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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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er ist der Vorläufer des ebenso kühnen als möglichen Gedankens, fortan den
Untergang deutscher Sprache und Bevölkerung durch Unterstützung aller Art zu
verhindern. Die Kolonialvereine folgten in der Absicht, dem deutschen Stamme
noch einen Anteil an der Erde zu sichern. Und wenn in all diesen Dingen
die Erfolge noch gering sind, so ist doch ein Beweis geliefert, daß das deutsche
Volk nicht mehr alles der Vorsorge der Polizei oder des Staates zuschieben
will oder in stumpfer Gleichmütigkeit dein Ablauf des Geschickes zusieht.

Und endlich haben die Erfolge des letzten Menschenalters den alten Klein¬
mut, die Hoffnungslosigkeit, den Verzicht auf eine politische Geltung und Ent¬
wicklung doch vielfach zurückgedrängt, und der Nationalstolz ist im Wachsen
begriffen, wenn auch in sehr langsamem. Er ist die Eigenschaft eines Volkes,
das an seine Kraft, an seine Zukunft glaubt und den Gefahren mutig ins
Auge sieht.

Denn dunkel ist die Zukunft. Der Vorsprung scheint nicht mehr nachzu¬
holen zu sein, den andre Nationen gewannen während des langen Niederganges
des deutschen Volkes bis zum tiefen Sturz des dreißigjährigen Krieges und zur
langsamen Wiederaufrichtung, während der zwei Jahrhunderte, wo Deutschland
das Schlachtfeld der europäischen Mächte war. Von Westen und Osten be¬
droht die grimmige Feindschaft die neu gewonnene Weltstellung des deutschen
Volkes. Unsre Erniedrigung und Ohnmacht war die Bedingung der französischen
Vormachtstellung unter Ludwig XIV. und unter Napoleon I., und sie ist das
stärkste Hindernis der russischen Weltherrschaft, des letzten Zieles einer dräuenden
Machtentfaltung, die seit zweihundert Jahren Erfolg auf Erfolg errungen hat.
Und überdies hat sich der Schauplatz der Weltgeschichte so erweitert, scheint in
andern Erdteilen dem bisherigen Europa eine solche Überflügelung sich anzu¬
kündigen, daß man behaupten konnte, in absehbarer Zeit werde dem Winkel
zwischen den Alpen und dem Meere dieselbe Stellung in der veränderten Welt
übrig sein, wie sie jetzt den Rumänen beschicken ist.

Aber solche Schreckbilder eiuer fernen Zukunft werden das deutsche Volk
nicht entmutigen, das aus dem Spiegel seiner Geschichte, aus seiner Vergangen¬
heit den Trost gewinne" soll, daß es seinen Bestand schon aus der ärgsten Not
gerettet hat. Die schlimmsten Gefahren find nicht die, denen man ins Auge
sieht, denen man mit Vorsicht und Entschlossenheit entgegengeht. Auch in
Zukunft, so glauben wir, wird nicht ein starres, unabänderliches Schicksal den
Völkern die Lose werfen, sondern Tüchtigkeit und Mut, Ernst und Ausdauer
in der Arbeit des Friedens und des Krieges die Entscheidung bringen. Nur
wer sich selbst aufgiebt, ist verloren; der Tapfere und Beharrliche meistert das
Glück und die Zeit, und in der Stählung unsers Volkscharakters, auf die wir
bauen, liegt die Bürgschaft aufsteigender Entwicklung.




Grenzboten III. 1887.W

er ist der Vorläufer des ebenso kühnen als möglichen Gedankens, fortan den
Untergang deutscher Sprache und Bevölkerung durch Unterstützung aller Art zu
verhindern. Die Kolonialvereine folgten in der Absicht, dem deutschen Stamme
noch einen Anteil an der Erde zu sichern. Und wenn in all diesen Dingen
die Erfolge noch gering sind, so ist doch ein Beweis geliefert, daß das deutsche
Volk nicht mehr alles der Vorsorge der Polizei oder des Staates zuschieben
will oder in stumpfer Gleichmütigkeit dein Ablauf des Geschickes zusieht.

Und endlich haben die Erfolge des letzten Menschenalters den alten Klein¬
mut, die Hoffnungslosigkeit, den Verzicht auf eine politische Geltung und Ent¬
wicklung doch vielfach zurückgedrängt, und der Nationalstolz ist im Wachsen
begriffen, wenn auch in sehr langsamem. Er ist die Eigenschaft eines Volkes,
das an seine Kraft, an seine Zukunft glaubt und den Gefahren mutig ins
Auge sieht.

Denn dunkel ist die Zukunft. Der Vorsprung scheint nicht mehr nachzu¬
holen zu sein, den andre Nationen gewannen während des langen Niederganges
des deutschen Volkes bis zum tiefen Sturz des dreißigjährigen Krieges und zur
langsamen Wiederaufrichtung, während der zwei Jahrhunderte, wo Deutschland
das Schlachtfeld der europäischen Mächte war. Von Westen und Osten be¬
droht die grimmige Feindschaft die neu gewonnene Weltstellung des deutschen
Volkes. Unsre Erniedrigung und Ohnmacht war die Bedingung der französischen
Vormachtstellung unter Ludwig XIV. und unter Napoleon I., und sie ist das
stärkste Hindernis der russischen Weltherrschaft, des letzten Zieles einer dräuenden
Machtentfaltung, die seit zweihundert Jahren Erfolg auf Erfolg errungen hat.
Und überdies hat sich der Schauplatz der Weltgeschichte so erweitert, scheint in
andern Erdteilen dem bisherigen Europa eine solche Überflügelung sich anzu¬
kündigen, daß man behaupten konnte, in absehbarer Zeit werde dem Winkel
zwischen den Alpen und dem Meere dieselbe Stellung in der veränderten Welt
übrig sein, wie sie jetzt den Rumänen beschicken ist.

Aber solche Schreckbilder eiuer fernen Zukunft werden das deutsche Volk
nicht entmutigen, das aus dem Spiegel seiner Geschichte, aus seiner Vergangen¬
heit den Trost gewinne» soll, daß es seinen Bestand schon aus der ärgsten Not
gerettet hat. Die schlimmsten Gefahren find nicht die, denen man ins Auge
sieht, denen man mit Vorsicht und Entschlossenheit entgegengeht. Auch in
Zukunft, so glauben wir, wird nicht ein starres, unabänderliches Schicksal den
Völkern die Lose werfen, sondern Tüchtigkeit und Mut, Ernst und Ausdauer
in der Arbeit des Friedens und des Krieges die Entscheidung bringen. Nur
wer sich selbst aufgiebt, ist verloren; der Tapfere und Beharrliche meistert das
Glück und die Zeit, und in der Stählung unsers Volkscharakters, auf die wir
bauen, liegt die Bürgschaft aufsteigender Entwicklung.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/177>, abgerufen am 15.05.2024.