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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Vichterfroundinnon.

großen Stile verfeinert und erweitert, Zweiundzwanzig Jahre alt, hatte sie
sich mit dem Stallmeister von Stein verheiratet, einem stattlichen, im Hofleben
aufgehenden Kavalier, der freilich mehr am Hofe als zu Hause war und sicher
sehr selten eine Berührung mit den Studien und ästhetischen Genüssen seiner
Gattin suchte. Als Goethe (am 7. November 1775) nach Weimar kam, war
die Frau Oberstallmeisterin dreiunddreißig Jahre alt, elf Jahre verheiratet und
vor drei Jahren zum siebentenmale Mutter geworden, ihre vier Töchter waren
im frühesten Alter gestorben, nur die drei Söhne Karl, Ernst und Fritz lebten
noch, und von diesen war der zweite, Ernst, kränklich. Man sieht, des Lebens
Sorge und Weh waren ihr nicht unbekannt geblieben und erhielten oft noch
eine unliebsame Steigerung durch Kränklichkeit und die mühevolle Verwaltung
des Fcuniliengntes Kochberg, die dann besonders drückend sein mochte, wenn ihr
Gemahl, durch Verufsgeschäfte abgehalten, sie ihr allein überlassen mußte. Daß
sie dennoch eine Zierde des Hofes war, ist gewiß ein Zeichen von der Kraft
und Frische ihres geistigen Lebens. Körperlich schön war sie wohl nicht, aber
anmutig, interessant im höchsten Grade. Schiller, der sie 1787 in Weimar
kennen lernte, nennt sie in einem Briefe an Körner "eine wahrhaft eigne, inter¬
essante Person" und fährt fort: "Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr
Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigne Offenheit." Ihre großen,
geistig belebte" Augen waren das, was jeden sogleich anzog und fesselte, Goethe
preist dieselben oft in seinen Briefen. Er freut sich darauf, "in ihren Augen
zu ruhen." Oder er hat auf der ganzen Redoute "nur ihre Augen gesehen,"
und da ist ihm die Mücke ums Licht eingefallen. Von sonstigen körperlichen
Vorzügen ist wohl noch ihre schlanke, leichte Gestalt hervorzuheben, die in den
Schilderungen ihres Wesens mehrfach angedeutet wird und aus einer in La-
vaters Physiognomischcn Fragmenten befindlichen Silhouette deutlich zu ersehen
ist. Die uoch vorhandenen größern Bilder der Frau von Stein stammen meist
aus der Zeit des Alters; aus den Jahren ihrer innigen Verbindung mit Goethe
(1775 bis 1786) ist nnr die oben erwähnte Silhouette, serner ein kleines Öl¬
bild von Hader in der großherzoglichen Bibliothek -- wenn es überhaupt die
Stein darstellt -- und ein sehr schönes von Heinrich Meyer im großherzog¬
lichen Museum. Schon die beiden letzteren sind ohne Zweifel nach 1786 ent¬
standen, noch später (1790) das vou ihr selbst zwischen zwei Spiegeln gezeich¬
nete und (1796) das von Dora Stock, von dem eine sehr gute Nachbildung dem
zweiten Bande der von Fielitz herausgegebenen Briefe vorangestellt ist. Alle
diese Bilder zeigen ein feines, regelmäßiges Gesicht und reiches, in Locken ge¬
kräuseltes und von Binden lose zusammengehaltenes Haar. Aus der Silhouette
in Lavaters Physiognomik kann man wenig mehr ersehen als eine leichte, an¬
mutige Gestalt, das Hadersche Bild zeigt Festigkeit, fast Kühnheit des Aus¬
druckes, das Meyersche sanfte Melancholie, die beiden spätern, besonders das
von Dora Stock, etwas scharf verständiges, fast spitziges im Ausdruck der al-


Grenzbotcn IV. 1886. U
Vichterfroundinnon.

großen Stile verfeinert und erweitert, Zweiundzwanzig Jahre alt, hatte sie
sich mit dem Stallmeister von Stein verheiratet, einem stattlichen, im Hofleben
aufgehenden Kavalier, der freilich mehr am Hofe als zu Hause war und sicher
sehr selten eine Berührung mit den Studien und ästhetischen Genüssen seiner
Gattin suchte. Als Goethe (am 7. November 1775) nach Weimar kam, war
die Frau Oberstallmeisterin dreiunddreißig Jahre alt, elf Jahre verheiratet und
vor drei Jahren zum siebentenmale Mutter geworden, ihre vier Töchter waren
im frühesten Alter gestorben, nur die drei Söhne Karl, Ernst und Fritz lebten
noch, und von diesen war der zweite, Ernst, kränklich. Man sieht, des Lebens
Sorge und Weh waren ihr nicht unbekannt geblieben und erhielten oft noch
eine unliebsame Steigerung durch Kränklichkeit und die mühevolle Verwaltung
des Fcuniliengntes Kochberg, die dann besonders drückend sein mochte, wenn ihr
Gemahl, durch Verufsgeschäfte abgehalten, sie ihr allein überlassen mußte. Daß
sie dennoch eine Zierde des Hofes war, ist gewiß ein Zeichen von der Kraft
und Frische ihres geistigen Lebens. Körperlich schön war sie wohl nicht, aber
anmutig, interessant im höchsten Grade. Schiller, der sie 1787 in Weimar
kennen lernte, nennt sie in einem Briefe an Körner „eine wahrhaft eigne, inter¬
essante Person" und fährt fort: „Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr
Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigne Offenheit." Ihre großen,
geistig belebte» Augen waren das, was jeden sogleich anzog und fesselte, Goethe
preist dieselben oft in seinen Briefen. Er freut sich darauf, „in ihren Augen
zu ruhen." Oder er hat auf der ganzen Redoute „nur ihre Augen gesehen,"
und da ist ihm die Mücke ums Licht eingefallen. Von sonstigen körperlichen
Vorzügen ist wohl noch ihre schlanke, leichte Gestalt hervorzuheben, die in den
Schilderungen ihres Wesens mehrfach angedeutet wird und aus einer in La-
vaters Physiognomischcn Fragmenten befindlichen Silhouette deutlich zu ersehen
ist. Die uoch vorhandenen größern Bilder der Frau von Stein stammen meist
aus der Zeit des Alters; aus den Jahren ihrer innigen Verbindung mit Goethe
(1775 bis 1786) ist nnr die oben erwähnte Silhouette, serner ein kleines Öl¬
bild von Hader in der großherzoglichen Bibliothek — wenn es überhaupt die
Stein darstellt — und ein sehr schönes von Heinrich Meyer im großherzog¬
lichen Museum. Schon die beiden letzteren sind ohne Zweifel nach 1786 ent¬
standen, noch später (1790) das vou ihr selbst zwischen zwei Spiegeln gezeich¬
nete und (1796) das von Dora Stock, von dem eine sehr gute Nachbildung dem
zweiten Bande der von Fielitz herausgegebenen Briefe vorangestellt ist. Alle
diese Bilder zeigen ein feines, regelmäßiges Gesicht und reiches, in Locken ge¬
kräuseltes und von Binden lose zusammengehaltenes Haar. Aus der Silhouette
in Lavaters Physiognomik kann man wenig mehr ersehen als eine leichte, an¬
mutige Gestalt, das Hadersche Bild zeigt Festigkeit, fast Kühnheit des Aus¬
druckes, das Meyersche sanfte Melancholie, die beiden spätern, besonders das
von Dora Stock, etwas scharf verständiges, fast spitziges im Ausdruck der al-


Grenzbotcn IV. 1886. U
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/89>, abgerufen am 31.10.2024.