Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.fielen alle, so viele ihrer in der Prozession gingen, und die Mehrzahl aller Zu¬ Jeder schreie, wie ich schreie -- Als ob er durch einen bösen Zufall unter Irrsinnige geraten sei, machte Guilicmo Offenbar wußte Giuliano nichts von Girolamo Beuivieni, oder erkannte er
Dies ist nämlich der Refrain der Strophen eines längeren Liedes, durch welches In die Renaissance ragt das Altertum mit tausend Fäden hinein, und diesen Hier haben wir eine Pergamenthandschrift, die zugleich eine Rolle ist, und Freilich scheint damals von dem letzteren Artikel viel Ueberfluß in Florenz fielen alle, so viele ihrer in der Prozession gingen, und die Mehrzahl aller Zu¬ Jeder schreie, wie ich schreie — Als ob er durch einen bösen Zufall unter Irrsinnige geraten sei, machte Guilicmo Offenbar wußte Giuliano nichts von Girolamo Beuivieni, oder erkannte er
Dies ist nämlich der Refrain der Strophen eines längeren Liedes, durch welches In die Renaissance ragt das Altertum mit tausend Fäden hinein, und diesen Hier haben wir eine Pergamenthandschrift, die zugleich eine Rolle ist, und Freilich scheint damals von dem letzteren Artikel viel Ueberfluß in Florenz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200889"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_362" prev="#ID_361"> fielen alle, so viele ihrer in der Prozession gingen, und die Mehrzahl aller Zu¬<lb/> schauer in den Refrain des Liedes ein, brüllend, heulend, die Arme schlenkernd,<lb/> mit den Füßen wie besessen ans die Steinplatten des Pflasters stampfend, der dort<lb/> mit rollenden Angen und verworrenen Haar, jener unter strömenden Thränen:</p><lb/> <quote> Jeder schreie, wie ich schreie —<lb/> Immerdar verrückt, verrückt!</quote><lb/> <p xml:id="ID_363"> Als ob er durch einen bösen Zufall unter Irrsinnige geraten sei, machte Guilicmo<lb/> eine Bewegung des Ekels und halb des Schreckens, und suchte sich aus dem Ge¬<lb/> dränge zu befreien."</p><lb/> <p xml:id="ID_364"> Offenbar wußte Giuliano nichts von Girolamo Beuivieni, oder erkannte er<lb/> vielleicht in der Uebersetzung das Original nicht wieder? Es lautet:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> Avr t'n in!ti pin tsi sa1s,Ws>,<lb/> ?in g'iooonclo ng maMiors,<lb/> Ode xoi' noto o xoi' aiuory<lb/> Di Oven <tivsn!>' pu>7,no.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_365"> Dies ist nämlich der Refrain der Strophen eines längeren Liedes, durch welches<lb/> sich Benivieni, ein fanatischer Anhänger Savonarolas, lächerlich machte, und welches<lb/> in der besprochenen Novelle in so stimmungsvoller Weise übersetzt ist!</p><lb/> <p xml:id="ID_366"> In die Renaissance ragt das Altertum mit tausend Fäden hinein, und diesen<lb/> Hintergrund seines Gemäldes hat sich Frenzel natürlich nicht entgehen lassen. So<lb/> heißt es S. 22: „Zwei Diener trugen aus dein Hause einen Sessel und eine Fu߬<lb/> bank mit Kissen und Decken herbei und stellten sie in der Sonne zum Sitz für<lb/> ^ den Herrn auf. Hinter ihnen schritt Giuliano einher, mit muntern Angen und<lb/> flatterndem Haar, eine Schriftrolle in der Hand. . . . »Ich habe dir die Politik<lb/> des Aristoteles mitgebracht« fing Giuliano an." Und nachher heißt es: „»Ihre<lb/> Heiligkeit ist ihre Leidenschaft« entgegnete Giuliano und zerknitterte mit heftigem<lb/> Drucke die Handschrift des Aristoteles. »Laß es dein unschuldigen (gemeint ist<lb/> wohl das unschuldige) Pergament nicht entgelten, daß Elena dich ärgert,« be¬<lb/> schwichtigte ihn Jacopo."</p><lb/> <p xml:id="ID_367"> Hier haben wir eine Pergamenthandschrift, die zugleich eine Rolle ist, und<lb/> der Leser hat nun die Wahl, ob er sich darunter eine Bllcherrolle vorstellen soll,<lb/> wie sie die Alten hatten, ehe Pergament allgemein zum Schreiben benutzt wurde,<lb/> oder einen Pergamentkodex, wie sie die Bibliotheken aufbewahren, und wie sie<lb/> Jacopos Freund Lorenzo dei Medici sammelte und in der von ihm gegründeten<lb/> Laurenzianischen Bibliothek vereinigte. Das Dilemma ist nur: war es eine Rolle,<lb/> dann war sie nicht aus Pergament, sondern aus Papyrus, und war es ein<lb/> Pergameutkodex, dann war es keine Rolle.</p><lb/> <p xml:id="ID_368" next="#ID_369"> Freilich scheint damals von dem letzteren Artikel viel Ueberfluß in Florenz<lb/> gewesen zu sein, denn auf S. 5 werden auch die Bücherrollen der Gelehrten auf<lb/> dein Scheiterhaufen verbrannt. Wir hoffen, daß damit diejenigen Bücherrollen<lb/> gemeint sind, in denen damalige Gelehrte ihre Studien der Nachwelt überlieferten.<lb/> Es ist uns allerdings sonst nicht bekannt, daß damals auf Rollen geschrieben wurde;<lb/> wer sich jetzt, mit einem sechswöchentlichen Nundreisebillct versehen, die zur mo¬<lb/> dernen Bildung unumgänglich nötige tiefe Kenntnis italienischer Verhältnisse an¬<lb/> eignet, der kann, falls er sich die Laurenziana oder andre italienische Bibliotheken<lb/> ansieht, leicht die Ueberzeugung gewinnen, daß mau im fünfzehnten Jahrhundert<lb/> nicht Rollen, sondern Bücher schrieb. Aber die Möglichkeit verbrannter, rollenhaft</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
fielen alle, so viele ihrer in der Prozession gingen, und die Mehrzahl aller Zu¬
schauer in den Refrain des Liedes ein, brüllend, heulend, die Arme schlenkernd,
mit den Füßen wie besessen ans die Steinplatten des Pflasters stampfend, der dort
mit rollenden Angen und verworrenen Haar, jener unter strömenden Thränen:
Jeder schreie, wie ich schreie —
Immerdar verrückt, verrückt!
