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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

stöbernde Geist der Neuzeit, der überall neue Bedürfnisse schafft, Hoffnungen
vorspiegelt, Unzufriedenheit sät und nichts auf dem alten Flecke läßt. Hier
wie dort betrachtet die öffentliche Meinung die Aufhebung der alten Gesamt¬
wirtschaft als ein Unglück, aber trotz der bessern Überzeugung fällt auch unter
den Südslawen eine AaäruAg, nach der andern. Jeder will heute lieber nach
seiner eignen Fel^on hungern, als nach der Fayon eines andern schwelgen. Im
Norden heißt es: Sie können sich nicht mehr vertragen; im Süden sind es
nach dem stets wiederholten Echo bei Bogisiö hauptsächlich die Weiber, welche
die an und für sich verträglicheren Genossen reizen, sich zu teilen, weil sie sich
nicht unterordnen, sondern selbst regieren wollen.

Auch in einem andern Punkte ist die Parallele zwischen den deutschen und
den südslawischen Genossenschaften belehrend. An beiden Orten wird die Teilung
nicht immer vollständig ausgeführt; sie beginnt häufig -- für die nächste Ver¬
anlassung zur Trennung bezeichnend -- mit der inneren Abscheidung von Herd
und Tisch, und für die Haudörfer besonders scheint dies vielfach die Regel zu
sein. So standen z. B. in Hochwies (Vellcopole) schon vor zwanzig Jahren
auf jedem Hofe mehrere Häuser, während der Grund und Boden selbst noch
ungeteilt blieb. Dann wird die Ernte geteilt. Erst später kommen die Felder
an die Reihe. Interessant ist es, daß in Münichwies, wo auch dieser zweite
Akt sich schon abspielt, zur möglichsten Herstellung der Gleichheit wohl ein
regelmäßiger Felderwechsel unter den Beteiligten beliebt wird.

Weit schwieriger als die eben berührte Frage nach dem Einfluß des neuen
Gesetzes über die freie Teilbarkeit der Grundstücke ist die andre nach dem Einfluß
des alten Teilungsverbvts auf die Entwicklung oder gar Entstehung der Hcms-
genosscnschaften. Daß eine solche Einwirkung wenigstens auf die Erhaltung
derselben in die neueste Zeit hinein stattgefunden hat, ist wohl unzweifelhaft; wahr¬
scheinlich, daß anch dadurch der eigentümlichen Ausgestaltung des ganzen Verhält¬
nisses ein gewisser Zwang auferlegt ist. Endlich ist die Möglichkeit nicht abzuweisen,
daß das Verbot der Teilung verbunden mit der Auflegung des an die Gruud-
herrschaft zu entrichtenden Zehnten -- im übrigen waren die deutschen Bauern
durchaus frei im Gegensatz zu den strenger Hörigkeit unterworfenen Slowaken --
das Grundstück sozusagen ein- für allemal für das ganze Geschlecht festgelegt
hat, daß die doch Wohl meist aus den fränkische" Teilen Mitteldeutschlands
stammenden Bauern, welche die Bevorzugung eines älteren Bruders im An¬
erbenrecht nicht kannten, keinen Ausweg sahen, als das Beispiel der Slowaken
nachzuahmen.

Ich kann diese Frage hier nicht weiter verfolgen und bemerke uur, daß
die Überlieferung durchaus sich für das Alter dieser Verhältnisse ausspricht,
dafür, daß dieselben deutschen Ursprunges seien. Gleicher Ansicht sind die
Slowaken, die sich darauf berufen -- ich habe diesen Punkt schon oben berührt --,
daß die Hausgenossenschaft bei ihnen eine andre, eine beschränktere gewesen sei.


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

stöbernde Geist der Neuzeit, der überall neue Bedürfnisse schafft, Hoffnungen
vorspiegelt, Unzufriedenheit sät und nichts auf dem alten Flecke läßt. Hier
wie dort betrachtet die öffentliche Meinung die Aufhebung der alten Gesamt¬
wirtschaft als ein Unglück, aber trotz der bessern Überzeugung fällt auch unter
den Südslawen eine AaäruAg, nach der andern. Jeder will heute lieber nach
seiner eignen Fel^on hungern, als nach der Fayon eines andern schwelgen. Im
Norden heißt es: Sie können sich nicht mehr vertragen; im Süden sind es
nach dem stets wiederholten Echo bei Bogisiö hauptsächlich die Weiber, welche
die an und für sich verträglicheren Genossen reizen, sich zu teilen, weil sie sich
nicht unterordnen, sondern selbst regieren wollen.

Auch in einem andern Punkte ist die Parallele zwischen den deutschen und
den südslawischen Genossenschaften belehrend. An beiden Orten wird die Teilung
nicht immer vollständig ausgeführt; sie beginnt häufig — für die nächste Ver¬
anlassung zur Trennung bezeichnend — mit der inneren Abscheidung von Herd
und Tisch, und für die Haudörfer besonders scheint dies vielfach die Regel zu
sein. So standen z. B. in Hochwies (Vellcopole) schon vor zwanzig Jahren
auf jedem Hofe mehrere Häuser, während der Grund und Boden selbst noch
ungeteilt blieb. Dann wird die Ernte geteilt. Erst später kommen die Felder
an die Reihe. Interessant ist es, daß in Münichwies, wo auch dieser zweite
Akt sich schon abspielt, zur möglichsten Herstellung der Gleichheit wohl ein
regelmäßiger Felderwechsel unter den Beteiligten beliebt wird.

