Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnen.

Kreis oder für einen Einzelnen bestimmt, und Goethes Briefe machen davon
keine Ausnahme. Die Objektivität der Briefe Goethes wird ferner beschränkt
durch die Gegensätze in seinem Wesen. Fast grenzenlos erscheint die Weichheit
seines Gemütes, die Gewalt seiner Empfindungen, und doch ist er ein scharfer
Denker und energischer Händler; seine Aufrichtigkeit, der Ausfluß der Wahr¬
haftigkeit seiner hohen Natur, berührt sich oft fast mit kindlicher Naivität, und
doch ist niemand zurückhaltender, vorsichtiger, weltklnger als er. Auch in seinem
Tagebuche schneidet er sich selbst weitere Mitteilungen mit den Worten ab: "Es
ziemt sich nicht, diese inneren Bewegungen aufzuschreiben" (6. September 1779),
oder deutet nur sehr unbestimmt an oder bedient sich rätselhafter geheimsprach¬
licher Ausdrücke und Zeichen. Denn auch die Tagebücher wurden zuweilen vor¬
gelesen, wie Goethe bezeugt, indem er sich notirt (vom 6. Dezember 1778):
"Knebel las sein Tagebuch von vorm Jahr." Auch in den Briefen an die Frau
von Stein treten diese Gegensätze in Goethes Wesen deutlich hervor. Im all¬
gemeinen schreibt er wohl so, daß die Lebhaftigkeit der augenblicklichen Stimmung
ihm die Worte diktirt; daher scheint es, wen" man eine längere Reihe von diesen
Briefen rasch nacheinander liest, als ob er ganz und gar in der Liebe zu dieser
Frau aufginge. Allein wenn man das Tagebuch dagegen hält, so findet man,
daß ihn zu gleicher Zeit vieles andre mit derselben Lebhaftigkeit anzog, und
die Einträge über seinen Verkehr mit der Stein sind nur selten durch einen
innigeren Ton ausgezeichnet. Es heißt fast immer nur: "Zu (-) >das Sonnen¬
zeiehen als Bezeichnung für Frau von Steins essen" oder "Abends bei <Z."
Goethes Trieb, sich zu bethätigen, war viel zu groß, als daß ihm der Umgang
mit einer Frau, und wäre sie noch so ausgezeichnet gewesen, genügt hätte.
Daneben verkehrt er fast ebenso häufig und vertraut mit Corona Schröter und
mit manchen andern, die im Tagebuche durch mystische Zeichen verhüllt sind.
Wenn man Coronas Nachlaß auffände, würde man wahrscheinlich ein interessantes
Seitenstück zu den Briefen an die Fran von Stein erhalten. Und dabei waren
diese Liaisons immer nur ein kleiner Teil von dem Lebensinhalte des in voller
Kraft wirkenden jungen Goethe. Welche Forderungen stellte der Hof an ihn!
Als der nächste Vertraute der herzoglichen Familie hatte er Sorge zu tragen,
daß Ernstes und Heiteres einen erfreulichen Ausgang nahm. Der Herzog selbst
hatte sich in seine treue Freuudeshut begeben, mit ihm besprach er die höchsten
Angelegenheiten des Staatslebens bei Tage und bei Nacht, die Herzogin erwartete
von seiner klugen Vermittlung die Sicherung ihres Familienlebens, die Herzogin-
Mutter rechnete auf sein Talent bei Veranstaltung aller Festlichkeiten; bei den
Verwicklungen, die Prinz Konstantin dnrch sein unkluges, ausschweifendes Wesen
am Hofe herbeiführte, mußte er den Knoten lösen. Welche Mannichfaltigkeit
von Geschäften füllt allein seine Mußestunden aus! Theater, Parkanlagen,
Zimmereinrichtungen, Bergwerke, Reisen, alles drängt auf ihn ein, nimmt ihn
ganz in Anspruch. Und daneben häuft der Herzog ein Amt nach dem andern


Dichterfreundinnen.

