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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorge" in Ästerreich.

Böhmen und Mähren mich ans die österreichischen Alpenländer, wo Ferdinand,
jetzt deutscher Kaiser, "keine protestantische Mücke mehr dulden" wollte. Wie
früher die Bürger und Bauern, so wurde jetzt auch der Adel gezwungen, ent¬
weder katholisch zu werden oder das Land zu verlassen. Viele zogen das letztere
vor, und allein im Jahre 1629 wanderten aus Steiermark, Kärnthen und Kram
860 Adliche ans. Nicht minder siegte der Romanismus in Tirol und anderwärts,
soweit Ferdinand gebot. Die Gegenreformation desselben ging mit dem Verluste
der ständischen Freiheit Hand in Hand und war ein verhängnisvoller Schlag
für das Deutschtum. Die Massenauswanderuug der Protestanten entzog ihm seine
besten Kräfte, der Adel verlor seinen nationalen Charakter, im südlichen Steiermark,
in Kärnthen und Kram änderte sich das Verhältnis der Slawen und der Deutschen
durchaus zu Ungunsten der letzter", indem die Städte und Märkte einen großen
Teil ihrer deutschen Bevölkerung einbüßten und der Nest allmählich von den katho¬
lisch gebliebner Slovenen aufgesogen wurde. Tirol wurde mit italienischen Geist¬
lichen und Mönchen überschwemmt, der Hof ins Innsbruck trat in lebhaften Verkehr
mit wälschen Fürstenhäusern, in der Stadt ließen sich italienische Adliche, Beamte,
Gewerbsleute und Künstler nieder, die ihr nach und nach den Typus ihrer Nationa¬
lität ausprägten. Ähnliches vollzog sich in andern Orten, vorzüglich im Süden,
wo auch wälsche Bauern in Menge einwanderten und die deutsche Sprache zurück¬
drängten. Von deutscher Zuwanderung war nicht mehr die Rede. Das Traurigste
aber war für diese sndöstcrreichischen Provinzen, daß seit der Gegenreformation eine
strenge Absperrung des geistigen Verkehrs derselben mit dem "Reiche" gehand¬
habt wurde, infolge welcher die dortigen Deutschen mit der Entwicklung des
Lebens und Wissens jenseits der schwarzgelben Grenzschranken nicht mehr Schritt
halten konnten und allmählich sich selbst das Bewußtsein nnter ihnen schwächte,
national zu den übrigen Deutschen zu gehören. An die Stelle des lebhaften kirch¬
lich-politischen Streites trat ein schläfriges Stillleben, ein Vegetiren ohne Span¬
nung und Ziel, die geistige Produktion wurde zu kläglicher Impotenz, der Horizont
verengerte sich, und zuletzt sahen die Augen der Mehrzahl nicht viel mehr als
den Hahn ans dem heimatlichen Kirchturme. Über das ganze weite Land
breitete sich der Geist einer Kleinstädterei aus, die sich zwar gut regierte, aber
die Regierten zu keinem Fortschritte kommen ließ. Nur die Türkcunot, welche
im letzten Viertel des siebzehnten Jcchrhnuderts bis vor die Mauern Wiens
drang, brachte uoch ein Zusammenwirken der deutschen Kräfte in und neben
Österreich. Dann schlief das Deutschtum in den österreichischen Erbländer von
neuem ein, und der kosmopolitische Absolutismus der Regierung sorgte im Vereine
mit dem Jesuitismus, daß es nicht erwachte, da von ihm allein Störung des
Systems zu fürchten war, dem man bei der Verwaltung folgte. Erst mit den
planmäßigen Reformen Maria Theresias und Kaiser Josefs begann der Morgen
zu dämmern. Das beharrliche Bestreben dieser Monarchen, ihr Reich zu zen-
tralisiren und aus dem locker gefügten Länderkonglomerat ein festes Ganze


Deutsche Sorge» in Ästerreich.

