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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

und dem des Vaters liegen, nicht vergessen! Diese Zeit wird mir immer
länger scheinen, als alles, was vvrhe war oder nachher kommen wird. Wie es
mit jedem Tage öder wurde im Hause! Valer kam auf das Gymnasium,
Trakclberg ging. Wenn wir Schwestern uns abends niederlegten, fürchteten
wir uns vor dem kommenden Morgen. Der brachte auch immer wieder das¬
selbe. Denselben trüben, kranken Ausdruck in Vaters Gesicht und die Angst bei
jedem andern, etwas möchte ihn reizen. Wenn ich ihm die Theekanne reichte,
zitterte seine Hand, gewöhnlich sah er mich gar nicht an, lind das war gut;
deun er konnte es ja nicht ertragen, durch einen mitleidigen Blick an seinen
elenden Zustand erinnert zu werden. Aber ich hätte immer weinen mögen und
möchte es jetzt noch mehr, denn wäre ich älter gewesen und verständiger --

Liebes Kind, das ist wirklich nutzlos, sagte der Baron; wenn ich mich nun
darüber grämen wollte, daß ich nicht einige Jahre früher zurückgekommen bin?

Ich thue es für dich, Onkel Georg. Ich denke es tausendmal. Mir ist,
als ob du alles Übel abgewendet hättest, mit dem Gute und --

Nun, und?

Und das andre.

Er beugte sich zu ihr herüber. Was meinst du, Julie?

Ich meine die Geschichte mit dem Grafen Daidci. Die Freundschaft mit
diesem Menschen war dem Papa zum Lebensbedürfnis geworden. Wie ver¬
trauensvoll hatte er sich ihm angeschlossen, und wie furchtbar ist er getäuscht
worden! Er hat den Schlag nie überwunden. Auch körperlich ist er seit jenem
Duell nicht wieder zu Kräften gekommen. Danda trügt die Hauptschuld an
unsers Vaters frühem Tode.

Sie seufzte und senkte den Kopf. Ein schwacher rötlicher Schimmer lag
auf ihr, auf dem Hause, auf den Bäumen und Wegen.

Immer wieder, sagte sie, taucht das Bild dieses verhaßten Menschen in
mir auf. Er ist mir eine Verkörperung des bösen Prinzips. Oft im Traum
meine ich, ich müsse mich mit ihm für das Wohl unsrer Familie herumschlagen.
Ich habe sogar gewünscht, ich könnte über ihn zu Gericht sitzen.

Richtet nicht, sprach Georg vor sich hin. Sie hatte es gehört und erfaßte
lebhaft seine Hand.

Was mir selbst geschieht, will ich verzeihen und kann es. Aber wenn man
meinen Lieben böses anthut -- nie, nie!

Georg Niffelshausen sah ernst in ihre glänzenden Augen. Und kannst
deinen Lieben doch selbst böses anthun, Julie?

Dir etwa? Unmöglich! Ich lasse mich für dich in Stücken reißen, auf der
Stelle!

Er mußte über ihren Eifer lachen; aber als sie aufstand und in das Haus
ging, sah er ihr sinnend nach.

Dieser Ausdruck sinnenden Ernstes ohne Beimischung von Traurigkeit war


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

und dem des Vaters liegen, nicht vergessen! Diese Zeit wird mir immer
länger scheinen, als alles, was vvrhe war oder nachher kommen wird. Wie es
mit jedem Tage öder wurde im Hause! Valer kam auf das Gymnasium,
Trakclberg ging. Wenn wir Schwestern uns abends niederlegten, fürchteten
wir uns vor dem kommenden Morgen. Der brachte auch immer wieder das¬
selbe. Denselben trüben, kranken Ausdruck in Vaters Gesicht und die Angst bei
jedem andern, etwas möchte ihn reizen. Wenn ich ihm die Theekanne reichte,
zitterte seine Hand, gewöhnlich sah er mich gar nicht an, lind das war gut;
deun er konnte es ja nicht ertragen, durch einen mitleidigen Blick an seinen
elenden Zustand erinnert zu werden. Aber ich hätte immer weinen mögen und
möchte es jetzt noch mehr, denn wäre ich älter gewesen und verständiger —

Liebes Kind, das ist wirklich nutzlos, sagte der Baron; wenn ich mich nun
darüber grämen wollte, daß ich nicht einige Jahre früher zurückgekommen bin?

Ich thue es für dich, Onkel Georg. Ich denke es tausendmal. Mir ist,
als ob du alles Übel abgewendet hättest, mit dem Gute und —

Nun, und?

Und das andre.

Er beugte sich zu ihr herüber. Was meinst du, Julie?