Kreis oder für einen Einzelnen bestimmt, und Goethes Briefe machen davon
keine Ausnahme. Die Objektivität der Briefe Goethes wird ferner beschränkt
durch die Gegensätze in seinem Wesen. Fast grenzenlos erscheint die Weichheit
seines Gemütes, die Gewalt seiner Empfindungen, und doch ist er ein scharfer
Denker und energischer Händler; seine Aufrichtigkeit, der Ausfluß der Wahr¬
haftigkeit seiner hohen Natur, berührt sich oft fast mit kindlicher Naivität, und
doch ist niemand zurückhaltender, vorsichtiger, weltklnger als er. Auch in seinem
Tagebuche schneidet er sich selbst weitere Mitteilungen mit den Worten ab: „Es
ziemt sich nicht, diese inneren Bewegungen aufzuschreiben" (6. September 1779),
oder deutet nur sehr unbestimmt an oder bedient sich rätselhafter geheimsprach¬
licher Ausdrücke und Zeichen. Denn auch die Tagebücher wurden zuweilen vor¬
gelesen, wie Goethe bezeugt, indem er sich notirt (vom 6. Dezember 1778):
„Knebel las sein Tagebuch von vorm Jahr." Auch in den Briefen an die Frau
von Stein treten diese Gegensätze in Goethes Wesen deutlich hervor. Im all¬
gemeinen schreibt er wohl so, daß die Lebhaftigkeit der augenblicklichen Stimmung
ihm die Worte diktirt; daher scheint es, wen» man eine längere Reihe von diesen
Briefen rasch nacheinander liest, als ob er ganz und gar in der Liebe zu dieser
Frau aufginge. Allein wenn man das Tagebuch dagegen hält, so findet man,
daß ihn zu gleicher Zeit vieles andre mit derselben Lebhaftigkeit anzog, und
die Einträge über seinen Verkehr mit der Stein sind nur selten durch einen
innigeren Ton ausgezeichnet. Es heißt fast immer nur: „Zu (-) >das Sonnen¬
zeiehen als Bezeichnung für Frau von Steins essen" oder „Abends bei <Z."
Goethes Trieb, sich zu bethätigen, war viel zu groß, als daß ihm der Umgang
mit einer Frau, und wäre sie noch so ausgezeichnet gewesen, genügt hätte.
Daneben verkehrt er fast ebenso häufig und vertraut mit Corona Schröter und
mit manchen andern, die im Tagebuche durch mystische Zeichen verhüllt sind.
Wenn man Coronas Nachlaß auffände, würde man wahrscheinlich ein interessantes
Seitenstück zu den Briefen an die Fran von Stein erhalten. Und dabei waren
diese Liaisons immer nur ein kleiner Teil von dem Lebensinhalte des in voller
Kraft wirkenden jungen Goethe. Welche Forderungen stellte der Hof an ihn!
Als der nächste Vertraute der herzoglichen Familie hatte er Sorge zu tragen,
daß Ernstes und Heiteres einen erfreulichen Ausgang nahm. Der Herzog selbst
hatte sich in seine treue Freuudeshut begeben, mit ihm besprach er die höchsten
Angelegenheiten des Staatslebens bei Tage und bei Nacht, die Herzogin erwartete
von seiner klugen Vermittlung die Sicherung ihres Familienlebens, die Herzogin-
Mutter rechnete auf sein Talent bei Veranstaltung aller Festlichkeiten; bei den
Verwicklungen, die Prinz Konstantin dnrch sein unkluges, ausschweifendes Wesen
am Hofe herbeiführte, mußte er den Knoten lösen. Welche Mannichfaltigkeit
von Geschäften füllt allein seine Mußestunden aus! Theater, Parkanlagen,
Zimmereinrichtungen, Bergwerke, Reisen, alles drängt auf ihn ein, nimmt ihn
ganz in Anspruch. Und daneben häuft der Herzog ein Amt nach dem andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199441"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_298" prev="#ID_297" next="#ID_299"> Kreis oder für einen Einzelnen bestimmt, und Goethes Briefe machen davon<lb/>
