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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfreundinnen.

in unendlich mannichfaltigen Formen, nichts als Entsagen, Bezwingen, Entäußern,
öfters unterbrochen von trocknen, verzweifelten Klagen über die kalte Zurück¬
weichung oder den Groll der Geliebten, dann wieder fünf Jahre lang die helle
Freude über erhörte Liebe, die innigste Hingebung, welche alles, was das innere
und äußere Leben bietet, treulich mit der Genossin teilt. Aber hie und da
schon zeigen sich Wölkchen am Liebeshimmel, zwischen die gewohnten Versiche¬
rungen der Treue und inneren Befriedigung drängen sich kleine dunkle Punkte
stiller Verdrossenheit, leisen Fröstelns, und plötzlich ist der Liebhaber verschwunden,
auf Jahre verschwunden. Unter den Kunstwerken und im Sonnenglanze Italiens
sucht er Genesung, ohne Urlaub zu nehmen von der Geliebten. Noch immer
kehren zwar Briefe bei ihr ein, die ihr die alte Treue versichern, neues Liebesleben
hoffen lassen, aber sie kennzeichnen nur das Losringen des Herzens von dem
lange gewohnten Anker, und nach der Heimkehr erfolgt plötzlich erschütternd
der Bruch. In den Armen eines jungen Mädchens, eines naiven Natnrkindes,
wirst der Dichter die letzten Schlacken der erloschenen Liebe aus dem verjüngten
Herzen, die verlassene Alte aber schmollt und grollt und schimpft über den "Un¬
getreuen" bis an ihr Lebensende im hohen Alter.

Die Briefe Goethes an Frau von Stein sind eins seiner besten Werke,
gelegentlich im Drange des Lebens entstanden, aber abgerundet und abgeschlossen
in sich, sie sind in dieser Beziehung ein Seitenstttck zu Lessings Hambnrgischer
Dramaturgie, wie verschieden auch der Inhalt ist. Sie sind der große Minne¬
gesang Goethes in Prosa, Variationen über das Werther- und Don-Juan-Thema
zugleich, in das feste Gefüge des thätigen Lebens übertragen und mit einem
tragikomischen Schlüsse versehen.

Für das Verständnis des Weimarischen Genielebens und Goethes Lebens
insbesondre siud diese Briefe eine der wichtigsten Quellen, aber man würde
fehlgehen, wenn man sie Wort für Wort als den Ausdruck des Thatsächlichen
betrachten wollte. Da ist denn doch vieles in Abzug zu bringen. Erstens
dichtete Goethe, sobald er die Feder ansetzte; dies gilt unbeschränkt bei allen
seinen Herzensangelegenheiten. Wie seine Dichtung unmittelbar ans dem Leben
geschöpft und im besten Sinne Gelcgcnheitsdichtung ist, so sind ihm auch die
Dinge und Menschen um ihn entweder poetisch brauchbar oder unbrauchbar, und
wohin sich seine Liebe wendet, dahin wendet sich auch sein Genius. Dazu kommt,
daß der Briefwechsel jener Zeit immer etwas von literarischer Produktivität
an sich hat, die unserm geschäftlichen Treiben fremd ist. Selbst wenn der
Schreiber wünscht, daß sein Brief verbrannt werden möge, giebt er der Form
noch den gebührenden Aufschwung. Man schrieb, um zu schreiben, nicht bloß
um zu benachrichtigen, daher die ungeheure Menge von Briefen, Zettelchen,
Grüßen, daher die Sorgfalt, mit der man die Briefe sammelte, und der Stolz,
mit dem man sie auch in weiteren Kreisen mitteilte. Die Briefe waren eben
ein Teil der literarischen Erscheinungen, wenn auch nur für einen kleinen


Dichterfreundinnen.

in unendlich mannichfaltigen Formen, nichts als Entsagen, Bezwingen, Entäußern,
öfters unterbrochen von trocknen, verzweifelten Klagen über die kalte Zurück¬
weichung oder den Groll der Geliebten, dann wieder fünf Jahre lang die helle
Freude über erhörte Liebe, die innigste Hingebung, welche alles, was das innere
und äußere Leben bietet, treulich mit der Genossin teilt. Aber hie und da
schon zeigen sich Wölkchen am Liebeshimmel, zwischen die gewohnten Versiche¬
rungen der Treue und inneren Befriedigung drängen sich kleine dunkle Punkte
stiller Verdrossenheit, leisen Fröstelns, und plötzlich ist der Liebhaber verschwunden,
auf Jahre verschwunden. Unter den Kunstwerken und im Sonnenglanze Italiens
sucht er Genesung, ohne Urlaub zu nehmen von der Geliebten. Noch immer
kehren zwar Briefe bei ihr ein, die ihr die alte Treue versichern, neues Liebesleben
hoffen lassen, aber sie kennzeichnen nur das Losringen des Herzens von dem
lange gewohnten Anker, und nach der Heimkehr erfolgt plötzlich erschütternd
der Bruch. In den Armen eines jungen Mädchens, eines naiven Natnrkindes,
wirst der Dichter die letzten Schlacken der erloschenen Liebe aus dem verjüngten
Herzen, die verlassene Alte aber schmollt und grollt und schimpft über den „Un¬
getreuen" bis an ihr Lebensende im hohen Alter.