Ich meine die Geschichte mit dem Grafen Daidci. Die Freundschaft mit
diesem Menschen war dem Papa zum Lebensbedürfnis geworden. Wie ver¬
trauensvoll hatte er sich ihm angeschlossen, und wie furchtbar ist er getäuscht
worden! Er hat den Schlag nie überwunden. Auch körperlich ist er seit jenem
Duell nicht wieder zu Kräften gekommen. Danda trügt die Hauptschuld an
unsers Vaters frühem Tode.

Sie seufzte und senkte den Kopf. Ein schwacher rötlicher Schimmer lag
auf ihr, auf dem Hause, auf den Bäumen und Wegen.

Immer wieder, sagte sie, taucht das Bild dieses verhaßten Menschen in
mir auf. Er ist mir eine Verkörperung des bösen Prinzips. Oft im Traum
meine ich, ich müsse mich mit ihm für das Wohl unsrer Familie herumschlagen.
Ich habe sogar gewünscht, ich könnte über ihn zu Gericht sitzen.

Richtet nicht, sprach Georg vor sich hin. Sie hatte es gehört und erfaßte
lebhaft seine Hand.

Was mir selbst geschieht, will ich verzeihen und kann es. Aber wenn man
meinen Lieben böses anthut — nie, nie!

Georg Niffelshausen sah ernst in ihre glänzenden Augen. Und kannst
deinen Lieben doch selbst böses anthun, Julie?

Dir etwa? Unmöglich! Ich lasse mich für dich in Stücken reißen, auf der
Stelle!

Er mußte über ihren Eifer lachen; aber als sie aufstand und in das Haus
ging, sah er ihr sinnend nach.

Dieser Ausdruck sinnenden Ernstes ohne Beimischung von Traurigkeit war


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[0247] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. und dem des Vaters liegen, nicht vergessen! Diese Zeit wird mir immer länger scheinen, als alles, was vvrhe war oder nachher kommen wird. Wie es mit jedem Tage öder wurde im Hause! Valer kam auf das Gymnasium, Trakclberg ging. Wenn wir Schwestern uns abends niederlegten, fürchteten wir uns vor dem kommenden Morgen. Der brachte auch immer wieder das¬ selbe. Denselben trüben, kranken Ausdruck in Vaters Gesicht und die Angst bei jedem andern, etwas möchte ihn reizen. Wenn ich ihm die Theekanne reichte, zitterte seine Hand, gewöhnlich sah er mich gar nicht an, lind das war gut; deun er konnte es ja nicht ertragen, durch einen mitleidigen Blick an seinen elenden Zustand erinnert zu werden. Aber ich hätte immer weinen mögen und möchte es jetzt noch mehr, denn wäre ich älter gewesen und verständiger — Liebes Kind, das ist wirklich nutzlos, sagte der Baron; wenn ich mich nun darüber grämen wollte, daß ich nicht einige Jahre früher zurückgekommen bin? Ich thue es für dich, Onkel Georg. Ich denke es tausendmal. Mir ist, als ob du alles Übel abgewendet hättest, mit dem Gute und — Nun, und? Und das andre. Er beugte sich zu ihr herüber. Was meinst du, Julie? Ich meine die Geschichte mit dem Grafen Daidci. Die Freundschaft mit diesem Menschen war dem Papa zum Lebensbedürfnis geworden. Wie ver¬ trauensvoll hatte er sich ihm angeschlossen, und wie furchtbar ist er getäuscht worden! Er hat den Schlag nie überwunden. Auch körperlich ist er seit jenem Duell nicht wieder zu Kräften gekommen. Danda trügt die Hauptschuld an unsers Vaters frühem Tode. Sie seufzte und senkte den Kopf. Ein schwacher rötlicher Schimmer lag auf ihr, auf dem Hause, auf den Bäumen und Wegen. Immer wieder, sagte sie, taucht das Bild dieses verhaßten Menschen in mir auf. Er ist mir eine Verkörperung des bösen Prinzips. Oft im Traum meine ich, ich müsse mich mit ihm für das Wohl unsrer Familie herumschlagen. Ich habe sogar gewünscht, ich könnte über ihn zu Gericht sitzen. Richtet nicht, sprach Georg vor sich hin. Sie hatte es gehört und erfaßte lebhaft seine Hand. Was mir selbst geschieht, will ich verzeihen und kann es. Aber wenn man meinen Lieben böses anthut — nie, nie! Georg Niffelshausen sah ernst in ihre glänzenden Augen. Und kannst deinen Lieben doch selbst böses anthun, Julie? Dir etwa? Unmöglich! Ich lasse mich für dich in Stücken reißen, auf der Stelle! Er mußte über ihren Eifer lachen; aber als sie aufstand und in das Haus ging, sah er ihr sinnend nach. Dieser Ausdruck sinnenden Ernstes ohne Beimischung von Traurigkeit war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/247>, abgerufen am 16.05.2024.