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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das Wachstum Berlins und der Maurerstreik.

mehr in Berlin! Keine Feder reicht hin, um den Zustand zu schildern, der dann
über Berlin hereinbräche, und keine Polizeimacht der Welt würde alsdann die
schrecklichsten Szenen von Berlin fernhalten können. Bis zu dem Augenblicke
also, wo etwa wieder einmal ein Plus an Wohnungen produzirt wird, werden
und müssen die Maurer das Feld behaupten. Auch können wir hierin in der
That kein so großes Unglück erblicken. Die Arbeiter wollen auch leben, und
es kann billigerweise uicht in Abrede gestellt werden, daß der heute verlangte
Lohn nach Berliner Verhältnissen immer noch durchaus kein exorbitanter ist.
Man spricht viel von den kolossalen Löhnen der Bauhandwerker in den
Gründungsjahren, von den üppigen Frühstücken, welche damals deu Leuten zur
Lebensgewohnheit geworden wären, und überhaupt den maßlosen Ansprüchen,
an welche dieselben sich damals gewöhnt hatten; aber man vergißt zu sagen,
daß damals anch die Sparkasseneinlagen kolossal wuchsen, und daß auch die
Welt noch nicht untergeht, wenn der Arbeiter in besonders günstigen Zeiten
auch einmal ein Glas Champagner trinkt. Soll Berlin eine in halbwegs ge¬
sunder Weise emporblühende Weltstadt sein -- nun, dann muß doch wenigstens
in einigen Branchen der Arbeiter ordentlichen Verdienst haben, und mehr als
das ist unsers Erachtens ein Lohn von fünf Mark auf 200 bis 250 Arbeits¬
tage nicht.

Nun hört man ja wohl sagen: die Bauunternehmer vermöchten diesen Lohn
uicht zu bezahlen. Es mag sein, daß eine Anzahl jener Schwindcluuternchmer,
die eben einen Bau (mit fremdem Gelde) im Gange haben müssen, weil sie
sonst nichts zu essen haben, und die ihre Unternehmungen fast regelmäßig damit
abschließen, daß zahlreiche arme, fleißige Handwerker ihr Geld dabei verlieren --
mag sein, sagen wir, daß eine Anzahl solcher Leute den Streik nicht aushält
und zusammenbricht; die Regel ist dies zwar nicht, sondern gerade diese Leute
sind es gewöhnlich, welche es auf alle Bedingungen hin zu ermöglichen wissen,
daß bei ihnen weitergebaut wird. sofern es vorkommt, ist das Unglück jeden¬
falls nicht groß, und das Verschwinden einiger dieser zweifelhaften Geschäfts¬
leute würde nur dazu beitragen, das ganze Baugeschäft solider zu machen,
ohne daß dadurch das reelle Baubedürfnis auch nur um ein Atom verringert
werden würde. Was aber die reellen Bauunternehmer betrifft, so glauben wir
gern, daß sie bei den gegenwärtigen Wohnnngspreisen ihre Rechnung nicht ge¬
nügend finden würden, wenn sie den Arbeitern ihre Forderung bewilligen, und
wenn dann infolge hiervon auch eine Masse sonstiger Artikel und Arbeiten (wie
wir dies weiter unter noch zur Sprache bringen werden) im Preise steigen.
Indessen daraus folgt nicht, daß die Forderungen der Arbeiter nicht bewilligt
werden können, sondern -- daß die Berliner Mieter weiter steigen müssen.
Was kann's helfen? Wozu nützt alles Wehklagen, daß man schon jetzt die
Miete kaum erschwingen' könne? Deswegen bleibt es doch wahr, daß in Berlin
z- Z. die Mieter immer noch, verglichen mit denen in andern Großstädten, eher


Grenzboten III. 1886. 27
Das Wachstum Berlins und der Maurerstreik.

mehr in Berlin! Keine Feder reicht hin, um den Zustand zu schildern, der dann
über Berlin hereinbräche, und keine Polizeimacht der Welt würde alsdann die
schrecklichsten Szenen von Berlin fernhalten können. Bis zu dem Augenblicke
also, wo etwa wieder einmal ein Plus an Wohnungen produzirt wird, werden
und müssen die Maurer das Feld behaupten. Auch können wir hierin in der
That kein so großes Unglück erblicken. Die Arbeiter wollen auch leben, und
es kann billigerweise uicht in Abrede gestellt werden, daß der heute verlangte
Lohn nach Berliner Verhältnissen immer noch durchaus kein exorbitanter ist.
Man spricht viel von den kolossalen Löhnen der Bauhandwerker in den
Gründungsjahren, von den üppigen Frühstücken, welche damals deu Leuten zur
Lebensgewohnheit geworden wären, und überhaupt den maßlosen Ansprüchen,
an welche dieselben sich damals gewöhnt hatten; aber man vergißt zu sagen,
daß damals anch die Sparkasseneinlagen kolossal wuchsen, und daß auch die
Welt noch nicht untergeht, wenn der Arbeiter in besonders günstigen Zeiten
auch einmal ein Glas Champagner trinkt. Soll Berlin eine in halbwegs ge¬
sunder Weise emporblühende Weltstadt sein — nun, dann muß doch wenigstens
in einigen Branchen der Arbeiter ordentlichen Verdienst haben, und mehr als
das ist unsers Erachtens ein Lohn von fünf Mark auf 200 bis 250 Arbeits¬
tage nicht.

