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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

zurückgehaltenen gespannten Kraft fand in der religiösen Bewegung den Aus¬
gang, den ersten Ausbruch. Weil ans andern Gebieten der Führer fehlte, der
Luther an Kraft und Sicherheit gleichgekommen wäre, darf man die treibende
Kraft der sogenannten Reformation nicht in dem Streit um einige Glaubens¬
sätze und Gebräuche suchen, weil sie schließlich blieben wie die festgewordene Lava
nach einem vulkanischen Ausbruch.

Von schlichten bürgerlich-gelehrten Kreisen war die Bewegung ausgegangen,
mit der sich bald Kaiser und Papst, Reichstage und Kirchenversammlungen
beschäftigen mußten. Bürgerlich im deutschen Sinne, ja bauernhaft waren der
Mannesstolz, die hartnäckige Überzeugnngstrcuc, der rücksichtslose Freimut
Luthers, der die richtende und strafende Gewalt der Kirche wie nur ein Gregor
oder Alexander über Hohe und Niedere übte, der mit Fürsten wie mit seines
Gleichen verkehrte, ohne andre Macht hinter sich als seine Überzeugung, daß
es seine Pflicht sei.

Aber doch mußte sein Werk der Kirchenspaltung dem bürgerlichen Charakter
auf die Länge nachteilig sein, wenn auch das Bürgertum der Reichsstädte zu
feinen ersten und eifrigsten Anhängern gehörte. Wichtiger war der Anteil
der Fürsten des Reiches. Für ihren Schutz und ihre Parteinahme sprach ihnen
die neue Kirche das Recht der Verfügung über die Kirchengüter und die höchste
Macht in den einzelnen Landeskirchen zu; damit ward bald das Recht verbunden,
über den Glauben ihrer Unterthanen zu bestimmen. Dieser Machterweiteruug
siel auch der Landadel anheim, der in den Klöstern und Stiftern die Versorgung
jüngerer Kinder verlor. So wurde die Machtfülle der Landesfürsten der Preis
der kirchlichen Neuerung, beide Konfessionen wetteiferten in der Predigt vom
leidenden Gehorsam der Unterthanen.

Die Wichtigkeit, welche fortan den Glaubensstreitigkeiten zukam, machte
die Behandlung derselben zum Hauptgeschäft der Theologen. Streitsucht und
Rechthaberei, eigensinnige Versteifung auf der eigenen oder nur eingelernten
Lehrmcinung, Verketzerungssucht andrer Ansichten wurde ein Charakterzug der
deutschen Theologen, weit hinaus über den Bereich der dogmatischen Difteleien
der mittelalterlichen Kirche. Dieser Zug der Streitseligkeit hat sich auf Jahr¬
hunderte hinaus fortgesetzt, die ciruzrsllö allLrog-näiz ist sprichwörtlich geworden;
in Wissenschaft und Politik dauert er unverkennbar noch bis in die Gegenwart
herein als deutsche Eigentümlichkeit fort.

Die sittliche Strenge gegen die Fürsten wurde sehr bald zurückgesetzt, um
die Hilfe des weltlichen Armes gegen Andersgläubige zu erhalten. So entstand
bald eine doppelte Moral, so weit sie neben den Glaubenszänkereien überhaupt
noch als religiöses Arbeitsgebiet geltend bleiben konnte; mit der sittlichen Ver¬
wahrlosung des Volkes ging dessen geistige Verdumpfung und Einschüchterung
Hand in Hand, die Hexenverfolgungen wurden neben dem Glaubenshader die
wichtigste öffentliche Angelegenheit. Ein Glück, daß ein kräftiger Grundstrom


Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

zurückgehaltenen gespannten Kraft fand in der religiösen Bewegung den Aus¬
gang, den ersten Ausbruch. Weil ans andern Gebieten der Führer fehlte, der
Luther an Kraft und Sicherheit gleichgekommen wäre, darf man die treibende
Kraft der sogenannten Reformation nicht in dem Streit um einige Glaubens¬
sätze und Gebräuche suchen, weil sie schließlich blieben wie die festgewordene Lava
nach einem vulkanischen Ausbruch.

Von schlichten bürgerlich-gelehrten Kreisen war die Bewegung ausgegangen,
mit der sich bald Kaiser und Papst, Reichstage und Kirchenversammlungen
beschäftigen mußten. Bürgerlich im deutschen Sinne, ja bauernhaft waren der
Mannesstolz, die hartnäckige Überzeugnngstrcuc, der rücksichtslose Freimut
Luthers, der die richtende und strafende Gewalt der Kirche wie nur ein Gregor
oder Alexander über Hohe und Niedere übte, der mit Fürsten wie mit seines
Gleichen verkehrte, ohne andre Macht hinter sich als seine Überzeugung, daß
es seine Pflicht sei.

Aber doch mußte sein Werk der Kirchenspaltung dem bürgerlichen Charakter
auf die Länge nachteilig sein, wenn auch das Bürgertum der Reichsstädte zu
feinen ersten und eifrigsten Anhängern gehörte. Wichtiger war der Anteil
der Fürsten des Reiches. Für ihren Schutz und ihre Parteinahme sprach ihnen
die neue Kirche das Recht der Verfügung über die Kirchengüter und die höchste
Macht in den einzelnen Landeskirchen zu; damit ward bald das Recht verbunden,
über den Glauben ihrer Unterthanen zu bestimmen. Dieser Machterweiteruug
siel auch der Landadel anheim, der in den Klöstern und Stiftern die Versorgung
jüngerer Kinder verlor. So wurde die Machtfülle der Landesfürsten der Preis
der kirchlichen Neuerung, beide Konfessionen wetteiferten in der Predigt vom
leidenden Gehorsam der Unterthanen.

