahar gehen sollte.

Das Verhältnis Englands zu Persien wurde unter diesen Umständen immer
gespannter. Während der Schah mit 40000 Mann gegen Herat anrückte, unter¬
hielten die Engländer freundschaftlichen Verkehr mit den dortigen Rebellen. Die
Minister des Schah protestirten dagegen, und als der britische Gesandte Mac
Reil diese Beschwerde zurückwies, schritten sie zu Gewaltmaßregeln, indem sie
einen in englischen Diensten stehenden Boten mit Depeschen aus Herat, die für
Mac Neit bestimmt waren, auf dein Wege nach Teheran gefangennehmen ließen.
Die von Mac Reil geforderte Genugthuung wurde in gereiztem Tone verweigert.
Man verließ sich auf die Russen. Hatte doch Witkowitsch versichert, nächstens
werde in Asterabad ein russisches Hilfsheer landen, um mit dem Schah gegen
die Durani in Herat vorzugehen. Mit den Sirdars der Baraksi in Kandahar
war bereits unter russischer Bürgschaft ein Vertrag abgeschlossen worden, nach
welchem sie sich der Oberherrlichkeit der Perser unterwerfen und dafür die Ver¬
waltung der Oase Herat erhalten sollten. In England erkannte man jetzt die
ganze Größe der Gefahr, welche Indien von Persien aus bedrohte, und Mac
Reil wurde angewiesen, dem Schah zu erklären, wem? er seine Pläne gegen
Afghanistan nicht aufgebe, so werde es zum Bruche zwischen ihm lind Gro߬
britannien kommen. Mit dieser Erklärung erschien der englische Gesandte im
persischen Lager vor Herat, und der Schah schien nachgeben und auf ein fried¬
liches Abkommen mit den Belagerten, wie es Mac Reil beiden Parteien vor¬
geschlagen hatte, eingehen zu Wollen. Aber Simvnitsch, der inzwischen gleichfalls
angelangt war, wußte ihn umzustimmen. Er schoß eine beträchtliche Summe
vor, damit den persischen Truppen der rückständige Sold gezahlt werden könne,
und ließ denselben sogar durch den ihn begleitenden russischen Generalstnbs-
offizier Rat bei der Errichtung von Batterien und bei untern militärische»
Maßnahmen erteilen. Mac Reil übergab nunmehr den: persischen Hofe ein
Ultimatum, in welchem er Verständigung des Schah mit den Schützlingen Eng¬
lands in Herat, Bestrafung derer, die den Boden der Gesandtschaft belästigt hatten,
Abschluß eines Handelsvertrages mit Großbritannien und Absetzung des Statt¬
halters von Buschir um persischen Meerbusen, der einen britischen Residenten
bedroht hatte, verlangte, und als der Schah diese Forderungen ablehnte, reiste
er im Juni 1838 von Teheran nach der Türkei ab. Bald nachher erschien ans
Ansuchen Mac Neith und auf Befehl Lord Aucklands, des Vizekönigs von Indien,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/9>, abgerufen am 15.06.2024.