Weit schwieriger als die eben berührte Frage nach dem Einfluß des neuen
Gesetzes über die freie Teilbarkeit der Grundstücke ist die andre nach dem Einfluß
des alten Teilungsverbvts auf die Entwicklung oder gar Entstehung der Hcms-
genosscnschaften. Daß eine solche Einwirkung wenigstens auf die Erhaltung
derselben in die neueste Zeit hinein stattgefunden hat, ist wohl unzweifelhaft; wahr¬
scheinlich, daß anch dadurch der eigentümlichen Ausgestaltung des ganzen Verhält¬
nisses ein gewisser Zwang auferlegt ist. Endlich ist die Möglichkeit nicht abzuweisen,
daß das Verbot der Teilung verbunden mit der Auflegung des an die Gruud-
herrschaft zu entrichtenden Zehnten — im übrigen waren die deutschen Bauern
durchaus frei im Gegensatz zu den strenger Hörigkeit unterworfenen Slowaken —
das Grundstück sozusagen ein- für allemal für das ganze Geschlecht festgelegt
hat, daß die doch Wohl meist aus den fränkische» Teilen Mitteldeutschlands
stammenden Bauern, welche die Bevorzugung eines älteren Bruders im An¬
erbenrecht nicht kannten, keinen Ausweg sahen, als das Beispiel der Slowaken
nachzuahmen.

Ich kann diese Frage hier nicht weiter verfolgen und bemerke uur, daß
die Überlieferung durchaus sich für das Alter dieser Verhältnisse ausspricht,
dafür, daß dieselben deutschen Ursprunges seien. Gleicher Ansicht sind die
Slowaken, die sich darauf berufen — ich habe diesen Punkt schon oben berührt —,
daß die Hausgenossenschaft bei ihnen eine andre, eine beschränktere gewesen sei.


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[0270] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. stöbernde Geist der Neuzeit, der überall neue Bedürfnisse schafft, Hoffnungen vorspiegelt, Unzufriedenheit sät und nichts auf dem alten Flecke läßt. Hier wie dort betrachtet die öffentliche Meinung die Aufhebung der alten Gesamt¬ wirtschaft als ein Unglück, aber trotz der bessern Überzeugung fällt auch unter den Südslawen eine AaäruAg, nach der andern. Jeder will heute lieber nach seiner eignen Fel^on hungern, als nach der Fayon eines andern schwelgen. Im Norden heißt es: Sie können sich nicht mehr vertragen; im Süden sind es nach dem stets wiederholten Echo bei Bogisiö hauptsächlich die Weiber, welche die an und für sich verträglicheren Genossen reizen, sich zu teilen, weil sie sich nicht unterordnen, sondern selbst regieren wollen. Auch in einem andern Punkte ist die Parallele zwischen den deutschen und den südslawischen Genossenschaften belehrend. An beiden Orten wird die Teilung nicht immer vollständig ausgeführt; sie beginnt häufig — für die nächste Ver¬ anlassung zur Trennung bezeichnend — mit der inneren Abscheidung von Herd und Tisch, und für die Haudörfer besonders scheint dies vielfach die Regel zu sein. So standen z. B. in Hochwies (Vellcopole) schon vor zwanzig Jahren auf jedem Hofe mehrere Häuser, während der Grund und Boden selbst noch ungeteilt blieb. Dann wird die Ernte geteilt. Erst später kommen die Felder an die Reihe. Interessant ist es, daß in Münichwies, wo auch dieser zweite Akt sich schon abspielt, zur möglichsten Herstellung der Gleichheit wohl ein regelmäßiger Felderwechsel unter den Beteiligten beliebt wird. Weit schwieriger als die eben berührte Frage nach dem Einfluß des neuen Gesetzes über die freie Teilbarkeit der Grundstücke ist die andre nach dem Einfluß des alten Teilungsverbvts auf die Entwicklung oder gar Entstehung der Hcms- genosscnschaften. Daß eine solche Einwirkung wenigstens auf die Erhaltung derselben in die neueste Zeit hinein stattgefunden hat, ist wohl unzweifelhaft; wahr¬ scheinlich, daß anch dadurch der eigentümlichen Ausgestaltung des ganzen Verhält¬ nisses ein gewisser Zwang auferlegt ist. Endlich ist die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß das Verbot der Teilung verbunden mit der Auflegung des an die Gruud- herrschaft zu entrichtenden Zehnten — im übrigen waren die deutschen Bauern durchaus frei im Gegensatz zu den strenger Hörigkeit unterworfenen Slowaken — das Grundstück sozusagen ein- für allemal für das ganze Geschlecht festgelegt hat, daß die doch Wohl meist aus den fränkische» Teilen Mitteldeutschlands stammenden Bauern, welche die Bevorzugung eines älteren Bruders im An¬ erbenrecht nicht kannten, keinen Ausweg sahen, als das Beispiel der Slowaken nachzuahmen. Ich kann diese Frage hier nicht weiter verfolgen und bemerke uur, daß die Überlieferung durchaus sich für das Alter dieser Verhältnisse ausspricht, dafür, daß dieselben deutschen Ursprunges seien. Gleicher Ansicht sind die Slowaken, die sich darauf berufen — ich habe diesen Punkt schon oben berührt —, daß die Hausgenossenschaft bei ihnen eine andre, eine beschränktere gewesen sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/270>, abgerufen am 06.06.2024.