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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Parlamentarisches aus Österreich.

Kredit der Presse wieder zu heben, verdient wohl die Billigung und Unter¬
stützung jedes ehrlichen Menschen. Und als ob sie handgreiflich darthun wollten,
wie notwendig die von Foregger angeregte Reform der Gesetzgebung ist, geraten
verschicone Zeitungen in förmliche Wut bei dem Gedanken, daß Bestechung,
Verleumdung, Preisgebung der allgemeinen Interessen zu Gunsten einzelner und
dergleichen schöne Dinge mehr gerichtlicher Ahndung ausgesetzt sein sollen.

Umso größere Befriedigung hat die im "Deutschen Klub" eingetretene Spal¬
tung hervorgerufen. Daß die Jugend lebhafter und rücksichtsloser auftreten
will, und das bedächtige Alter dann über Unbotmäßigkeit klagt, ist am wenigsten
auf parlamentarischem Gebiete etwas neues. So bildete sich zwischen 1866 und
1870 eine selbständige Gruppe in der Vcrfassungspartci, die erbgesessenen, "im
Dienste der Freiheit ergrauten" Führer schrieen "Rebellion!", ließen sich im
Kampfe gegen den Föderalismus die Hilfe der viel thätigeren und mutigeren
Rebellen gern gefallen. Seitdem sind manche von den letztern ehrwürdig ge¬
worden und betrachten die Bildung des "Deutschen Klubs" als schnöden Abfall.
In diesem Kind machten sich bald zwei Strömungen bemerkbar. Der eine
Flügel hält an den parlamentarischen Traditionen und Lehrmeinungen fest, der
andre läßt, wie oben erwähnt, anch an dieser Kritik walten, und schent sich nicht,
das Judentum als einen vorzüglichen Träger der Korruption in unserm öffent¬
lichen Leben zu bezeichnen. Diese Gegensätze haben zum Bruche geführt, und
um die ausgetretene Minorität in der Meinung der Zeitungsleser anzuschwärzen,
nennt man sie schlechthin antisemitisch. Größeres Anrecht haben einzelne Wort¬
führer der andern Fraktion auf deu Namen philosemitisch erworben.

Eine sogenannte große, stellenweise stürmische Debatte erlebten wir über
den Antrag Pleners auf Einsetzung von Arbciterkammern. Pierer ist unbe¬
dingt eins der begabtesten und gebildetsten Mitglieder des Abgeordnetenhauses
und wohl berufen, einmal eine wichtige Rolle zu spielen. Aber in diesem Falle
hat er sich nur als geschickter Redner bewährt. Schon daß er sich einen ganz
oberflächlichen Streber beigesellte, um seineu Antrag einzubringen, mußte be¬
denklich machen, und sein Genosse that denn auch das seinige, um die Meinung
zu verbreiten, daß es sich nur um einen Theaterkoup handle. "Es müssen
Arbeiter in das Parlament gewählt werden, damit die Herrschaft der Phrase
ein Ende nimmt!" rief jener Herr aus. Und nun heißt es allgemein: "Er wird
doch uicht sein eignes Todesurteil fordern, folglich ist der ganze Antrag nicht
ernst gemeint." Pierer verlangt die Einsetzung von Arbeiterkammern zur Be¬
sprechung ihrer Angelegenheiten -- dafür kann man stimmen; aus den Kammern
sollen Vertreter in den Rcichsrat entsendet werden -- gut. Daß die Arbeiter
das volle Wahlrecht erhielte", daran sei in Österreich vorderhand nicht zu
denken, sagt Pierer, und legt die Schattenseiten des allgemeinen Stimmrechtes
mit zwar nicht neuen, aber treffenden Argumenten dar. Einem konfusen An¬
hänger sozialdemokratischer Ideen gegenüber macht er sogar darauf aufmerksam,


Parlamentarisches aus Österreich.

Kredit der Presse wieder zu heben, verdient wohl die Billigung und Unter¬
stützung jedes ehrlichen Menschen. Und als ob sie handgreiflich darthun wollten,
wie notwendig die von Foregger angeregte Reform der Gesetzgebung ist, geraten
verschicone Zeitungen in förmliche Wut bei dem Gedanken, daß Bestechung,
Verleumdung, Preisgebung der allgemeinen Interessen zu Gunsten einzelner und
dergleichen schöne Dinge mehr gerichtlicher Ahndung ausgesetzt sein sollen.

Umso größere Befriedigung hat die im „Deutschen Klub" eingetretene Spal¬
tung hervorgerufen. Daß die Jugend lebhafter und rücksichtsloser auftreten
will, und das bedächtige Alter dann über Unbotmäßigkeit klagt, ist am wenigsten
auf parlamentarischem Gebiete etwas neues. So bildete sich zwischen 1866 und
1870 eine selbständige Gruppe in der Vcrfassungspartci, die erbgesessenen, „im
Dienste der Freiheit ergrauten" Führer schrieen „Rebellion!", ließen sich im
Kampfe gegen den Föderalismus die Hilfe der viel thätigeren und mutigeren
Rebellen gern gefallen. Seitdem sind manche von den letztern ehrwürdig ge¬
worden und betrachten die Bildung des „Deutschen Klubs" als schnöden Abfall.
In diesem Kind machten sich bald zwei Strömungen bemerkbar. Der eine
Flügel hält an den parlamentarischen Traditionen und Lehrmeinungen fest, der
andre läßt, wie oben erwähnt, anch an dieser Kritik walten, und schent sich nicht,
das Judentum als einen vorzüglichen Träger der Korruption in unserm öffent¬
lichen Leben zu bezeichnen. Diese Gegensätze haben zum Bruche geführt, und
um die ausgetretene Minorität in der Meinung der Zeitungsleser anzuschwärzen,
nennt man sie schlechthin antisemitisch. Größeres Anrecht haben einzelne Wort¬
führer der andern Fraktion auf deu Namen philosemitisch erworben.

Eine sogenannte große, stellenweise stürmische Debatte erlebten wir über
den Antrag Pleners auf Einsetzung von Arbciterkammern. Pierer ist unbe¬
dingt eins der begabtesten und gebildetsten Mitglieder des Abgeordnetenhauses
und wohl berufen, einmal eine wichtige Rolle zu spielen. Aber in diesem Falle
hat er sich nur als geschickter Redner bewährt. Schon daß er sich einen ganz
oberflächlichen Streber beigesellte, um seineu Antrag einzubringen, mußte be¬
denklich machen, und sein Genosse that denn auch das seinige, um die Meinung
zu verbreiten, daß es sich nur um einen Theaterkoup handle. „Es müssen
Arbeiter in das Parlament gewählt werden, damit die Herrschaft der Phrase
ein Ende nimmt!" rief jener Herr aus. Und nun heißt es allgemein: „Er wird
doch uicht sein eignes Todesurteil fordern, folglich ist der ganze Antrag nicht
ernst gemeint." Pierer verlangt die Einsetzung von Arbeiterkammern zur Be¬
sprechung ihrer Angelegenheiten — dafür kann man stimmen; aus den Kammern
sollen Vertreter in den Rcichsrat entsendet werden — gut. Daß die Arbeiter
das volle Wahlrecht erhielte«, daran sei in Österreich vorderhand nicht zu
denken, sagt Pierer, und legt die Schattenseiten des allgemeinen Stimmrechtes
mit zwar nicht neuen, aber treffenden Argumenten dar. Einem konfusen An¬
hänger sozialdemokratischer Ideen gegenüber macht er sogar darauf aufmerksam,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/392>, abgerufen am 17.06.2024.