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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Krieg und Indnsti'lo.

diirfnis übersteigenden gelehrten und hnlbgelchrten höhern Bildumsanstaltcn
eben so viele oder noch mehr höhere Schulen für Gewerbe und Handel stellt,
damit die Befriedigung des krankhaften Dranges nach "oben" uur ja recht
leicht gemacht werde. Daran leiden wir ja gerade, daß so viele sich für be¬
scheidne Stellung und bescheidne Thätigkeit für zu gut halten, weil sie die Bänke
einer höhern Schule gedrückt haben -- mit welchem Gewinn, kommt nicht in
Frage, Manche Humanitätsschwachheit haben wir uns schon abgewöhnt, und
es ist hohe Zeit, daß wir auch mit der Tendenz brechen, der Kraft und dem
Fleiße des Einzelnen garnichts mehr zuzutrauen. Ohne Zweifel ist es früher
vorgekommen, daß eine Begabung verdorrte, weil ihr keine Gelegenheit zur Be¬
thätigung gegönnt war, obwohl eben die Geschichte des Gewerbes an zahllosen
Beispielen zeigt, daß das Genie sich durch die größten Hindernisse emporzu¬
arbeiten verstanden hat. Aber wir stehen nicht an auszusprechen, es lasse sich
viel eher verschmerzen, daß ein Mensch auf einen engen Wirkungskreis beschränkt
bleibt, der auch einen weitern ausfüllen würde, als daß tausend mittelmäßige
Köpfe eine gewisse äußerliche Berechtigung für höhere Stellungen erlangen.
Nicht jeder Soldat kaun General werden, und ebenso findet die Zahl der Kauf¬
leute, Fabrikanten, Direktoren, Geschäftsführer u. s. w. ihre natürliche Begrenzung,
die Mehrzahl muß sich darein fügen, Gehilfe, Arbeiter ?e. zu bleiben. Was
man billigerweise fordern kann, ist nur, daß für eine menschenwürdige Existenz
der Nichtselbständigen gesorgt werde; dahin ist das Bestreben der Neichsregierung
gerichtet, und wir würden auf diesem Wege schon viel weiter sein, wenn nicht
Rechthaberei und Interessenpolitik die Sache fo erschwerten.

Wir nehmen mit Befriedigung davon Kenntnis, daß der deutsche Kauf¬
mann und durch ihn der deutsche Fabrikant uuter allen Himmelsstrichen den
Engländern erfolgreich den Boden streitig machen, aber auch da fehlt es nicht
an Schatten. Männer vom Fach beklagen, daß gerade die deutsche Konkurrenz
nicht wenig dazu beitrage, das Geschäft unsolid zu machen. Um einen Auf¬
trag zu erlangen, würden Preise bewilligt, bei denen zu bestehen unmöglich sei,
und in diesem Wettlauf suche nicht nur der Deutsche den Fremden, sondern der
Deutsche den Deutschen zu überflügeln -- zum beiderseitigen Ruin. Natürlich,
es wird ja nicht fabrizirt nach dem Bedarf, sondern auf den Glücksfall; man
gründet nicht nur Fabriken, weil ihrer zu wenig vorhanden sind, sondern in der
Hoffnung, die alten zu verdrängen. Und dabei heben geographische und stati¬
stische Werke und Neisebücher fortwährend mit höchster Befriedigung hervor, daß
so und so viele Städte, deren mäßige Bevölkerung früher in der Stille ihre
ausreichende Rührung hatte, sich zum Range von Fabrikstädten aufgeschwungen
haben, d. h. daß auch dort die Luft durch Kohlcnrauch verpestet, auch dort ein
früher unbekanntes Proletariat gezüchtet wird. In der That kann man kaum
noch einen Ort ohne diese Beigaben entdecken.

lind weil um keinen Preis zugegeben werden darf, daß die Rechnung der


Krieg und Indnsti'lo.

diirfnis übersteigenden gelehrten und hnlbgelchrten höhern Bildumsanstaltcn
eben so viele oder noch mehr höhere Schulen für Gewerbe und Handel stellt,
damit die Befriedigung des krankhaften Dranges nach „oben" uur ja recht
leicht gemacht werde. Daran leiden wir ja gerade, daß so viele sich für be¬
scheidne Stellung und bescheidne Thätigkeit für zu gut halten, weil sie die Bänke
einer höhern Schule gedrückt haben — mit welchem Gewinn, kommt nicht in
Frage, Manche Humanitätsschwachheit haben wir uns schon abgewöhnt, und
es ist hohe Zeit, daß wir auch mit der Tendenz brechen, der Kraft und dem
Fleiße des Einzelnen garnichts mehr zuzutrauen. Ohne Zweifel ist es früher
vorgekommen, daß eine Begabung verdorrte, weil ihr keine Gelegenheit zur Be¬
thätigung gegönnt war, obwohl eben die Geschichte des Gewerbes an zahllosen
Beispielen zeigt, daß das Genie sich durch die größten Hindernisse emporzu¬
arbeiten verstanden hat. Aber wir stehen nicht an auszusprechen, es lasse sich
viel eher verschmerzen, daß ein Mensch auf einen engen Wirkungskreis beschränkt
bleibt, der auch einen weitern ausfüllen würde, als daß tausend mittelmäßige
Köpfe eine gewisse äußerliche Berechtigung für höhere Stellungen erlangen.
Nicht jeder Soldat kaun General werden, und ebenso findet die Zahl der Kauf¬
leute, Fabrikanten, Direktoren, Geschäftsführer u. s. w. ihre natürliche Begrenzung,
die Mehrzahl muß sich darein fügen, Gehilfe, Arbeiter ?e. zu bleiben. Was
man billigerweise fordern kann, ist nur, daß für eine menschenwürdige Existenz
der Nichtselbständigen gesorgt werde; dahin ist das Bestreben der Neichsregierung
gerichtet, und wir würden auf diesem Wege schon viel weiter sein, wenn nicht
Rechthaberei und Interessenpolitik die Sache fo erschwerten.

Wir nehmen mit Befriedigung davon Kenntnis, daß der deutsche Kauf¬
mann und durch ihn der deutsche Fabrikant uuter allen Himmelsstrichen den
Engländern erfolgreich den Boden streitig machen, aber auch da fehlt es nicht
an Schatten. Männer vom Fach beklagen, daß gerade die deutsche Konkurrenz
nicht wenig dazu beitrage, das Geschäft unsolid zu machen. Um einen Auf¬
trag zu erlangen, würden Preise bewilligt, bei denen zu bestehen unmöglich sei,
und in diesem Wettlauf suche nicht nur der Deutsche den Fremden, sondern der
Deutsche den Deutschen zu überflügeln — zum beiderseitigen Ruin. Natürlich,
es wird ja nicht fabrizirt nach dem Bedarf, sondern auf den Glücksfall; man
gründet nicht nur Fabriken, weil ihrer zu wenig vorhanden sind, sondern in der
Hoffnung, die alten zu verdrängen. Und dabei heben geographische und stati¬
stische Werke und Neisebücher fortwährend mit höchster Befriedigung hervor, daß
so und so viele Städte, deren mäßige Bevölkerung früher in der Stille ihre
ausreichende Rührung hatte, sich zum Range von Fabrikstädten aufgeschwungen
haben, d. h. daß auch dort die Luft durch Kohlcnrauch verpestet, auch dort ein
früher unbekanntes Proletariat gezüchtet wird. In der That kann man kaum
noch einen Ort ohne diese Beigaben entdecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/572>, abgerufen am 16.05.2024.