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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das Wachstum Berlins und der Maurerstreik.

billig als teuer sind, und daß, wer in Berlin wohnen will oder muß, nun einmal
nicht umhin kaun, sich teure Mieter gefallen zu lassen. Bis jetzt ist jenes ver¬
zweiflungsvolle Ankämpfen der Berliner Mieter gegen eine Wiederkehr der Haus¬
besitzertyrannei, wie es sich in der obenerwähnten stillschweigenden Verschwörung
aller Mieter kundgiebt, insofern von Erfolg gewesen, als die Häuser auch heute
(trotz immerhin schon gestiegener Mietpreise) meist noch nicht rentiren und als
die Bauunternehmer nur unter der Voraussetzung billiger Arbeitslöhne und
billiger Matcrialienprei.se auf den gegenwärtigen Mietertrag hin bauen können.
Das hört nun auf, die sinkenden Maurer haben dem ein Ende gemacht. Nun
bleibt es freilich hierbei nicht. Nicht allein, daß auch Zimmerleute, Putzer,
Steinträger, Töpfer, Schlosser :e. einen höhern Lohn fordern: auch die Ziegel¬
steine, bei deren Produktion in den letzten Jahren kaum etwas verdient wurde,
bekommen wieder einen Preis, Sand und Kalk wollen nicht zurückbleiben u. s. w.
Mit einem Worte: die Häuser werden teurer, und zwar viel teurer werden.
Daß mau dann die Wohnungen nicht wie saures Bier aufbieten wird, ver¬
steht sich von selbst. Nun wird es auch den Leuten erst zum Bewußtsein
kommen, daß sie, die Hausbesitzer, wieder einmal die Herren und Meister sind,
und den Mietern wird es zum Bewußtsein kommen, daß sie bei dem herrschenden
Wvhnungsmangel froh sein müssen, überhaupt noch ein Unterkommen zu finden.
Das haben mit ihrem Streiken die Maurergesellen gethan!

Aber das ist noch nicht alles. Seit Jahren ist es im Kreise der Be¬
hörden sowohl als von der öffentlichen Meinung als unerläßlich anerkannt,
eine neue Bauordnung zu erlassen, welche die Berliner Bau- und Wohnungs¬
verhältnisse in durchgreifender Weise bessern soll. In bezug auf Abfuhr, auf
Wasserversorgung, auf Straßenreinigung, auf öffentliche Beleuchtung, auf An¬
legung von großen und kleinen Parks oder doch Schinuckplätzen in und neben der
Stadt ist in letzter Zeit sehr viel geschehen; auch der jetzigen städtischen Ver¬
waltung soll in dieser Hinsicht ihr Verdienst unbestritten bleiben. Aber die
eigentlichen Wohuungszustände sind schauerlich. In keiner europäischen Gro߬
stadt leben die Menschen im Durchschnitt so dicht zusammengepreßt wie in
Berlin, in keiner spielt die Kellerwohnung eine so verhängnisvolle Rolle wie
in Berlin. Arbeiterfamilien aber, welche aus der Kellerwohnung flüchten, fallen
der kaum minder schrecklichen Hinterhauswohnung in den Rachen. Der Bau¬
plan der Berliner Durchschnittshänser sorgt nämlich allerdings für einen "Hof,"
auf den die Fenster der Küche und der Schlafzimmer gehen, während ein großes
Hinterzimmer (das sogenannte "Berliner Zimmer") sich mit nur einem Fenster
gleichfalls auf den Hof öffnet und vorn hinaus die "guten Zimmer" liegen;
das ist indessen kein Hof, auf dem allenfalls Kinder spielen könnten, sondern
es ist ein enger, schmutziger, stinkender Raum ohne Dach, unerläßlich für ge¬
wisse häusliche Geschäfte und den Hinterzimmern ein armseliges Surrogat für
Licht und Luft gewährend, sonst aber zu nichts nütze. Auf diesen "Hof," und