Nun hört man ja wohl sagen: die Bauunternehmer vermöchten diesen Lohn
uicht zu bezahlen. Es mag sein, daß eine Anzahl jener Schwindcluuternchmer,
die eben einen Bau (mit fremdem Gelde) im Gange haben müssen, weil sie
sonst nichts zu essen haben, und die ihre Unternehmungen fast regelmäßig damit
abschließen, daß zahlreiche arme, fleißige Handwerker ihr Geld dabei verlieren —
mag sein, sagen wir, daß eine Anzahl solcher Leute den Streik nicht aushält
und zusammenbricht; die Regel ist dies zwar nicht, sondern gerade diese Leute
sind es gewöhnlich, welche es auf alle Bedingungen hin zu ermöglichen wissen,
daß bei ihnen weitergebaut wird. sofern es vorkommt, ist das Unglück jeden¬
falls nicht groß, und das Verschwinden einiger dieser zweifelhaften Geschäfts¬
leute würde nur dazu beitragen, das ganze Baugeschäft solider zu machen,
ohne daß dadurch das reelle Baubedürfnis auch nur um ein Atom verringert
werden würde. Was aber die reellen Bauunternehmer betrifft, so glauben wir
gern, daß sie bei den gegenwärtigen Wohnnngspreisen ihre Rechnung nicht ge¬
nügend finden würden, wenn sie den Arbeitern ihre Forderung bewilligen, und
wenn dann infolge hiervon auch eine Masse sonstiger Artikel und Arbeiten (wie
wir dies weiter unter noch zur Sprache bringen werden) im Preise steigen.
Indessen daraus folgt nicht, daß die Forderungen der Arbeiter nicht bewilligt
werden können, sondern — daß die Berliner Mieter weiter steigen müssen.
Was kann's helfen? Wozu nützt alles Wehklagen, daß man schon jetzt die
Miete kaum erschwingen' könne? Deswegen bleibt es doch wahr, daß in Berlin
z- Z. die Mieter immer noch, verglichen mit denen in andern Großstädten, eher


Grenzboten III. 1886. 27
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[0217] Das Wachstum Berlins und der Maurerstreik. mehr in Berlin! Keine Feder reicht hin, um den Zustand zu schildern, der dann über Berlin hereinbräche, und keine Polizeimacht der Welt würde alsdann die schrecklichsten Szenen von Berlin fernhalten können. Bis zu dem Augenblicke also, wo etwa wieder einmal ein Plus an Wohnungen produzirt wird, werden und müssen die Maurer das Feld behaupten. Auch können wir hierin in der That kein so großes Unglück erblicken. Die Arbeiter wollen auch leben, und es kann billigerweise uicht in Abrede gestellt werden, daß der heute verlangte Lohn nach Berliner Verhältnissen immer noch durchaus kein exorbitanter ist. Man spricht viel von den kolossalen Löhnen der Bauhandwerker in den Gründungsjahren, von den üppigen Frühstücken, welche damals deu Leuten zur Lebensgewohnheit geworden wären, und überhaupt den maßlosen Ansprüchen, an welche dieselben sich damals gewöhnt hatten; aber man vergißt zu sagen, daß damals anch die Sparkasseneinlagen kolossal wuchsen, und daß auch die Welt noch nicht untergeht, wenn der Arbeiter in besonders günstigen Zeiten auch einmal ein Glas Champagner trinkt. Soll Berlin eine in halbwegs ge¬ sunder Weise emporblühende Weltstadt sein — nun, dann muß doch wenigstens in einigen Branchen der Arbeiter ordentlichen Verdienst haben, und mehr als das ist unsers Erachtens ein Lohn von fünf Mark auf 200 bis 250 Arbeits¬ tage nicht. Nun hört man ja wohl sagen: die Bauunternehmer vermöchten diesen Lohn uicht zu bezahlen. Es mag sein, daß eine Anzahl jener Schwindcluuternchmer, die eben einen Bau (mit fremdem Gelde) im Gange haben müssen, weil sie sonst nichts zu essen haben, und die ihre Unternehmungen fast regelmäßig damit abschließen, daß zahlreiche arme, fleißige Handwerker ihr Geld dabei verlieren — mag sein, sagen wir, daß eine Anzahl solcher Leute den Streik nicht aushält und zusammenbricht; die Regel ist dies zwar nicht, sondern gerade diese Leute sind es gewöhnlich, welche es auf alle Bedingungen hin zu ermöglichen wissen, daß bei ihnen weitergebaut wird. sofern es vorkommt, ist das Unglück jeden¬ falls nicht groß, und das Verschwinden einiger dieser zweifelhaften Geschäfts¬ leute würde nur dazu beitragen, das ganze Baugeschäft solider zu machen, ohne daß dadurch das reelle Baubedürfnis auch nur um ein Atom verringert werden würde. Was aber die reellen Bauunternehmer betrifft, so glauben wir gern, daß sie bei den gegenwärtigen Wohnnngspreisen ihre Rechnung nicht ge¬ nügend finden würden, wenn sie den Arbeitern ihre Forderung bewilligen, und wenn dann infolge hiervon auch eine Masse sonstiger Artikel und Arbeiten (wie wir dies weiter unter noch zur Sprache bringen werden) im Preise steigen. Indessen daraus folgt nicht, daß die Forderungen der Arbeiter nicht bewilligt werden können, sondern — daß die Berliner Mieter weiter steigen müssen. Was kann's helfen? Wozu nützt alles Wehklagen, daß man schon jetzt die Miete kaum erschwingen' könne? Deswegen bleibt es doch wahr, daß in Berlin z- Z. die Mieter immer noch, verglichen mit denen in andern Großstädten, eher Grenzboten III. 1886. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/217>, abgerufen am 14.06.2024.