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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpronßische Skizzen.

Die Wahrheit ist einfach die, daß die Frühlinge spät und rauh, die Winter
oft sehr strenge sind und auch in die Sommerszeit hinein zuweilen ein rauher
Zug kommt; sonst läßt die Sommerwärme recht häufig nichts zu wünschen
übrig, und die Herbste sind oft sehr schön. Das alles weiß der Ostprcuße auch
recht gut, ist jedoch geneigt, seinem Klima schlimmeres nachzusagen. Aber ab¬
gesehen von solchen Ausbrüchen übler Laune, die man vielleicht auch als eine
Art Koketterie mit dem rauhen Klima bezeichnen könnte, ist der Ostpreuße
ungemein heimatstolz und hält seine Provinz ohne weiteres für den besten und
fruchtbarsten, ja wohl auch für den schönsten Teil Deutschlands. Und wenn¬
gleich letzteres unhaltbar, sogar ein wenig krankhaft ist, so bleibt es doch in
der That richtig, daß Deutschland hier eine herrliche, in ihrer Produktions- und
Entwicklungsfähigkeit noch lange nicht genug gewürdigte Provinz besitzt. Was
ihr fehlt, sind: Kapital, Verbindungen und -- Hinterland. Ein Eisenbahn- und
Chausseennetz ist in der Vollendung begriffen und hat heute schon solche Ver¬
änderungen hervorgebracht, daß ein vor zwanzig Jahren ausgewanderter Ostpreuße
seine Heimat heute nicht mehr zu erkennen vermöchte; das Kapital beginnt sich dem
Lande zuzuwenden. Diese beiden Voraussetzungen einer künftigen Blüte treten
also allmählich in die Wirklichkeit. Was die Frage eines künftigen Hinterlandes
betrifft, so ist diese allerdings delikater Natur und in der Öffentlichkeit nicht
wohl zu besprechen; man muß sich da mit bloßen Andeutungen begnügen. Es
ist nicht daran vorbeizukommen, daß Ostpreußen (ebenso wie auch Westpreußen)
wirtschaftlich mir ein Anhängsel Polens ist, und daß hiernach die Sympathien
billig gewürdigt werden müssen, welche Städte und Adel dieser Provinz so lange
Zeit hindurch nach Süden statt nach dem stammverwandten Westen zogen. Nun
siud Ost- und Westpreußen, wills Gott auf ewige Zeit, von polnischer Ober¬
herrschaft befreit, aber eben infolge hiervon stehen sie wirtschaftlich ein wenig
in der Luft; sie können nicht recht zur Blüte kommen, und Polen geht, seiner
natürlichen Strom- und Seeverkehrsorgane beraubt, zu gründe. Wird je die
Zeit kommen, wo das alte Land in umgekehrtem Sinne wiederhergestellt wird?
Wer kann es wissen?

Ostpreußen ist nicht gleichmäßig fruchtbar. Man kann in der That sagen,
daß es für das Land nichts Charakteristischeres giebt als die neben und durch
einander liegenden schärfsten Gegensätze. Da liegt ein herrliches Gut oder Dorf
recht wie eine Oase mitten in einer Sandwüste; da erstreckt sich wieder mitten
in fruchtbarster Gegend ein völlig öder Landstrich. Großenteils sind dies in¬
dessen Verhältnisse, welche sich durch sorgfältigen, energisch betriebenen Anbau
bessern lassen, denn zum Teil sind sie auf nichts andres als auf die (polnische)
Nationalität der Bebauer oder auf die Rückwirkungen früheren Besitzstandes
zurückzuführen. Doch spielt in einem großen, den Süden und Südwesten aus¬
machenden Teile des Landes, nämlich in dem ganzen eigentlichen Masuren, auch
die natürliche Bodenbeschaffenheit eine Rolle, an der sich höchstens durch all-


Gstpronßische Skizzen.

Die Wahrheit ist einfach die, daß die Frühlinge spät und rauh, die Winter
oft sehr strenge sind und auch in die Sommerszeit hinein zuweilen ein rauher
Zug kommt; sonst läßt die Sommerwärme recht häufig nichts zu wünschen
übrig, und die Herbste sind oft sehr schön. Das alles weiß der Ostprcuße auch
recht gut, ist jedoch geneigt, seinem Klima schlimmeres nachzusagen. Aber ab¬
gesehen von solchen Ausbrüchen übler Laune, die man vielleicht auch als eine
Art Koketterie mit dem rauhen Klima bezeichnen könnte, ist der Ostpreuße
ungemein heimatstolz und hält seine Provinz ohne weiteres für den besten und
fruchtbarsten, ja wohl auch für den schönsten Teil Deutschlands. Und wenn¬
gleich letzteres unhaltbar, sogar ein wenig krankhaft ist, so bleibt es doch in
der That richtig, daß Deutschland hier eine herrliche, in ihrer Produktions- und
Entwicklungsfähigkeit noch lange nicht genug gewürdigte Provinz besitzt. Was
ihr fehlt, sind: Kapital, Verbindungen und — Hinterland. Ein Eisenbahn- und
Chausseennetz ist in der Vollendung begriffen und hat heute schon solche Ver¬
änderungen hervorgebracht, daß ein vor zwanzig Jahren ausgewanderter Ostpreuße
seine Heimat heute nicht mehr zu erkennen vermöchte; das Kapital beginnt sich dem
Lande zuzuwenden. Diese beiden Voraussetzungen einer künftigen Blüte treten
also allmählich in die Wirklichkeit. Was die Frage eines künftigen Hinterlandes
betrifft, so ist diese allerdings delikater Natur und in der Öffentlichkeit nicht
wohl zu besprechen; man muß sich da mit bloßen Andeutungen begnügen. Es
ist nicht daran vorbeizukommen, daß Ostpreußen (ebenso wie auch Westpreußen)
wirtschaftlich mir ein Anhängsel Polens ist, und daß hiernach die Sympathien
billig gewürdigt werden müssen, welche Städte und Adel dieser Provinz so lange
Zeit hindurch nach Süden statt nach dem stammverwandten Westen zogen. Nun
siud Ost- und Westpreußen, wills Gott auf ewige Zeit, von polnischer Ober¬
herrschaft befreit, aber eben infolge hiervon stehen sie wirtschaftlich ein wenig
in der Luft; sie können nicht recht zur Blüte kommen, und Polen geht, seiner
natürlichen Strom- und Seeverkehrsorgane beraubt, zu gründe. Wird je die
Zeit kommen, wo das alte Land in umgekehrtem Sinne wiederhergestellt wird?
Wer kann es wissen?

Ostpreußen ist nicht gleichmäßig fruchtbar. Man kann in der That sagen,
daß es für das Land nichts Charakteristischeres giebt als die neben und durch
einander liegenden schärfsten Gegensätze. Da liegt ein herrliches Gut oder Dorf
recht wie eine Oase mitten in einer Sandwüste; da erstreckt sich wieder mitten
in fruchtbarster Gegend ein völlig öder Landstrich. Großenteils sind dies in¬
dessen Verhältnisse, welche sich durch sorgfältigen, energisch betriebenen Anbau
bessern lassen, denn zum Teil sind sie auf nichts andres als auf die (polnische)
Nationalität der Bebauer oder auf die Rückwirkungen früheren Besitzstandes
zurückzuführen. Doch spielt in einem großen, den Süden und Südwesten aus¬
machenden Teile des Landes, nämlich in dem ganzen eigentlichen Masuren, auch
die natürliche Bodenbeschaffenheit eine Rolle, an der sich höchstens durch all-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/80>, abgerufen am 21.05.2024.