Als ob er durch einen bösen Zufall unter Irrsinnige geraten sei, machte Guilicmo
eine Bewegung des Ekels und halb des Schreckens, und suchte sich aus dem Ge¬
dränge zu befreien."
Offenbar wußte Giuliano nichts von Girolamo Beuivieni, oder erkannte er
vielleicht in der Uebersetzung das Original nicht wieder? Es lautet:
Avr t'n in!ti pin tsi sa1s,Ws>,
?in g'iooonclo ng maMiors,
Ode xoi' noto o xoi' aiuory
Di Oven <tivsn!>' pu>7,no.
Dies ist nämlich der Refrain der Strophen eines längeren Liedes, durch welches
sich Benivieni, ein fanatischer Anhänger Savonarolas, lächerlich machte, und welches
in der besprochenen Novelle in so stimmungsvoller Weise übersetzt ist!
In die Renaissance ragt das Altertum mit tausend Fäden hinein, und diesen
Hintergrund seines Gemäldes hat sich Frenzel natürlich nicht entgehen lassen. So
heißt es S. 22: „Zwei Diener trugen aus dein Hause einen Sessel und eine Fu߬
bank mit Kissen und Decken herbei und stellten sie in der Sonne zum Sitz für
^ den Herrn auf. Hinter ihnen schritt Giuliano einher, mit muntern Angen und
flatterndem Haar, eine Schriftrolle in der Hand. . . . »Ich habe dir die Politik
des Aristoteles mitgebracht« fing Giuliano an." Und nachher heißt es: „»Ihre
Heiligkeit ist ihre Leidenschaft« entgegnete Giuliano und zerknitterte mit heftigem
Drucke die Handschrift des Aristoteles. »Laß es dein unschuldigen (gemeint ist
wohl das unschuldige) Pergament nicht entgelten, daß Elena dich ärgert,« be¬
schwichtigte ihn Jacopo."
Hier haben wir eine Pergamenthandschrift, die zugleich eine Rolle ist, und
der Leser hat nun die Wahl, ob er sich darunter eine Bllcherrolle vorstellen soll,
wie sie die Alten hatten, ehe Pergament allgemein zum Schreiben benutzt wurde,
oder einen Pergamentkodex, wie sie die Bibliotheken aufbewahren, und wie sie
Jacopos Freund Lorenzo dei Medici sammelte und in der von ihm gegründeten
Laurenzianischen Bibliothek vereinigte. Das Dilemma ist nur: war es eine Rolle,
dann war sie nicht aus Pergament, sondern aus Papyrus, und war es ein
Pergameutkodex, dann war es keine Rolle.
Freilich scheint damals von dem letzteren Artikel viel Ueberfluß in Florenz
gewesen zu sein, denn auf S. 5 werden auch die Bücherrollen der Gelehrten auf
dein Scheiterhaufen verbrannt. Wir hoffen, daß damit diejenigen Bücherrollen
gemeint sind, in denen damalige Gelehrte ihre Studien der Nachwelt überlieferten.
Es ist uns allerdings sonst nicht bekannt, daß damals auf Rollen geschrieben wurde;
wer sich jetzt, mit einem sechswöchentlichen Nundreisebillct versehen, die zur mo¬
dernen Bildung unumgänglich nötige tiefe Kenntnis italienischer Verhältnisse an¬
eignet, der kann, falls er sich die Laurenziana oder andre italienische Bibliotheken
ansieht, leicht die Ueberzeugung gewinnen, daß mau im fünfzehnten Jahrhundert
nicht Rollen, sondern Bücher schrieb. Aber die Möglichkeit verbrannter, rollenhaft
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