Das Wachstum Berlins und der Maurerstreik.

billig als teuer sind, und daß, wer in Berlin wohnen will oder muß, nun einmal
nicht umhin kaun, sich teure Mieter gefallen zu lassen. Bis jetzt ist jenes ver¬
zweiflungsvolle Ankämpfen der Berliner Mieter gegen eine Wiederkehr der Haus¬
besitzertyrannei, wie es sich in der obenerwähnten stillschweigenden Verschwörung
aller Mieter kundgiebt, insofern von Erfolg gewesen, als die Häuser auch heute
(trotz immerhin schon gestiegener Mietpreise) meist noch nicht rentiren und als
die Bauunternehmer nur unter der Voraussetzung billiger Arbeitslöhne und
billiger Matcrialienprei.se auf den gegenwärtigen Mietertrag hin bauen können.
Das hört nun auf, die sinkenden Maurer haben dem ein Ende gemacht. Nun
bleibt es freilich hierbei nicht. Nicht allein, daß auch Zimmerleute, Putzer,
Steinträger, Töpfer, Schlosser :e. einen höhern Lohn fordern: auch die Ziegel¬
steine, bei deren Produktion in den letzten Jahren kaum etwas verdient wurde,
bekommen wieder einen Preis, Sand und Kalk wollen nicht zurückbleiben u. s. w.
Mit einem Worte: die Häuser werden teurer, und zwar viel teurer werden.
Daß mau dann die Wohnungen nicht wie saures Bier aufbieten wird, ver¬
steht sich von selbst. Nun wird es auch den Leuten erst zum Bewußtsein
kommen, daß sie, die Hausbesitzer, wieder einmal die Herren und Meister sind,
und den Mietern wird es zum Bewußtsein kommen, daß sie bei dem herrschenden
Wvhnungsmangel froh sein müssen, überhaupt noch ein Unterkommen zu finden.
Das haben mit ihrem Streiken die Maurergesellen gethan!

Aber das ist noch nicht alles. Seit Jahren ist es im Kreise der Be¬
hörden sowohl als von der öffentlichen Meinung als unerläßlich anerkannt,
eine neue Bauordnung zu erlassen, welche die Berliner Bau- und Wohnungs¬
verhältnisse in durchgreifender Weise bessern soll. In bezug auf Abfuhr, auf
Wasserversorgung, auf Straßenreinigung, auf öffentliche Beleuchtung, auf An¬
legung von großen und kleinen Parks oder doch Schinuckplätzen in und neben der
Stadt ist in letzter Zeit sehr viel geschehen; auch der jetzigen städtischen Ver¬
waltung soll in dieser Hinsicht ihr Verdienst unbestritten bleiben. Aber die
eigentlichen Wohuungszustände sind schauerlich. In keiner europäischen Gro߬
stadt leben die Menschen im Durchschnitt so dicht zusammengepreßt wie in
Berlin, in keiner spielt die Kellerwohnung eine so verhängnisvolle Rolle wie
in Berlin. Arbeiterfamilien aber, welche aus der Kellerwohnung flüchten, fallen
der kaum minder schrecklichen Hinterhauswohnung in den Rachen. Der Bau¬
plan der Berliner Durchschnittshänser sorgt nämlich allerdings für einen „Hof,"
auf den die Fenster der Küche und der Schlafzimmer gehen, während ein großes
Hinterzimmer (das sogenannte „Berliner Zimmer") sich mit nur einem Fenster
gleichfalls auf den Hof öffnet und vorn hinaus die „guten Zimmer" liegen;
das ist indessen kein Hof, auf dem allenfalls Kinder spielen könnten, sondern
es ist ein enger, schmutziger, stinkender Raum ohne Dach, unerläßlich für ge¬
wisse häusliche Geschäfte und den Hinterzimmern ein armseliges Surrogat für
Licht und Luft gewährend, sonst aber zu nichts nütze. Auf diesen „Hof," und


