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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

dem Gesicht des Barons eigentümlich. Wer mit Georg redete, scheute sich, ein
grobes Wort zu gebrauchen, und wer ihm in die Angen sah, scheute sich vor
einem unreinen Gedanken. Mit andern konnte er heiter sein, doch ließ er sich
nie durch eine Empfindung fortreißen. Seine Stärke lag in dem steten Bewußt¬
sein der dem Menschen gesetzten Schranken, dem Gleichgewicht, das er in sich
zu erhalten wußte.

Keinem Menschen siel es ein, Georg einen Philosophen zu nennen. Er
galt nur für einen guten Landwirt, und daß er dies war, hatte er in den letzten
Jahren bewiesen.

Herr Baron, sagte der Schmidt, als er jetzt vor dem Hause den Tisch
zum Abendessen deckte, wenn man die Sache so betrachtet, ist's doch eigentlich
mit uns in gutem Gange. Mit dem Gute sind wir aus dem gröbsten, und
die jungen Herrschaften machen sich heraus wie's liebe Leben. Man braucht
sie ja nur anzusehen. Wie anders war das, als wir kamen!

Dann sah er nach seiner Uhr.

Nun könnte Fräulein Mathildchen wohl zurückkommen, sonst giebt's Mi߬
vergnügen bei der Tante. Da ist neulich Herr Breunhold, der Niederdetten-
hcimer Fabrikherr, durchs Dorf geritten, wie Fräulein Julie unterwegs war.
Der hat sich den Hals verdreht, um hinter ihr Herzusehen, und dann den Grün
gefragt, ob das unser Fräulein wäre? In der Schenke haben sie's erzählt.
Na, und Fräulein Mathildchen erst! Ach, da sollten Sie die Leute nur reden
hören! Ganz wie die selige Frau Mama, sagen sie.

Georg schüttelte den Kopf. Das mögen die Leute wohl sagen, aber es
ist nicht richtig.

Möcht' ich doch wissen! Nein, Herr Baron, das ist schon so.

Du kanntest sie ja kaum, Schmidt.

Nun, doch ebensolange wie der Herr Baron?

Aber Georg wußte das besser. Es hatte uur einmal eine Frau gegeben,
die wie ein Engel zwischen Menschen umherging, deren Andenken ihm so heilig
war, daß er kaum wagte, ihren Namen auszusprechen. Mit den Jahren war
dies Bild immer klarer geworden, immer idealer; es gab nichts irdisches mehr,
ihm zu vergleichen.

Die Mathilde bleibt einmal wieder aus wie das Röhrwasser, sagte jetzt
auch Julie, indem sie noch einmal mit ordnender Hand um den gedeckten
Tisch ging.

Georg zupfte einen langhaarigen, großen Jagdhund, der Ajax hieß und
Vaters Eigentum war, freundschaftlich an den Ohren. Ohne von dem geneckten
Tiere aufzusehen, bemerkte er, Julie solle doch uicht verlangen, daß Mathilde
sich nicht einmal länger, als verabredet worden, bei ihren Freunden im Dorfe
aufhalte. Wo bleibt aber die Tante? Sie ging mit Valer auf den Boden,
Weiß der Himmel, was sie dort zusammen vorhaben! Der Valer hat ja be-


Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

dem Gesicht des Barons eigentümlich. Wer mit Georg redete, scheute sich, ein
grobes Wort zu gebrauchen, und wer ihm in die Angen sah, scheute sich vor
einem unreinen Gedanken. Mit andern konnte er heiter sein, doch ließ er sich
nie durch eine Empfindung fortreißen. Seine Stärke lag in dem steten Bewußt¬
sein der dem Menschen gesetzten Schranken, dem Gleichgewicht, das er in sich
zu erhalten wußte.

Keinem Menschen siel es ein, Georg einen Philosophen zu nennen. Er
galt nur für einen guten Landwirt, und daß er dies war, hatte er in den letzten
Jahren bewiesen.

Herr Baron, sagte der Schmidt, als er jetzt vor dem Hause den Tisch
zum Abendessen deckte, wenn man die Sache so betrachtet, ist's doch eigentlich
mit uns in gutem Gange. Mit dem Gute sind wir aus dem gröbsten, und
die jungen Herrschaften machen sich heraus wie's liebe Leben. Man braucht
sie ja nur anzusehen. Wie anders war das, als wir kamen!

Dann sah er nach seiner Uhr.

Nun könnte Fräulein Mathildchen wohl zurückkommen, sonst giebt's Mi߬
vergnügen bei der Tante. Da ist neulich Herr Breunhold, der Niederdetten-
hcimer Fabrikherr, durchs Dorf geritten, wie Fräulein Julie unterwegs war.
Der hat sich den Hals verdreht, um hinter ihr Herzusehen, und dann den Grün
gefragt, ob das unser Fräulein wäre? In der Schenke haben sie's erzählt.
Na, und Fräulein Mathildchen erst! Ach, da sollten Sie die Leute nur reden
hören! Ganz wie die selige Frau Mama, sagen sie.