keine Ausnahme. Die Objektivität der Briefe Goethes wird ferner beschränkt<lb/>
durch die Gegensätze in seinem Wesen. Fast grenzenlos erscheint die Weichheit<lb/>
seines Gemütes, die Gewalt seiner Empfindungen, und doch ist er ein scharfer<lb/>
Denker und energischer Händler; seine Aufrichtigkeit, der Ausfluß der Wahr¬<lb/>
haftigkeit seiner hohen Natur, berührt sich oft fast mit kindlicher Naivität, und<lb/>
doch ist niemand zurückhaltender, vorsichtiger, weltklnger als er. Auch in seinem<lb/>
Tagebuche schneidet er sich selbst weitere Mitteilungen mit den Worten ab: &#x201E;Es<lb/>
ziemt sich nicht, diese inneren Bewegungen aufzuschreiben" (6. September 1779),<lb/>
oder deutet nur sehr unbestimmt an oder bedient sich rätselhafter geheimsprach¬<lb/>
licher Ausdrücke und Zeichen. Denn auch die Tagebücher wurden zuweilen vor¬<lb/>
gelesen, wie Goethe bezeugt, indem er sich notirt (vom 6. Dezember 1778):<lb/>
&#x201E;Knebel las sein Tagebuch von vorm Jahr." Auch in den Briefen an die Frau<lb/>
von Stein treten diese Gegensätze in Goethes Wesen deutlich hervor. Im all¬<lb/>
gemeinen schreibt er wohl so, daß die Lebhaftigkeit der augenblicklichen Stimmung<lb/>
ihm die Worte diktirt; daher scheint es, wen» man eine längere Reihe von diesen<lb/>
Briefen rasch nacheinander liest, als ob er ganz und gar in der Liebe zu dieser<lb/>
Frau aufginge. Allein wenn man das Tagebuch dagegen hält, so findet man,<lb/>
daß ihn zu gleicher Zeit vieles andre mit derselben Lebhaftigkeit anzog, und<lb/>
die Einträge über seinen Verkehr mit der Stein sind nur selten durch einen<lb/>
innigeren Ton ausgezeichnet. Es heißt fast immer nur: &#x201E;Zu (-) &gt;das Sonnen¬<lb/>
zeiehen als Bezeichnung für Frau von Steins essen" oder &#x201E;Abends bei &lt;Z."<lb/>
Goethes Trieb, sich zu bethätigen, war viel zu groß, als daß ihm der Umgang<lb/>
mit einer Frau, und wäre sie noch so ausgezeichnet gewesen, genügt hätte.<lb/>
Daneben verkehrt er fast ebenso häufig und vertraut mit Corona Schröter und<lb/>
mit manchen andern, die im Tagebuche durch mystische Zeichen verhüllt sind.<lb/>
Wenn man Coronas Nachlaß auffände, würde man wahrscheinlich ein interessantes<lb/>
Seitenstück zu den Briefen an die Fran von Stein erhalten. Und dabei waren<lb/>
diese Liaisons immer nur ein kleiner Teil von dem Lebensinhalte des in voller<lb/>
Kraft wirkenden jungen Goethe. Welche Forderungen stellte der Hof an ihn!<lb/>
Als der nächste Vertraute der herzoglichen Familie hatte er Sorge zu tragen,<lb/>
daß Ernstes und Heiteres einen erfreulichen Ausgang nahm. Der Herzog selbst<lb/>
hatte sich in seine treue Freuudeshut begeben, mit ihm besprach er die höchsten<lb/>
Angelegenheiten des Staatslebens bei Tage und bei Nacht, die Herzogin erwartete<lb/>
von seiner klugen Vermittlung die Sicherung ihres Familienlebens, die Herzogin-<lb/>
Mutter rechnete auf sein Talent bei Veranstaltung aller Festlichkeiten; bei den<lb/>
Verwicklungen, die Prinz Konstantin dnrch sein unkluges, ausschweifendes Wesen<lb/>
am Hofe herbeiführte, mußte er den Knoten lösen. Welche Mannichfaltigkeit<lb/>
von Geschäften füllt allein seine Mußestunden aus! Theater, Parkanlagen,<lb/>
Zimmereinrichtungen, Bergwerke, Reisen, alles drängt auf ihn ein, nimmt ihn<lb/>
