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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfrenndinneu.

auf seine Schultern bis auf die Kriegs- und Wegebaukommission. Mit welchem
Ernst und Eifer sich Goethe diesen Verpflichtungen unterzog, darüber giebt sein
Tagebuch den besten Aufschluß, Aber dies alles waren nur Nebenwege, sein
innerster Beruf blieb doch Studium und dichterisches Schaffen. Jeder andre
würde unter der Last dieser inneren und äußeren Anspannung bald erlegen sein,
dem Nicsendrange Goethes, sich thätig und lebend zu fühlen, genügte es kaum.
Zum Überflüsse belud sich der in Liebeskraft schwelgende junge Dichterheros
mit Krüppeln und Waisen, mit Plessing, dem armen Kraft in Ilmenau, dem
Schweizer Findling Peter im Baumgarten, den er ganz in sein Hans aufnahm,
und bürdete sich die Erziehung des Sohnes der Frau von Stein, des kleinen
Fritz auf! Seine Geschäftigkeit ist erstaunlich. Er ist hie und da und überall.
In Belvedere, in Ticfurt, in Ettersburg, in Apolda, in Ilmenau. In den
Abendstunden noch eilt er nach Ticfurt, von da nach Berta und um Mitternacht
zurück. Starke körperliche und geistige Bewegung war ihm Bedürfnis. Solchem
gigantischen Treiben gegenüber schrumpfen die Briefe an die Frau von Stein
merklich zusammen. Wie leicht vergißt dies der Forscher, er klammert sich an
eine Seite seines Helden an und verliert die Übersicht über den ganzen Menschen.
Auch im Lichte des andern Gegensatzes verlieren die Briefe etwas von ihrem
Quellengchaltc. Die Wahrhaftigkeit des Goethischen Wesens tritt an vielen
Stellen in überraschender Weise hervor, aber im ganzen ist der Briefsteller höchst
vorsichtig und mußte es schon deshalb sein, weil er an eine höchst vorsichtige
Dame schrieb, der nichts fürchterlicher war, als sich vor der Welt bloßzustellen.
Wenn auch die Briefe nur für sie allein bestimmt waren, so konnten sie doch,
bevor sie in ihre Hand gelangten, verloren gehen, von Unberufenen gelesen
werden, und dann! Goethe wußte wohl, daß all sein Werben umsonst sein
würde, wenn die Welt davon erführe. Viele Jahre hindurch mußte der Liebende
das formelle "Sie" festhalten, erst nach langem Zögern gestand sie ihm das
schriftliche "Du" zu. Von thatsächlichen Huldigungen durfte er nichts schreiben,
nur allegorisch versteckt haben sich Kuß, Umarmung und Kniebeugung je einmal
eingeschlichen, obgleich in den an sie gerichteten Gedichten von allen diesen
Dingen sehr viel die Rede ist. Aber auch in solch diplomatischer Fassung er¬
schienen der vorsichtigen Frau die Briefe noch zu gefährlich, mehrfach hat sie
ganze Stellen abgeschnitten und mannichfache Lücken deuten darauf hin, daß sie
ganze Briefe vernichtet hat. Aus alledem mag man ersehen, wie schwer es ist,
ans dem schriftlichen Nachlasse das Verhältnis Goethes zu der angebeteten
Frau klar zu erkennen.

In den Briefen tritt uns hauptsächlich Goethe entgegen, aber wer war
Frau von Stein?

Charlotte von Stein, geborne von Scharbe, war nach aller Zeugnis eine
der anmutigsten Erscheinungen am Weimarer Hofe. Sie hatte eine sehr sorg¬
fältige Erziehung genossen und diese als Hofdame der Herzogin Amalie im


Dichterfrenndinneu.

auf seine Schultern bis auf die Kriegs- und Wegebaukommission. Mit welchem
Ernst und Eifer sich Goethe diesen Verpflichtungen unterzog, darüber giebt sein
Tagebuch den besten Aufschluß, Aber dies alles waren nur Nebenwege, sein
innerster Beruf blieb doch Studium und dichterisches Schaffen. Jeder andre
würde unter der Last dieser inneren und äußeren Anspannung bald erlegen sein,
dem Nicsendrange Goethes, sich thätig und lebend zu fühlen, genügte es kaum.
Zum Überflüsse belud sich der in Liebeskraft schwelgende junge Dichterheros
mit Krüppeln und Waisen, mit Plessing, dem armen Kraft in Ilmenau, dem
Schweizer Findling Peter im Baumgarten, den er ganz in sein Hans aufnahm,
und bürdete sich die Erziehung des Sohnes der Frau von Stein, des kleinen
Fritz auf! Seine Geschäftigkeit ist erstaunlich. Er ist hie und da und überall.
In Belvedere, in Ticfurt, in Ettersburg, in Apolda, in Ilmenau. In den
Abendstunden noch eilt er nach Ticfurt, von da nach Berta und um Mitternacht
zurück. Starke körperliche und geistige Bewegung war ihm Bedürfnis. Solchem
gigantischen Treiben gegenüber schrumpfen die Briefe an die Frau von Stein
merklich zusammen. Wie leicht vergißt dies der Forscher, er klammert sich an
eine Seite seines Helden an und verliert die Übersicht über den ganzen Menschen.
Auch im Lichte des andern Gegensatzes verlieren die Briefe etwas von ihrem
Quellengchaltc. Die Wahrhaftigkeit des Goethischen Wesens tritt an vielen
Stellen in überraschender Weise hervor, aber im ganzen ist der Briefsteller höchst
vorsichtig und mußte es schon deshalb sein, weil er an eine höchst vorsichtige
Dame schrieb, der nichts fürchterlicher war, als sich vor der Welt bloßzustellen.
Wenn auch die Briefe nur für sie allein bestimmt waren, so konnten sie doch,
bevor sie in ihre Hand gelangten, verloren gehen, von Unberufenen gelesen
werden, und dann! Goethe wußte wohl, daß all sein Werben umsonst sein
würde, wenn die Welt davon erführe. Viele Jahre hindurch mußte der Liebende
das formelle „Sie" festhalten, erst nach langem Zögern gestand sie ihm das
schriftliche „Du" zu. Von thatsächlichen Huldigungen durfte er nichts schreiben,
nur allegorisch versteckt haben sich Kuß, Umarmung und Kniebeugung je einmal
eingeschlichen, obgleich in den an sie gerichteten Gedichten von allen diesen
Dingen sehr viel die Rede ist. Aber auch in solch diplomatischer Fassung er¬
schienen der vorsichtigen Frau die Briefe noch zu gefährlich, mehrfach hat sie
ganze Stellen abgeschnitten und mannichfache Lücken deuten darauf hin, daß sie
ganze Briefe vernichtet hat. Aus alledem mag man ersehen, wie schwer es ist,
ans dem schriftlichen Nachlasse das Verhältnis Goethes zu der angebeteten
Frau klar zu erkennen.

In den Briefen tritt uns hauptsächlich Goethe entgegen, aber wer war
Frau von Stein?

Charlotte von Stein, geborne von Scharbe, war nach aller Zeugnis eine
der anmutigsten Erscheinungen am Weimarer Hofe. Sie hatte eine sehr sorg¬
fältige Erziehung genossen und diese als Hofdame der Herzogin Amalie im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/88>, abgerufen am 05.06.2024.