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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Tand und Leute in Bulgarien.

jüdischen herrscht, da die bulgarischen Jsraeliten Sephardim sind, als Unter¬
richtssprache ein Idiom, welches ein verdorbenes Spanisch ist. In Ostrumelien
hatte sich das Volksschulwesen schon in den letzten beiden Jahrzehnten der
Türkenherrschaft einigermaßen entwickelt, selbstverständlich durch Fürsorge von
Privatleuten. Nach 1877 hob es sich auch hier rascher. Nach dem Organischen
Statut sollte die Kenntnis des Lesens und Schreibens obligatorisch sein und
nach fünfzehn Jahren sogar das politische Wahlrecht davon abhängen. So
verdoppelte sich die Zahl der Schüler im Laufe eines einzigen Jahres, und
1881 zählte die Provinz schon 1412 Elementarschulen mit 80891 Schülern,
unter denen sich 23 782 Mädchen befanden, während im Fürstentume nur
17^/g Prozent der Gesamtzahl der Schulkinder weiblichen Geschlechts waren.
Bürgerschulen mit drei bis vier Klassen hatte die Provinz 21, darunter 1?
bulgarische und 4 griechische, zusammen mit 51 Lehrern, 26 Lehrerinnen, 1370
Schülern und 600 Schülerinnen. Außerdem hatten die Städte Philippopel
und Sliwen jede eine Realschule mit sechs Klassen.

Wir schließen unsre Mitteilungen mit einem Blicke auf das Heer des
Fürstentums Bulgarien und auf die ostrumelische Miliz. In beiden Teilen des
Landes herrscht die allgemeine Wehrpflicht, nur die Geistlichen sind von ihr
befreit. Die Mannschaften sollen im Fürstentume zwei Jahre bei der Fahne dienen,
dann in der Infanterie acht, in der Kavallerie und Artillerie fünf Jahre zur Reserve
gehören, worauf sie zur Landwehr übertreten, in der sie zehn Jahre verbleiben.
Die Infanterie ist in Druschiuen (Bataillone) eingeteilt, deren es jetzt 24 giebt.
Jede Druschine hat im Frieden 21 Offiziere und mit Einschluß der Unteroffiziere,
Spielleute und Nichtkombattcmteu 608, im Kriege etwa 1000 Mann. Die
Reiterei besteht aus einem Regiments, das in ü Sotnjen (Schwadronen) zerfällt
und 25 Offiziere und 770 Mann zählt. Die Artillerie teilt sich in Feld- und
Belagerungsartillerie; jene bildet ein Regiment mit 9 Batterien zu je 8 Ge¬
schützen, das 30 Offiziere und 1220 Mann zählt, diese eine Kompagnie mit
3 Offizieren und 108 Mann. Dazu kommen zwei Kompagnien Sappenre, zu-
sammen 10 Offiziere und 254 Mann. Die Artillerie hatte früher 9- und
4pfündige Kanonen von russischem Muster, jetzt aber führt sie durchgehends
Kruppsche Geschütze, die von den Russen den Türken abgenommen und vor
einigen Jahren an Bulgarien überlassen wurden. Die Infanterie ist seit 1880
mit Verdaugewehren bewaffnet, doch ist nur die des stehenden Heeres damit aus¬
gerüstet, für die Landwehr sind nur Krukagewehre vorhanden. Die Reiterei
führt Schaschkas und Berdanlarabiner. Die Uniform aller Waffengattungen
ähnelt der russischen, die Infanterie trügt dunkelgrüne Rocke von Blusenform
mit roten Kragen und Ärmelaufschlägen, Pluderhosen von derselben Farbe, die
in die hohen Kniestiefeln gesteckt werden, und einen schwarzen Leibgurt zur Be¬
festigung der Patrontasche und Bajonnetscheide, die Artillerie eine dunkelgrüne
Ulanka mit schwarzen Kragen und Aufschlägen und blaue Pluderhosen mit breiten


