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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Fontanes Roman <Lenne.

Se. Arnauds zum Teil dort liegen muß, so schreibt er an die Schwester und
drückt in dem Briefe sein volles Interesse an Frau Ceeile und ein gewisses Mi߬
behagen an ihrem Gemahl aus. Ehe er irgend eine Antwort erhalten kann, aber
nicht ehe sich bei ihm die Teilnahme für die schöne Frau zu einer ihm selbst be¬
denklich erscheinenden Höhe gesteigert hat, wird Herr von Gordon aus Thale
hinweggerufen. Er versagt sich nicht, Frau Ceeile zu schreiben und das
Se. Arnaudsche Paar ein paar Monate später in Berlin aufzusuchen. Der
Eindruck, den er von der Existenz der schönen Frau und ihres Gatten empfängt,
gestaltet sich immer wunderlicher. Der Oberst, den er, bei allem Respekt vor
der Schneidigkeit und Strammheit des ehemaligen Gardesvldaten, schon in Thale
als einen "Jen-Oberst" angesehen hat, lebt nicht nur in seinem Klub, wo hoch
gespielt wird, mehr als daheim, er hat auch in seinem Hause kaum irgend welchen
andern Verkehr als mit Mißvergnügten, mit jenen gescheiterten Strebern in Uni¬
form und Zivil, welche die natürliche Oppositionslust der Reichshauptstadt bis
zu wirklicher Gefahr vergiften. Und während Gordon noch zwischen Lachen und
Entrüstung über den Ton schwankt, den er an der Tafel Se. Arnauds vernommen
hat, trifft die längst erwartete Auskunft über die Geschichte der schönen Frau
ein. Aus Schlimmes gefaßt, wird er von dem, was er erfährt, doch beinahe
überwältigt. Der Brief der Schwester und die Zuschrift einer Freundin an
diese Schwester lassen Gordon keinen Zweifel darüber, daß Ceeile aus einer
verarmten halbpoluischeu Adelsfamilie von Zacha stammt und bereits in ihrem
siebzehnten Jahre "Vorleserin" bei dem alten Fürsten von Welfen-Ensingen
geworden und in dessen Testament mit einem Gute bedacht worden ist, das
Schloß des Fürsten aber nicht verlassen hat, sondern auf Wunsch seines Neffen,
des Fürsten Bernhard, in nndefinirter Stellung dort verblieben ist. Erst nach
dem Tode auch des letzteren ist sie in das Haus ihrer Mutter nach Schlesien
zurückgekehrt, in welchem Hause anch der Oberst Se. Arnaud, zum Regiments¬
kommandeur eines oberschlesischen Regiments ernannt, Wohnung genommen hat.
Der Oberst verlobte sich mit der jungen Schönheit, "drei Tage nach der Ver¬
lobung empfing er einen Brief, worin ihm Oberstleutnant von Dzicilinski, der
älteste Stabsoffizier, vonseiten des Offizierkorps und als Vertreter desselben die
Mitteilung machte, daß diese Verlobung nicht wohl angänglich sei. Daraus
entstand eine Szene, die mit einem Duell endete. Dzialinski wurde durch die
Brust geschossen und. starb vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden." Der
Oberst hat die ihm zuerkannte Fcstuugsstrafe verbüßt, den Abschied genommen
und Fräulein Ceeile Worvuesch von Zacha doch geheiratet, wie der seitherige
Verlauf der Geschichte zeigt. Gordon steht wie vom Donner gerührt. Dieser
Schlag ging doch über das Erwartete hinaus. Fürstengeliebte, Favoritin in
cluxlv, Erbschaftsstück von Onkel auf Neffe! Und doch sagt er sich rasch genug:
"Groß gezogen ohne Vorbild, ohne Schule, nichts gelernt, als sich im Spiegel
zu scheu und eine Schleife zu stecken. Sie hat sich dies Leben nicht ans-


Theodor Fontanes Roman <Lenne.