Böhmen und Mähren mich ans die österreichischen Alpenländer, wo Ferdinand,
jetzt deutscher Kaiser, „keine protestantische Mücke mehr dulden" wollte. Wie
früher die Bürger und Bauern, so wurde jetzt auch der Adel gezwungen, ent¬
weder katholisch zu werden oder das Land zu verlassen. Viele zogen das letztere
vor, und allein im Jahre 1629 wanderten aus Steiermark, Kärnthen und Kram
860 Adliche ans. Nicht minder siegte der Romanismus in Tirol und anderwärts,
soweit Ferdinand gebot. Die Gegenreformation desselben ging mit dem Verluste
der ständischen Freiheit Hand in Hand und war ein verhängnisvoller Schlag
für das Deutschtum. Die Massenauswanderuug der Protestanten entzog ihm seine
besten Kräfte, der Adel verlor seinen nationalen Charakter, im südlichen Steiermark,
in Kärnthen und Kram änderte sich das Verhältnis der Slawen und der Deutschen
durchaus zu Ungunsten der letzter», indem die Städte und Märkte einen großen
Teil ihrer deutschen Bevölkerung einbüßten und der Nest allmählich von den katho¬
lisch gebliebner Slovenen aufgesogen wurde. Tirol wurde mit italienischen Geist¬
lichen und Mönchen überschwemmt, der Hof ins Innsbruck trat in lebhaften Verkehr
mit wälschen Fürstenhäusern, in der Stadt ließen sich italienische Adliche, Beamte,
Gewerbsleute und Künstler nieder, die ihr nach und nach den Typus ihrer Nationa¬
lität ausprägten. Ähnliches vollzog sich in andern Orten, vorzüglich im Süden,
wo auch wälsche Bauern in Menge einwanderten und die deutsche Sprache zurück¬
drängten. Von deutscher Zuwanderung war nicht mehr die Rede. Das Traurigste
aber war für diese sndöstcrreichischen Provinzen, daß seit der Gegenreformation eine
strenge Absperrung des geistigen Verkehrs derselben mit dem „Reiche" gehand¬
habt wurde, infolge welcher die dortigen Deutschen mit der Entwicklung des
Lebens und Wissens jenseits der schwarzgelben Grenzschranken nicht mehr Schritt
halten konnten und allmählich sich selbst das Bewußtsein nnter ihnen schwächte,
national zu den übrigen Deutschen zu gehören. An die Stelle des lebhaften kirch¬
lich-politischen Streites trat ein schläfriges Stillleben, ein Vegetiren ohne Span¬
nung und Ziel, die geistige Produktion wurde zu kläglicher Impotenz, der Horizont
verengerte sich, und zuletzt sahen die Augen der Mehrzahl nicht viel mehr als
den Hahn ans dem heimatlichen Kirchturme. Über das ganze weite Land
breitete sich der Geist einer Kleinstädterei aus, die sich zwar gut regierte, aber
die Regierten zu keinem Fortschritte kommen ließ. Nur die Türkcunot, welche
im letzten Viertel des siebzehnten Jcchrhnuderts bis vor die Mauern Wiens
drang, brachte uoch ein Zusammenwirken der deutschen Kräfte in und neben
Österreich. Dann schlief das Deutschtum in den österreichischen Erbländer von
neuem ein, und der kosmopolitische Absolutismus der Regierung sorgte im Vereine
mit dem Jesuitismus, daß es nicht erwachte, da von ihm allein Störung des
Systems zu fürchten war, dem man bei der Verwaltung folgte. Erst mit den
planmäßigen Reformen Maria Theresias und Kaiser Josefs begann der Morgen
zu dämmern. Das beharrliche Bestreben dieser Monarchen, ihr Reich zu zen-
tralisiren und aus dem locker gefügten Länderkonglomerat ein festes Ganze


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[0368] Deutsche Sorge» in Ästerreich. Böhmen und Mähren mich ans die österreichischen Alpenländer, wo Ferdinand, jetzt deutscher Kaiser, „keine protestantische Mücke mehr dulden" wollte. Wie früher die Bürger und Bauern, so wurde jetzt auch der Adel gezwungen, ent¬ weder katholisch zu werden oder das Land zu verlassen. Viele zogen das letztere vor, und allein im Jahre 1629 wanderten aus Steiermark, Kärnthen und Kram 860 Adliche ans. Nicht minder siegte der Romanismus in Tirol und anderwärts, soweit Ferdinand gebot. Die Gegenreformation desselben ging mit dem Verluste der ständischen Freiheit Hand in Hand und war ein verhängnisvoller Schlag für das Deutschtum. Die Massenauswanderuug der Protestanten entzog ihm seine besten Kräfte, der Adel verlor seinen nationalen Charakter, im südlichen Steiermark, in Kärnthen und Kram änderte sich das Verhältnis der Slawen und der Deutschen durchaus zu Ungunsten der letzter», indem die Städte und Märkte einen großen Teil ihrer deutschen Bevölkerung einbüßten und der Nest allmählich von den katho¬ lisch gebliebner Slovenen aufgesogen wurde. Tirol wurde mit italienischen Geist¬ lichen und Mönchen überschwemmt, der Hof ins Innsbruck trat in lebhaften Verkehr mit wälschen Fürstenhäusern, in der Stadt ließen sich italienische Adliche, Beamte, Gewerbsleute und Künstler nieder, die ihr nach und nach den Typus ihrer Nationa¬ lität ausprägten. Ähnliches vollzog sich in andern Orten, vorzüglich im Süden, wo auch wälsche Bauern in Menge einwanderten und die deutsche Sprache zurück¬ drängten. Von deutscher Zuwanderung war nicht mehr die Rede. Das Traurigste aber war für diese sndöstcrreichischen Provinzen, daß seit der Gegenreformation eine strenge Absperrung des geistigen Verkehrs derselben mit dem „Reiche" gehand¬ habt wurde, infolge welcher die dortigen Deutschen mit der Entwicklung des Lebens und Wissens jenseits der schwarzgelben Grenzschranken nicht mehr Schritt halten konnten und allmählich sich selbst das Bewußtsein nnter ihnen schwächte, national zu den übrigen Deutschen zu gehören. An die Stelle des lebhaften kirch¬ lich-politischen Streites trat ein schläfriges Stillleben, ein Vegetiren ohne Span¬ nung und Ziel, die geistige Produktion wurde zu kläglicher Impotenz, der Horizont verengerte sich, und zuletzt sahen die Augen der Mehrzahl nicht viel mehr als den Hahn ans dem heimatlichen Kirchturme. Über das ganze weite Land breitete sich der Geist einer Kleinstädterei aus, die sich zwar gut regierte, aber die Regierten zu keinem Fortschritte kommen ließ. Nur die Türkcunot, welche im letzten Viertel des siebzehnten Jcchrhnuderts bis vor die Mauern Wiens drang, brachte uoch ein Zusammenwirken der deutschen Kräfte in und neben Österreich. Dann schlief das Deutschtum in den österreichischen Erbländer von neuem ein, und der kosmopolitische Absolutismus der Regierung sorgte im Vereine mit dem Jesuitismus, daß es nicht erwachte, da von ihm allein Störung des Systems zu fürchten war, dem man bei der Verwaltung folgte. Erst mit den planmäßigen Reformen Maria Theresias und Kaiser Josefs begann der Morgen zu dämmern. Das beharrliche Bestreben dieser Monarchen, ihr Reich zu zen- tralisiren und aus dem locker gefügten Länderkonglomerat ein festes Ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/368>, abgerufen am 16.05.2024.