Tand und Leute in Bulgarien.

jüdischen herrscht, da die bulgarischen Jsraeliten Sephardim sind, als Unter¬
richtssprache ein Idiom, welches ein verdorbenes Spanisch ist. In Ostrumelien
hatte sich das Volksschulwesen schon in den letzten beiden Jahrzehnten der
Türkenherrschaft einigermaßen entwickelt, selbstverständlich durch Fürsorge von
Privatleuten. Nach 1877 hob es sich auch hier rascher. Nach dem Organischen
Statut sollte die Kenntnis des Lesens und Schreibens obligatorisch sein und
nach fünfzehn Jahren sogar das politische Wahlrecht davon abhängen. So
verdoppelte sich die Zahl der Schüler im Laufe eines einzigen Jahres, und
1881 zählte die Provinz schon 1412 Elementarschulen mit 80891 Schülern,
unter denen sich 23 782 Mädchen befanden, während im Fürstentume nur
17^/g Prozent der Gesamtzahl der Schulkinder weiblichen Geschlechts waren.
Bürgerschulen mit drei bis vier Klassen hatte die Provinz 21, darunter 1?
bulgarische und 4 griechische, zusammen mit 51 Lehrern, 26 Lehrerinnen, 1370
Schülern und 600 Schülerinnen. Außerdem hatten die Städte Philippopel
und Sliwen jede eine Realschule mit sechs Klassen.

Wir schließen unsre Mitteilungen mit einem Blicke auf das Heer des
Fürstentums Bulgarien und auf die ostrumelische Miliz. In beiden Teilen des
Landes herrscht die allgemeine Wehrpflicht, nur die Geistlichen sind von ihr
befreit. Die Mannschaften sollen im Fürstentume zwei Jahre bei der Fahne dienen,
dann in der Infanterie acht, in der Kavallerie und Artillerie fünf Jahre zur Reserve
gehören, worauf sie zur Landwehr übertreten, in der sie zehn Jahre verbleiben.
Die Infanterie ist in Druschiuen (Bataillone) eingeteilt, deren es jetzt 24 giebt.
Jede Druschine hat im Frieden 21 Offiziere und mit Einschluß der Unteroffiziere,
Spielleute und Nichtkombattcmteu 608, im Kriege etwa 1000 Mann. Die
Reiterei besteht aus einem Regiments, das in ü Sotnjen (Schwadronen) zerfällt
und 25 Offiziere und 770 Mann zählt. Die Artillerie teilt sich in Feld- und
Belagerungsartillerie; jene bildet ein Regiment mit 9 Batterien zu je 8 Ge¬
schützen, das 30 Offiziere und 1220 Mann zählt, diese eine Kompagnie mit
3 Offizieren und 108 Mann. Dazu kommen zwei Kompagnien Sappenre, zu-
sammen 10 Offiziere und 254 Mann. Die Artillerie hatte früher 9- und
4pfündige Kanonen von russischem Muster, jetzt aber führt sie durchgehends
Kruppsche Geschütze, die von den Russen den Türken abgenommen und vor
einigen Jahren an Bulgarien überlassen wurden. Die Infanterie ist seit 1880
mit Verdaugewehren bewaffnet, doch ist nur die des stehenden Heeres damit aus¬
gerüstet, für die Landwehr sind nur Krukagewehre vorhanden. Die Reiterei
führt Schaschkas und Berdanlarabiner. Die Uniform aller Waffengattungen
ähnelt der russischen, die Infanterie trügt dunkelgrüne Rocke von Blusenform
mit roten Kragen und Ärmelaufschlägen, Pluderhosen von derselben Farbe, die
in die hohen Kniestiefeln gesteckt werden, und einen schwarzen Leibgurt zur Be¬
festigung der Patrontasche und Bajonnetscheide, die Artillerie eine dunkelgrüne
Ulanka mit schwarzen Kragen und Aufschlägen und blaue Pluderhosen mit breiten