Die Briefe Goethes an Frau von Stein sind eins seiner besten Werke,
gelegentlich im Drange des Lebens entstanden, aber abgerundet und abgeschlossen
in sich, sie sind in dieser Beziehung ein Seitenstttck zu Lessings Hambnrgischer
Dramaturgie, wie verschieden auch der Inhalt ist. Sie sind der große Minne¬
gesang Goethes in Prosa, Variationen über das Werther- und Don-Juan-Thema
zugleich, in das feste Gefüge des thätigen Lebens übertragen und mit einem
tragikomischen Schlüsse versehen.

Für das Verständnis des Weimarischen Genielebens und Goethes Lebens
insbesondre siud diese Briefe eine der wichtigsten Quellen, aber man würde
fehlgehen, wenn man sie Wort für Wort als den Ausdruck des Thatsächlichen
betrachten wollte. Da ist denn doch vieles in Abzug zu bringen. Erstens
dichtete Goethe, sobald er die Feder ansetzte; dies gilt unbeschränkt bei allen
seinen Herzensangelegenheiten. Wie seine Dichtung unmittelbar ans dem Leben
geschöpft und im besten Sinne Gelcgcnheitsdichtung ist, so sind ihm auch die
Dinge und Menschen um ihn entweder poetisch brauchbar oder unbrauchbar, und
wohin sich seine Liebe wendet, dahin wendet sich auch sein Genius. Dazu kommt,
daß der Briefwechsel jener Zeit immer etwas von literarischer Produktivität
an sich hat, die unserm geschäftlichen Treiben fremd ist. Selbst wenn der
Schreiber wünscht, daß sein Brief verbrannt werden möge, giebt er der Form
noch den gebührenden Aufschwung. Man schrieb, um zu schreiben, nicht bloß
um zu benachrichtigen, daher die ungeheure Menge von Briefen, Zettelchen,
Grüßen, daher die Sorgfalt, mit der man die Briefe sammelte, und der Stolz,
mit dem man sie auch in weiteren Kreisen mitteilte. Die Briefe waren eben
ein Teil der literarischen Erscheinungen, wenn auch nur für einen kleinen


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[0086] Dichterfreundinnen. in unendlich mannichfaltigen Formen, nichts als Entsagen, Bezwingen, Entäußern, öfters unterbrochen von trocknen, verzweifelten Klagen über die kalte Zurück¬ weichung oder den Groll der Geliebten, dann wieder fünf Jahre lang die helle Freude über erhörte Liebe, die innigste Hingebung, welche alles, was das innere und äußere Leben bietet, treulich mit der Genossin teilt. Aber hie und da schon zeigen sich Wölkchen am Liebeshimmel, zwischen die gewohnten Versiche¬ rungen der Treue und inneren Befriedigung drängen sich kleine dunkle Punkte stiller Verdrossenheit, leisen Fröstelns, und plötzlich ist der Liebhaber verschwunden, auf Jahre verschwunden. Unter den Kunstwerken und im Sonnenglanze Italiens sucht er Genesung, ohne Urlaub zu nehmen von der Geliebten. Noch immer kehren zwar Briefe bei ihr ein, die ihr die alte Treue versichern, neues Liebesleben hoffen lassen, aber sie kennzeichnen nur das Losringen des Herzens von dem lange gewohnten Anker, und nach der Heimkehr erfolgt plötzlich erschütternd der Bruch. In den Armen eines jungen Mädchens, eines naiven Natnrkindes, wirst der Dichter die letzten Schlacken der erloschenen Liebe aus dem verjüngten Herzen, die verlassene Alte aber schmollt und grollt und schimpft über den „Un¬ getreuen" bis an ihr Lebensende im hohen Alter. Die Briefe Goethes an Frau von Stein sind eins seiner besten Werke, gelegentlich im Drange des Lebens entstanden, aber abgerundet und abgeschlossen in sich, sie sind in dieser Beziehung ein Seitenstttck zu Lessings Hambnrgischer Dramaturgie, wie verschieden auch der Inhalt ist. Sie sind der große Minne¬ gesang Goethes in Prosa, Variationen über das Werther- und Don-Juan-Thema zugleich, in das feste Gefüge des thätigen Lebens übertragen und mit einem tragikomischen Schlüsse versehen. Für das Verständnis des Weimarischen Genielebens und Goethes Lebens insbesondre siud diese Briefe eine der wichtigsten Quellen, aber man würde fehlgehen, wenn man sie Wort für Wort als den Ausdruck des Thatsächlichen betrachten wollte. Da ist denn doch vieles in Abzug zu bringen. Erstens dichtete Goethe, sobald er die Feder ansetzte; dies gilt unbeschränkt bei allen seinen Herzensangelegenheiten. Wie seine Dichtung unmittelbar ans dem Leben geschöpft und im besten Sinne Gelcgcnheitsdichtung ist, so sind ihm auch die Dinge und Menschen um ihn entweder poetisch brauchbar oder unbrauchbar, und wohin sich seine Liebe wendet, dahin wendet sich auch sein Genius. Dazu kommt, daß der Briefwechsel jener Zeit immer etwas von literarischer Produktivität an sich hat, die unserm geschäftlichen Treiben fremd ist. Selbst wenn der Schreiber wünscht, daß sein Brief verbrannt werden möge, giebt er der Form noch den gebührenden Aufschwung. Man schrieb, um zu schreiben, nicht bloß um zu benachrichtigen, daher die ungeheure Menge von Briefen, Zettelchen, Grüßen, daher die Sorgfalt, mit der man die Briefe sammelte, und der Stolz, mit dem man sie auch in weiteren Kreisen mitteilte. Die Briefe waren eben ein Teil der literarischen Erscheinungen, wenn auch nur für einen kleinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/86>, abgerufen am 01.11.2024.