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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

von holder Frauenschönheit überhaupt, um ihrem Wesen einen Ausdruck zu
geben, Goethe, dieser Kenner von Schönheit. Das ist denn an Wert, ich
möchte sagen, einer wissenschaftlichen Beobachtung gleich, welche den Eindruck
der Erfahrung treu aufnimmt und wiedergiebt. Dazu stimmt nun weiter trefflich
ein Dichterwort ans dem fünfzehnten Jahrhundert, in einem lehrhaften Ge¬
dichte, leider ohne Dichternamen, das sich Frauenspiegel nennt und die Frauen
unterrichtet, wie sie sich "gegen iren etlichen genähet" Verhalten sollen, um
seine ganze Liebe und ihre rechte Stellung im Hause zu erwerben. Da heißt
es gegen das Ende:")


Damit weid werden maister,
Sie gleißen als die Mister,

d. h. damit gewinnen sie ihre rechte Herrschaft im Hauslebcn und -- werden
schön, sie glänzen dann wie mit Geisterglanz. Das ist denn im Grunde die¬
selbe Vorstellung oder Auffassung der Schönheit, wie mit dem Phosphor und
dem Monde im neunzehnten und hier schon im fünfzehnten Jahrhundert; alle drei,
auch die Geistererscheinung (die man sich blau oder bläulich dachte), gehören anch
mit ihrem stilleren, tieferen Glänze der Nacht an, wie Goethe vorhin im Divan
auch von Nacht spricht, d. h. das Leben ohne Liebe überhaupt als Nacht ge¬
dacht, wie oft bei ihm. Geister sehen wir ja jetzt nicht mehr, aber wie eigen¬
tümlich fesselnd Phosphorglanz wirken kaun, erfährt man z. B. an dem Leuchten
der Johanniswürmchen im Dunkel des Waldes oder an dem Meeresleuchten
in Nacht und Dämmer, wie ichs z. B. im Kieler Hafen gesehen habe. Man
empfindet und bezeichnet dies Leuchten noch als geisterhaft und meint doch wohl
damit, daß es wie aus einer andern Welt herein scheine, für die wir doch ein
Entsprechendes auch in uns haben als dämmernde Ahnung im Gemüt, selbst
wenn der Kopf nicht mehr daran glaubt. Nun und mit solchem Leuchten wird
also der Glanz der Frauenschönheit verglichen in neuer und alter Zeit, um ihn
als Seelenglauz zu bezeichnen.

Was aber dabei die Hauptsache ist für deu gesuchten Begriff, diese Schön¬
heit ist ein Gut, das erworben werden kaun, für das man nicht auf die gute
Stunde der Mutter Natur zu warten braucht, die wohl den guten Willen zu
haben scheint, immer Schönes herzustellen, aber gerade bei Darstellung des
Menschen, besonders des Menschenangesichts, dieses Hauptstttckes ihres Schaffens,
mit wer weiß welchen störenden Einflüssen in Kampf kommt, die ihren guten
Willen kreuzen. Da kann denn aber der Mensch aus sich selber ergänzend,
nachhelfend, nachschaffend eintreten, das ist auch vorgesehen im Grundriß des
Ganzen und ist darin für uns Menschen sogar der Hauptpunkt (nicht für das



*) Dichtungen des sechzehnten Jahrhunderts, nach den Originaldruckeu herausgegeben
von Emil Weiler (Tübingen, 1874), S. 92; das Gedicht liegt zwar nur in Drucken des sech¬
zehnten Jahrhunderts lor, ist aber sicher uoch aus dein fünfzehnten.
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

von holder Frauenschönheit überhaupt, um ihrem Wesen einen Ausdruck zu
geben, Goethe, dieser Kenner von Schönheit. Das ist denn an Wert, ich
möchte sagen, einer wissenschaftlichen Beobachtung gleich, welche den Eindruck
der Erfahrung treu aufnimmt und wiedergiebt. Dazu stimmt nun weiter trefflich
ein Dichterwort ans dem fünfzehnten Jahrhundert, in einem lehrhaften Ge¬
dichte, leider ohne Dichternamen, das sich Frauenspiegel nennt und die Frauen
unterrichtet, wie sie sich „gegen iren etlichen genähet" Verhalten sollen, um
seine ganze Liebe und ihre rechte Stellung im Hause zu erwerben. Da heißt
es gegen das Ende:")


Damit weid werden maister,
Sie gleißen als die Mister,

d. h. damit gewinnen sie ihre rechte Herrschaft im Hauslebcn und — werden
schön, sie glänzen dann wie mit Geisterglanz. Das ist denn im Grunde die¬
selbe Vorstellung oder Auffassung der Schönheit, wie mit dem Phosphor und
dem Monde im neunzehnten und hier schon im fünfzehnten Jahrhundert; alle drei,
auch die Geistererscheinung (die man sich blau oder bläulich dachte), gehören anch
mit ihrem stilleren, tieferen Glänze der Nacht an, wie Goethe vorhin im Divan
auch von Nacht spricht, d. h. das Leben ohne Liebe überhaupt als Nacht ge¬
dacht, wie oft bei ihm. Geister sehen wir ja jetzt nicht mehr, aber wie eigen¬
tümlich fesselnd Phosphorglanz wirken kaun, erfährt man z. B. an dem Leuchten
der Johanniswürmchen im Dunkel des Waldes oder an dem Meeresleuchten
in Nacht und Dämmer, wie ichs z. B. im Kieler Hafen gesehen habe. Man
empfindet und bezeichnet dies Leuchten noch als geisterhaft und meint doch wohl
damit, daß es wie aus einer andern Welt herein scheine, für die wir doch ein
Entsprechendes auch in uns haben als dämmernde Ahnung im Gemüt, selbst
wenn der Kopf nicht mehr daran glaubt. Nun und mit solchem Leuchten wird
also der Glanz der Frauenschönheit verglichen in neuer und alter Zeit, um ihn
als Seelenglauz zu bezeichnen.

Was aber dabei die Hauptsache ist für deu gesuchten Begriff, diese Schön¬
heit ist ein Gut, das erworben werden kaun, für das man nicht auf die gute
Stunde der Mutter Natur zu warten braucht, die wohl den guten Willen zu
haben scheint, immer Schönes herzustellen, aber gerade bei Darstellung des
Menschen, besonders des Menschenangesichts, dieses Hauptstttckes ihres Schaffens,
mit wer weiß welchen störenden Einflüssen in Kampf kommt, die ihren guten
Willen kreuzen. Da kann denn aber der Mensch aus sich selber ergänzend,
nachhelfend, nachschaffend eintreten, das ist auch vorgesehen im Grundriß des
Ganzen und ist darin für uns Menschen sogar der Hauptpunkt (nicht für das



*) Dichtungen des sechzehnten Jahrhunderts, nach den Originaldruckeu herausgegeben
von Emil Weiler (Tübingen, 1874), S. 92; das Gedicht liegt zwar nur in Drucken des sech¬
zehnten Jahrhunderts lor, ist aber sicher uoch aus dein fünfzehnten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/136>, abgerufen am 31.05.2024.