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[0219] Tand und Leute in Bulgarien. jüdischen herrscht, da die bulgarischen Jsraeliten Sephardim sind, als Unter¬ richtssprache ein Idiom, welches ein verdorbenes Spanisch ist. In Ostrumelien hatte sich das Volksschulwesen schon in den letzten beiden Jahrzehnten der Türkenherrschaft einigermaßen entwickelt, selbstverständlich durch Fürsorge von Privatleuten. Nach 1877 hob es sich auch hier rascher. Nach dem Organischen Statut sollte die Kenntnis des Lesens und Schreibens obligatorisch sein und nach fünfzehn Jahren sogar das politische Wahlrecht davon abhängen. So verdoppelte sich die Zahl der Schüler im Laufe eines einzigen Jahres, und 1881 zählte die Provinz schon 1412 Elementarschulen mit 80891 Schülern, unter denen sich 23 782 Mädchen befanden, während im Fürstentume nur 17^/g Prozent der Gesamtzahl der Schulkinder weiblichen Geschlechts waren. Bürgerschulen mit drei bis vier Klassen hatte die Provinz 21, darunter 1? bulgarische und 4 griechische, zusammen mit 51 Lehrern, 26 Lehrerinnen, 1370 Schülern und 600 Schülerinnen. Außerdem hatten die Städte Philippopel und Sliwen jede eine Realschule mit sechs Klassen. Wir schließen unsre Mitteilungen mit einem Blicke auf das Heer des Fürstentums Bulgarien und auf die ostrumelische Miliz. In beiden Teilen des Landes herrscht die allgemeine Wehrpflicht, nur die Geistlichen sind von ihr befreit. Die Mannschaften sollen im Fürstentume zwei Jahre bei der Fahne dienen, dann in der Infanterie acht, in der Kavallerie und Artillerie fünf Jahre zur Reserve gehören, worauf sie zur Landwehr übertreten, in der sie zehn Jahre verbleiben. Die Infanterie ist in Druschiuen (Bataillone) eingeteilt, deren es jetzt 24 giebt. Jede Druschine hat im Frieden 21 Offiziere und mit Einschluß der Unteroffiziere, Spielleute und Nichtkombattcmteu 608, im Kriege etwa 1000 Mann. Die Reiterei besteht aus einem Regiments, das in ü Sotnjen (Schwadronen) zerfällt und 25 Offiziere und 770 Mann zählt. Die Artillerie teilt sich in Feld- und Belagerungsartillerie; jene bildet ein Regiment mit 9 Batterien zu je 8 Ge¬ schützen, das 30 Offiziere und 1220 Mann zählt, diese eine Kompagnie mit 3 Offizieren und 108 Mann. Dazu kommen zwei Kompagnien Sappenre, zu- sammen 10 Offiziere und 254 Mann. Die Artillerie hatte früher 9- und 4pfündige Kanonen von russischem Muster, jetzt aber führt sie durchgehends Kruppsche Geschütze, die von den Russen den Türken abgenommen und vor einigen Jahren an Bulgarien überlassen wurden. Die Infanterie ist seit 1880 mit Verdaugewehren bewaffnet, doch ist nur die des stehenden Heeres damit aus¬ gerüstet, für die Landwehr sind nur Krukagewehre vorhanden. Die Reiterei führt Schaschkas und Berdanlarabiner. Die Uniform aller Waffengattungen ähnelt der russischen, die Infanterie trügt dunkelgrüne Rocke von Blusenform mit roten Kragen und Ärmelaufschlägen, Pluderhosen von derselben Farbe, die in die hohen Kniestiefeln gesteckt werden, und einen schwarzen Leibgurt zur Be¬ festigung der Patrontasche und Bajonnetscheide, die Artillerie eine dunkelgrüne Ulanka mit schwarzen Kragen und Aufschlägen und blaue Pluderhosen mit breiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/219>, abgerufen am 05.06.2024.