Se. Arnauds zum Teil dort liegen muß, so schreibt er an die Schwester und
drückt in dem Briefe sein volles Interesse an Frau Ceeile und ein gewisses Mi߬
behagen an ihrem Gemahl aus. Ehe er irgend eine Antwort erhalten kann, aber
nicht ehe sich bei ihm die Teilnahme für die schöne Frau zu einer ihm selbst be¬
denklich erscheinenden Höhe gesteigert hat, wird Herr von Gordon aus Thale
hinweggerufen. Er versagt sich nicht, Frau Ceeile zu schreiben und das
Se. Arnaudsche Paar ein paar Monate später in Berlin aufzusuchen. Der
Eindruck, den er von der Existenz der schönen Frau und ihres Gatten empfängt,
gestaltet sich immer wunderlicher. Der Oberst, den er, bei allem Respekt vor
der Schneidigkeit und Strammheit des ehemaligen Gardesvldaten, schon in Thale
als einen „Jen-Oberst" angesehen hat, lebt nicht nur in seinem Klub, wo hoch
gespielt wird, mehr als daheim, er hat auch in seinem Hause kaum irgend welchen
andern Verkehr als mit Mißvergnügten, mit jenen gescheiterten Strebern in Uni¬
form und Zivil, welche die natürliche Oppositionslust der Reichshauptstadt bis
zu wirklicher Gefahr vergiften. Und während Gordon noch zwischen Lachen und
Entrüstung über den Ton schwankt, den er an der Tafel Se. Arnauds vernommen
hat, trifft die längst erwartete Auskunft über die Geschichte der schönen Frau
ein. Aus Schlimmes gefaßt, wird er von dem, was er erfährt, doch beinahe
überwältigt. Der Brief der Schwester und die Zuschrift einer Freundin an
diese Schwester lassen Gordon keinen Zweifel darüber, daß Ceeile aus einer
verarmten halbpoluischeu Adelsfamilie von Zacha stammt und bereits in ihrem
siebzehnten Jahre „Vorleserin" bei dem alten Fürsten von Welfen-Ensingen
geworden und in dessen Testament mit einem Gute bedacht worden ist, das
Schloß des Fürsten aber nicht verlassen hat, sondern auf Wunsch seines Neffen,
des Fürsten Bernhard, in nndefinirter Stellung dort verblieben ist. Erst nach
dem Tode auch des letzteren ist sie in das Haus ihrer Mutter nach Schlesien
zurückgekehrt, in welchem Hause anch der Oberst Se. Arnaud, zum Regiments¬
kommandeur eines oberschlesischen Regiments ernannt, Wohnung genommen hat.
Der Oberst verlobte sich mit der jungen Schönheit, „drei Tage nach der Ver¬
lobung empfing er einen Brief, worin ihm Oberstleutnant von Dzicilinski, der
älteste Stabsoffizier, vonseiten des Offizierkorps und als Vertreter desselben die
Mitteilung machte, daß diese Verlobung nicht wohl angänglich sei. Daraus
entstand eine Szene, die mit einem Duell endete. Dzialinski wurde durch die
Brust geschossen und. starb vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden." Der
Oberst hat die ihm zuerkannte Fcstuugsstrafe verbüßt, den Abschied genommen
und Fräulein Ceeile Worvuesch von Zacha doch geheiratet, wie der seitherige
Verlauf der Geschichte zeigt. Gordon steht wie vom Donner gerührt. Dieser
Schlag ging doch über das Erwartete hinaus. Fürstengeliebte, Favoritin in
cluxlv, Erbschaftsstück von Onkel auf Neffe! Und doch sagt er sich rasch genug:
„Groß gezogen ohne Vorbild, ohne Schule, nichts gelernt, als sich im Spiegel
zu scheu und eine Schleife zu stecken. Sie hat sich dies Leben nicht ans-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/140>, abgerufen am 31.05.2024.