Die Wichtigkeit, welche fortan den Glaubensstreitigkeiten zukam, machte
die Behandlung derselben zum Hauptgeschäft der Theologen. Streitsucht und
Rechthaberei, eigensinnige Versteifung auf der eigenen oder nur eingelernten
Lehrmcinung, Verketzerungssucht andrer Ansichten wurde ein Charakterzug der
deutschen Theologen, weit hinaus über den Bereich der dogmatischen Difteleien
der mittelalterlichen Kirche. Dieser Zug der Streitseligkeit hat sich auf Jahr¬
hunderte hinaus fortgesetzt, die ciruzrsllö allLrog-näiz ist sprichwörtlich geworden;
in Wissenschaft und Politik dauert er unverkennbar noch bis in die Gegenwart
herein als deutsche Eigentümlichkeit fort.

Die sittliche Strenge gegen die Fürsten wurde sehr bald zurückgesetzt, um
die Hilfe des weltlichen Armes gegen Andersgläubige zu erhalten. So entstand
bald eine doppelte Moral, so weit sie neben den Glaubenszänkereien überhaupt
noch als religiöses Arbeitsgebiet geltend bleiben konnte; mit der sittlichen Ver¬
wahrlosung des Volkes ging dessen geistige Verdumpfung und Einschüchterung
Hand in Hand, die Hexenverfolgungen wurden neben dem Glaubenshader die
wichtigste öffentliche Angelegenheit. Ein Glück, daß ein kräftiger Grundstrom


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[0130] Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. zurückgehaltenen gespannten Kraft fand in der religiösen Bewegung den Aus¬ gang, den ersten Ausbruch. Weil ans andern Gebieten der Führer fehlte, der Luther an Kraft und Sicherheit gleichgekommen wäre, darf man die treibende Kraft der sogenannten Reformation nicht in dem Streit um einige Glaubens¬ sätze und Gebräuche suchen, weil sie schließlich blieben wie die festgewordene Lava nach einem vulkanischen Ausbruch. Von schlichten bürgerlich-gelehrten Kreisen war die Bewegung ausgegangen, mit der sich bald Kaiser und Papst, Reichstage und Kirchenversammlungen beschäftigen mußten. Bürgerlich im deutschen Sinne, ja bauernhaft waren der Mannesstolz, die hartnäckige Überzeugnngstrcuc, der rücksichtslose Freimut Luthers, der die richtende und strafende Gewalt der Kirche wie nur ein Gregor oder Alexander über Hohe und Niedere übte, der mit Fürsten wie mit seines Gleichen verkehrte, ohne andre Macht hinter sich als seine Überzeugung, daß es seine Pflicht sei. Aber doch mußte sein Werk der Kirchenspaltung dem bürgerlichen Charakter auf die Länge nachteilig sein, wenn auch das Bürgertum der Reichsstädte zu feinen ersten und eifrigsten Anhängern gehörte. Wichtiger war der Anteil der Fürsten des Reiches. Für ihren Schutz und ihre Parteinahme sprach ihnen die neue Kirche das Recht der Verfügung über die Kirchengüter und die höchste Macht in den einzelnen Landeskirchen zu; damit ward bald das Recht verbunden, über den Glauben ihrer Unterthanen zu bestimmen. Dieser Machterweiteruug siel auch der Landadel anheim, der in den Klöstern und Stiftern die Versorgung jüngerer Kinder verlor. So wurde die Machtfülle der Landesfürsten der Preis der kirchlichen Neuerung, beide Konfessionen wetteiferten in der Predigt vom leidenden Gehorsam der Unterthanen. Die Wichtigkeit, welche fortan den Glaubensstreitigkeiten zukam, machte die Behandlung derselben zum Hauptgeschäft der Theologen. Streitsucht und Rechthaberei, eigensinnige Versteifung auf der eigenen oder nur eingelernten Lehrmcinung, Verketzerungssucht andrer Ansichten wurde ein Charakterzug der deutschen Theologen, weit hinaus über den Bereich der dogmatischen Difteleien der mittelalterlichen Kirche. Dieser Zug der Streitseligkeit hat sich auf Jahr¬ hunderte hinaus fortgesetzt, die ciruzrsllö allLrog-näiz ist sprichwörtlich geworden; in Wissenschaft und Politik dauert er unverkennbar noch bis in die Gegenwart herein als deutsche Eigentümlichkeit fort. Die sittliche Strenge gegen die Fürsten wurde sehr bald zurückgesetzt, um die Hilfe des weltlichen Armes gegen Andersgläubige zu erhalten. So entstand bald eine doppelte Moral, so weit sie neben den Glaubenszänkereien überhaupt noch als religiöses Arbeitsgebiet geltend bleiben konnte; mit der sittlichen Ver¬ wahrlosung des Volkes ging dessen geistige Verdumpfung und Einschüchterung Hand in Hand, die Hexenverfolgungen wurden neben dem Glaubenshader die wichtigste öffentliche Angelegenheit. Ein Glück, daß ein kräftiger Grundstrom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/130>, abgerufen am 08.06.2024.