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[0218] Das Wachstum Berlins und der Maurerstreik. billig als teuer sind, und daß, wer in Berlin wohnen will oder muß, nun einmal nicht umhin kaun, sich teure Mieter gefallen zu lassen. Bis jetzt ist jenes ver¬ zweiflungsvolle Ankämpfen der Berliner Mieter gegen eine Wiederkehr der Haus¬ besitzertyrannei, wie es sich in der obenerwähnten stillschweigenden Verschwörung aller Mieter kundgiebt, insofern von Erfolg gewesen, als die Häuser auch heute (trotz immerhin schon gestiegener Mietpreise) meist noch nicht rentiren und als die Bauunternehmer nur unter der Voraussetzung billiger Arbeitslöhne und billiger Matcrialienprei.se auf den gegenwärtigen Mietertrag hin bauen können. Das hört nun auf, die sinkenden Maurer haben dem ein Ende gemacht. Nun bleibt es freilich hierbei nicht. Nicht allein, daß auch Zimmerleute, Putzer, Steinträger, Töpfer, Schlosser :e. einen höhern Lohn fordern: auch die Ziegel¬ steine, bei deren Produktion in den letzten Jahren kaum etwas verdient wurde, bekommen wieder einen Preis, Sand und Kalk wollen nicht zurückbleiben u. s. w. Mit einem Worte: die Häuser werden teurer, und zwar viel teurer werden. Daß mau dann die Wohnungen nicht wie saures Bier aufbieten wird, ver¬ steht sich von selbst. Nun wird es auch den Leuten erst zum Bewußtsein kommen, daß sie, die Hausbesitzer, wieder einmal die Herren und Meister sind, und den Mietern wird es zum Bewußtsein kommen, daß sie bei dem herrschenden Wvhnungsmangel froh sein müssen, überhaupt noch ein Unterkommen zu finden. Das haben mit ihrem Streiken die Maurergesellen gethan! Aber das ist noch nicht alles. Seit Jahren ist es im Kreise der Be¬ hörden sowohl als von der öffentlichen Meinung als unerläßlich anerkannt, eine neue Bauordnung zu erlassen, welche die Berliner Bau- und Wohnungs¬ verhältnisse in durchgreifender Weise bessern soll. In bezug auf Abfuhr, auf Wasserversorgung, auf Straßenreinigung, auf öffentliche Beleuchtung, auf An¬ legung von großen und kleinen Parks oder doch Schinuckplätzen in und neben der Stadt ist in letzter Zeit sehr viel geschehen; auch der jetzigen städtischen Ver¬ waltung soll in dieser Hinsicht ihr Verdienst unbestritten bleiben. Aber die eigentlichen Wohuungszustände sind schauerlich. In keiner europäischen Gro߬ stadt leben die Menschen im Durchschnitt so dicht zusammengepreßt wie in Berlin, in keiner spielt die Kellerwohnung eine so verhängnisvolle Rolle wie in Berlin. Arbeiterfamilien aber, welche aus der Kellerwohnung flüchten, fallen der kaum minder schrecklichen Hinterhauswohnung in den Rachen. Der Bau¬ plan der Berliner Durchschnittshänser sorgt nämlich allerdings für einen „Hof," auf den die Fenster der Küche und der Schlafzimmer gehen, während ein großes Hinterzimmer (das sogenannte „Berliner Zimmer") sich mit nur einem Fenster gleichfalls auf den Hof öffnet und vorn hinaus die „guten Zimmer" liegen; das ist indessen kein Hof, auf dem allenfalls Kinder spielen könnten, sondern es ist ein enger, schmutziger, stinkender Raum ohne Dach, unerläßlich für ge¬ wisse häusliche Geschäfte und den Hinterzimmern ein armseliges Surrogat für Licht und Luft gewährend, sonst aber zu nichts nütze. Auf diesen „Hof," und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/218>, abgerufen am 13.06.2024.