Georg schüttelte den Kopf. Das mögen die Leute wohl sagen, aber es
ist nicht richtig.

Möcht' ich doch wissen! Nein, Herr Baron, das ist schon so.

Du kanntest sie ja kaum, Schmidt.

Nun, doch ebensolange wie der Herr Baron?

Aber Georg wußte das besser. Es hatte uur einmal eine Frau gegeben,
die wie ein Engel zwischen Menschen umherging, deren Andenken ihm so heilig
war, daß er kaum wagte, ihren Namen auszusprechen. Mit den Jahren war
dies Bild immer klarer geworden, immer idealer; es gab nichts irdisches mehr,
ihm zu vergleichen.

Die Mathilde bleibt einmal wieder aus wie das Röhrwasser, sagte jetzt
auch Julie, indem sie noch einmal mit ordnender Hand um den gedeckten
Tisch ging.

Georg zupfte einen langhaarigen, großen Jagdhund, der Ajax hieß und
Vaters Eigentum war, freundschaftlich an den Ohren. Ohne von dem geneckten
Tiere aufzusehen, bemerkte er, Julie solle doch uicht verlangen, daß Mathilde
sich nicht einmal länger, als verabredet worden, bei ihren Freunden im Dorfe
aufhalte. Wo bleibt aber die Tante? Sie ging mit Valer auf den Boden,
Weiß der Himmel, was sie dort zusammen vorhaben! Der Valer hat ja be-


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[0248] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. dem Gesicht des Barons eigentümlich. Wer mit Georg redete, scheute sich, ein grobes Wort zu gebrauchen, und wer ihm in die Angen sah, scheute sich vor einem unreinen Gedanken. Mit andern konnte er heiter sein, doch ließ er sich nie durch eine Empfindung fortreißen. Seine Stärke lag in dem steten Bewußt¬ sein der dem Menschen gesetzten Schranken, dem Gleichgewicht, das er in sich zu erhalten wußte. Keinem Menschen siel es ein, Georg einen Philosophen zu nennen. Er galt nur für einen guten Landwirt, und daß er dies war, hatte er in den letzten Jahren bewiesen. Herr Baron, sagte der Schmidt, als er jetzt vor dem Hause den Tisch zum Abendessen deckte, wenn man die Sache so betrachtet, ist's doch eigentlich mit uns in gutem Gange. Mit dem Gute sind wir aus dem gröbsten, und die jungen Herrschaften machen sich heraus wie's liebe Leben. Man braucht sie ja nur anzusehen. Wie anders war das, als wir kamen! Dann sah er nach seiner Uhr. Nun könnte Fräulein Mathildchen wohl zurückkommen, sonst giebt's Mi߬ vergnügen bei der Tante. Da ist neulich Herr Breunhold, der Niederdetten- hcimer Fabrikherr, durchs Dorf geritten, wie Fräulein Julie unterwegs war. Der hat sich den Hals verdreht, um hinter ihr Herzusehen, und dann den Grün gefragt, ob das unser Fräulein wäre? In der Schenke haben sie's erzählt. Na, und Fräulein Mathildchen erst! Ach, da sollten Sie die Leute nur reden hören! Ganz wie die selige Frau Mama, sagen sie. Georg schüttelte den Kopf. Das mögen die Leute wohl sagen, aber es ist nicht richtig. Möcht' ich doch wissen! Nein, Herr Baron, das ist schon so. Du kanntest sie ja kaum, Schmidt. Nun, doch ebensolange wie der Herr Baron? Aber Georg wußte das besser. Es hatte uur einmal eine Frau gegeben, die wie ein Engel zwischen Menschen umherging, deren Andenken ihm so heilig war, daß er kaum wagte, ihren Namen auszusprechen. Mit den Jahren war dies Bild immer klarer geworden, immer idealer; es gab nichts irdisches mehr, ihm zu vergleichen. Die Mathilde bleibt einmal wieder aus wie das Röhrwasser, sagte jetzt auch Julie, indem sie noch einmal mit ordnender Hand um den gedeckten Tisch ging. Georg zupfte einen langhaarigen, großen Jagdhund, der Ajax hieß und Vaters Eigentum war, freundschaftlich an den Ohren. Ohne von dem geneckten Tiere aufzusehen, bemerkte er, Julie solle doch uicht verlangen, daß Mathilde sich nicht einmal länger, als verabredet worden, bei ihren Freunden im Dorfe aufhalte. Wo bleibt aber die Tante? Sie ging mit Valer auf den Boden, Weiß der Himmel, was sie dort zusammen vorhaben! Der Valer hat ja be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/248>, abgerufen am 05.06.2024.