ganz in Anspruch.  Und daneben häuft der Herzog ein Amt nach dem andern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Dichterfreundinnen. Kreis oder für einen Einzelnen bestimmt, und Goethes Briefe machen davon keine Ausnahme. Die Objektivität der Briefe Goethes wird ferner beschränkt durch die Gegensätze in seinem Wesen. Fast grenzenlos erscheint die Weichheit seines Gemütes, die Gewalt seiner Empfindungen, und doch ist er ein scharfer Denker und energischer Händler; seine Aufrichtigkeit, der Ausfluß der Wahr¬ haftigkeit seiner hohen Natur, berührt sich oft fast mit kindlicher Naivität, und doch ist niemand zurückhaltender, vorsichtiger, weltklnger als er. Auch in seinem Tagebuche schneidet er sich selbst weitere Mitteilungen mit den Worten ab: „Es ziemt sich nicht, diese inneren Bewegungen aufzuschreiben" (6. September 1779), oder deutet nur sehr unbestimmt an oder bedient sich rätselhafter geheimsprach¬ licher Ausdrücke und Zeichen. Denn auch die Tagebücher wurden zuweilen vor¬ gelesen, wie Goethe bezeugt, indem er sich notirt (vom 6. Dezember 1778): „Knebel las sein Tagebuch von vorm Jahr." Auch in den Briefen an die Frau von Stein treten diese Gegensätze in Goethes Wesen deutlich hervor. Im all¬ gemeinen schreibt er wohl so, daß die Lebhaftigkeit der augenblicklichen Stimmung ihm die Worte diktirt; daher scheint es, wen» man eine längere Reihe von diesen Briefen rasch nacheinander liest, als ob er ganz und gar in der Liebe zu dieser Frau aufginge. Allein wenn man das Tagebuch dagegen hält, so findet man, daß ihn zu gleicher Zeit vieles andre mit derselben Lebhaftigkeit anzog, und die Einträge über seinen Verkehr mit der Stein sind nur selten durch einen innigeren Ton ausgezeichnet. Es heißt fast immer nur: „Zu (-) >das Sonnen¬ zeiehen als Bezeichnung für Frau von Steins essen" oder „Abends bei <Z." Goethes Trieb, sich zu bethätigen, war viel zu groß, als daß ihm der Umgang mit einer Frau, und wäre sie noch so ausgezeichnet gewesen, genügt hätte. Daneben verkehrt er fast ebenso häufig und vertraut mit Corona Schröter und mit manchen andern, die im Tagebuche durch mystische Zeichen verhüllt sind. Wenn man Coronas Nachlaß auffände, würde man wahrscheinlich ein interessantes Seitenstück zu den Briefen an die Fran von Stein erhalten. Und dabei waren diese Liaisons immer nur ein kleiner Teil von dem Lebensinhalte des in voller Kraft wirkenden jungen Goethe. Welche Forderungen stellte der Hof an ihn! Als der nächste Vertraute der herzoglichen Familie hatte er Sorge zu tragen, daß Ernstes und Heiteres einen erfreulichen Ausgang nahm. Der Herzog selbst hatte sich in seine treue Freuudeshut begeben, mit ihm besprach er die höchsten Angelegenheiten des Staatslebens bei Tage und bei Nacht, die Herzogin erwartete von seiner klugen Vermittlung die Sicherung ihres Familienlebens, die Herzogin- Mutter rechnete auf sein Talent bei Veranstaltung aller Festlichkeiten; bei den Verwicklungen, die Prinz Konstantin dnrch sein unkluges, ausschweifendes Wesen am Hofe herbeiführte, mußte er den Knoten lösen. Welche Mannichfaltigkeit von Geschäften füllt allein seine Mußestunden aus! Theater, Parkanlagen, Zimmereinrichtungen, Bergwerke, Reisen, alles drängt auf ihn ein, nimmt ihn ganz in Anspruch. Und daneben häuft der Herzog ein Amt nach dem andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/87>, abgerufen am 05.06.2024.