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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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anstalten bringen jährlich 50 Millionen Pfandbriefe ein die Börse nud haben
deren mehr als 800 Millionen in Umlauf. Die preußischen Sparkassen hatten
1883 1042 Millionen in Hypotheken und 835 Millionen in Wertpapieren
angelegt.

Ich führe dies nur an, um dem landläufigen Irrtume zu begegnen, die
kleinen Leute hätten mit der Börse nichts zu schaffen, dort tummelten sich nur
die reichen Leute, die natürlichen Feinde der Armen. Es sind freilich keine
Höckerweiber, die auf der Börse feilhalten, aber die Waare, welche zu Markte
gebracht wird, kommt überall her, von Großen und Kleinen, so gut wie auf dem
Obstmarkte die Früchte, die bald von der schwieligen Hand eines Kleinbauers
gezogen sind, bald unter der Leitung des Gartendirektors einer fürstlichen Be¬
sitzung.

Es ist indessen nicht zu leugnen, daß alledem, was ich über die Fülle der
Ersparnisse gesagt habe, ernstliche Bedenken entgegen gestellt werden können.
Denn man kann mit einiger Berechtigung behaupten, daß die Überfülle beschäf¬
tigungsuchender Kapitalien durch den Mangel der Unternehmungslust des Wandels,
der Industrie, der Gewerbe hervorgerufen sei, daß ein Teil derjenigen Summen',
welche als flüssiges Kapital auf der Börse Anlage suchen, solche Gelder seien,'
welche aus Handel und Industrie herausgezogen seien, weil sie dort entbehrlich
geworden sind.

Nun giebt es ja Zeiten, wo das umgekehrte Verhältnis waltet, wo der
Trieb, neue Werte zu schaffen, so lebhaft ist, daß nur wenige an das eigentliche
Zurücklegen denken, wo fast alle das, was sie erübrigen, was sie ausborgen
können, zur Erweiterung ihrer wirtschaftlichen Thätigkeit verwenden, und es
mag fraglich sein, ob die Überfülle unbeschäftigten Kapitals oder die hohe Er¬
regung des Unternehmuugsgeistes den bindenderm Zustand bezeichnet. Aber
so viel ist doch gewiß, daß eine Periode, wo solche Kapitalfülle vorhanden ist,
wie in unsern Tagen, keine Periode des Verfalls des Volksreichtums genannt
werden kann.

Auch das geistige und körperliche Befinden des Volkes hat sich verbessert.
Unterricht genießen alle. Die Zahl derer, die weder lesen noch schreiben können,
ist auf einen verschwindenden Bruchteil gesunken, in Deutschland giebt es deren
fast nur da noch, wo die Vereinzelung der Wohnstätten dem Schulbesuch un¬
überwindliche Schwierigkeiten bereitet. Höhere Bildung ist allgemein zugänglich;
anch werden geistige Genüsse von mancherlei Art den Unbemittelten wenigstens
in den Städten vielfach geboten.

Für das körperliche Gedeihen des Volkes wird in bedeutendem Umfange
Sorge getragen. Man denke nur an die neue Wissenschaft der Gesundheits¬
pflege, die sich fortwährend und überall in das praktische Leben umsetzt. Mir
Luftverbesserung in Schulen und Fabrikräumeu, wie in den Straßen der Städte
wird eifrig Vorkehrung getroffen, gesundes Wasser wird allen zugeführt, Leibes-


anstalten bringen jährlich 50 Millionen Pfandbriefe ein die Börse nud haben
deren mehr als 800 Millionen in Umlauf. Die preußischen Sparkassen hatten
1883 1042 Millionen in Hypotheken und 835 Millionen in Wertpapieren
angelegt.

Ich führe dies nur an, um dem landläufigen Irrtume zu begegnen, die
kleinen Leute hätten mit der Börse nichts zu schaffen, dort tummelten sich nur
die reichen Leute, die natürlichen Feinde der Armen. Es sind freilich keine
Höckerweiber, die auf der Börse feilhalten, aber die Waare, welche zu Markte
gebracht wird, kommt überall her, von Großen und Kleinen, so gut wie auf dem
Obstmarkte die Früchte, die bald von der schwieligen Hand eines Kleinbauers
gezogen sind, bald unter der Leitung des Gartendirektors einer fürstlichen Be¬
sitzung.

Es ist indessen nicht zu leugnen, daß alledem, was ich über die Fülle der
Ersparnisse gesagt habe, ernstliche Bedenken entgegen gestellt werden können.
Denn man kann mit einiger Berechtigung behaupten, daß die Überfülle beschäf¬
tigungsuchender Kapitalien durch den Mangel der Unternehmungslust des Wandels,
der Industrie, der Gewerbe hervorgerufen sei, daß ein Teil derjenigen Summen',
welche als flüssiges Kapital auf der Börse Anlage suchen, solche Gelder seien,'
welche aus Handel und Industrie herausgezogen seien, weil sie dort entbehrlich
geworden sind.

Nun giebt es ja Zeiten, wo das umgekehrte Verhältnis waltet, wo der
Trieb, neue Werte zu schaffen, so lebhaft ist, daß nur wenige an das eigentliche
Zurücklegen denken, wo fast alle das, was sie erübrigen, was sie ausborgen
können, zur Erweiterung ihrer wirtschaftlichen Thätigkeit verwenden, und es
mag fraglich sein, ob die Überfülle unbeschäftigten Kapitals oder die hohe Er¬
regung des Unternehmuugsgeistes den bindenderm Zustand bezeichnet. Aber
so viel ist doch gewiß, daß eine Periode, wo solche Kapitalfülle vorhanden ist,
wie in unsern Tagen, keine Periode des Verfalls des Volksreichtums genannt
werden kann.

Auch das geistige und körperliche Befinden des Volkes hat sich verbessert.
Unterricht genießen alle. Die Zahl derer, die weder lesen noch schreiben können,
ist auf einen verschwindenden Bruchteil gesunken, in Deutschland giebt es deren
fast nur da noch, wo die Vereinzelung der Wohnstätten dem Schulbesuch un¬
überwindliche Schwierigkeiten bereitet. Höhere Bildung ist allgemein zugänglich;
anch werden geistige Genüsse von mancherlei Art den Unbemittelten wenigstens
in den Städten vielfach geboten.

Für das körperliche Gedeihen des Volkes wird in bedeutendem Umfange
Sorge getragen. Man denke nur an die neue Wissenschaft der Gesundheits¬
pflege, die sich fortwährend und überall in das praktische Leben umsetzt. Mir
Luftverbesserung in Schulen und Fabrikräumeu, wie in den Straßen der Städte
wird eifrig Vorkehrung getroffen, gesundes Wasser wird allen zugeführt, Leibes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/16>, abgerufen am 14.05.2024.