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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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wand aufrichten zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart und sich
den Zutritt zu dem Jungbrunnen der eignen Literatur kurzsichtig und unver¬
nünftig abschneiden. In jedem Falle, wo es sich um beabsichtigten sprachlichen
Übergang einer Bevölkerung handelt, bedarf es eines Zwanges von gewalt-
habcnder Stelle, eines Druckes von oben herab, der aber, um überhaupt einen
Erfolg herbeizuführen, nur mit Schonung angewandt werden darf und deshalb
auch nur langsam und allmählich Erfolg hat. An Belegen hierfür ist in der
Geschichte kein Mangel; nur auf einen sei hingewiesen. Die Abwehr des ost-
wcstlichen Vorstoßes der Slawen in deutsches Gebiet hatte nach dreihundert¬
jährigem blutigen Ringen in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts sieg¬
reichen Abschluß gefunden, die deutschen Marken waren weit über die Elbe nach
Osten vorgerückt worden. Nun konnte die innere Eroberung der gewonnenen
Länder, ihre geistige Verschmelzung mit dem deutschen Reiche beginnen. Deutsche
Fürsten, deutsche Beamten, deutsche Ansiedler arbeiteten gemeinschaftlich an diesem
Werke. Wie langsam aber ging trotzdem die sprachliche Anpassung vor sich!
Erst 1329 konnte Markgraf Friedrich der Ernsthafte von Meißen die sorbische
Sprache in dem Landstriche zwischen Saale und Mulde amtlich außer Gebrauch
setzen. Bis wann mag sich da die slawische Zunge im gemeinen bürgerlichen
Verkehr behauptet haben! Blühe doch noch heutigen Tages etwas weiter östlich
von dem eben genannten Bezirke, in der preußischen und sächsischen Lausitz, eine
nicht unbeträchtliche slawische Sprachinsel (ISO 000 Seelen), die sogenannte
Wendet, mitten im deutschen Sprachgebiete. Wenn es nun schon in einem ver¬
hältnismäßig so kleinen Landstriche der Obrigkeit solche Schwierigkeiten be¬
reitet, eine Sprachüberführung durchzusetzen, wo sollen wir da die Macht suchen,
die zur sprachlichen Einigung des ganzen Erdkreises Mittel und Wege besäße? Die
Autwort kann nur lauten: Es giebt keine und wird keine geben. Nehmen wir aber
wirklich einmal den undenkbaren Fall als eingetreten an, daß überall auf der Welt
im innern wie im äußern Verkehr eine einzige Sprache geredet würde, glaubt man
denn im Ernst, dieser Zustand würde von Dauer sein? Nur der größte Unverstand
könnte sich solcher Täuschung hingeben. Jede lebendige Sprache befindet sich in
unaufhörlicher Wandlung, nie ist eine Sprache fertig, alle ringen in ewig sich
fortspinnendcr Arbeit nach der angemessensten Form, den Gedanken durch artiku-
lirte Laute zum Ausdruck zu bringe,,. Und wie verschiedenartig muß sich trotz der
Einheit der Denkgcsetze die Form des Ausdrucks in ihrem Entwicklungsgange ge¬
stalten je nach den verschiednen Einflüssen, denen die Menschen ausgesetzt sind!
Bodenbeschaffenheit, Klima, Lebensweise, Beschäftigung und vieles andre erzeugen
die mannichfaltigsten Arten der Anschauung und Auffassung. Als Folge derselben
kann eine Verschiedenartigkeit des geistigen Fortschrittes nicht ausbleiben, und
diese wiederum führt notwendigerweise die Völker in verschiednen auseinander-
gehenden Richtungen immer weiter weg von der Spracheinheit. Aus der einen
indogermanischen Ursprache hat sich im Laufe der Jahrtausende die stattliche Reihe


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wand aufrichten zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart und sich
den Zutritt zu dem Jungbrunnen der eignen Literatur kurzsichtig und unver¬
nünftig abschneiden. In jedem Falle, wo es sich um beabsichtigten sprachlichen
Übergang einer Bevölkerung handelt, bedarf es eines Zwanges von gewalt-
habcnder Stelle, eines Druckes von oben herab, der aber, um überhaupt einen
Erfolg herbeizuführen, nur mit Schonung angewandt werden darf und deshalb
auch nur langsam und allmählich Erfolg hat. An Belegen hierfür ist in der
Geschichte kein Mangel; nur auf einen sei hingewiesen. Die Abwehr des ost-
wcstlichen Vorstoßes der Slawen in deutsches Gebiet hatte nach dreihundert¬
jährigem blutigen Ringen in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts sieg¬
reichen Abschluß gefunden, die deutschen Marken waren weit über die Elbe nach
Osten vorgerückt worden. Nun konnte die innere Eroberung der gewonnenen
Länder, ihre geistige Verschmelzung mit dem deutschen Reiche beginnen. Deutsche
Fürsten, deutsche Beamten, deutsche Ansiedler arbeiteten gemeinschaftlich an diesem
Werke. Wie langsam aber ging trotzdem die sprachliche Anpassung vor sich!
Erst 1329 konnte Markgraf Friedrich der Ernsthafte von Meißen die sorbische
Sprache in dem Landstriche zwischen Saale und Mulde amtlich außer Gebrauch
setzen. Bis wann mag sich da die slawische Zunge im gemeinen bürgerlichen
Verkehr behauptet haben! Blühe doch noch heutigen Tages etwas weiter östlich
von dem eben genannten Bezirke, in der preußischen und sächsischen Lausitz, eine
nicht unbeträchtliche slawische Sprachinsel (ISO 000 Seelen), die sogenannte
Wendet, mitten im deutschen Sprachgebiete. Wenn es nun schon in einem ver¬
hältnismäßig so kleinen Landstriche der Obrigkeit solche Schwierigkeiten be¬
reitet, eine Sprachüberführung durchzusetzen, wo sollen wir da die Macht suchen,
die zur sprachlichen Einigung des ganzen Erdkreises Mittel und Wege besäße? Die
Autwort kann nur lauten: Es giebt keine und wird keine geben. Nehmen wir aber
wirklich einmal den undenkbaren Fall als eingetreten an, daß überall auf der Welt
im innern wie im äußern Verkehr eine einzige Sprache geredet würde, glaubt man
denn im Ernst, dieser Zustand würde von Dauer sein? Nur der größte Unverstand
könnte sich solcher Täuschung hingeben. Jede lebendige Sprache befindet sich in
unaufhörlicher Wandlung, nie ist eine Sprache fertig, alle ringen in ewig sich
fortspinnendcr Arbeit nach der angemessensten Form, den Gedanken durch artiku-
lirte Laute zum Ausdruck zu bringe,,. Und wie verschiedenartig muß sich trotz der
Einheit der Denkgcsetze die Form des Ausdrucks in ihrem Entwicklungsgange ge¬
stalten je nach den verschiednen Einflüssen, denen die Menschen ausgesetzt sind!
Bodenbeschaffenheit, Klima, Lebensweise, Beschäftigung und vieles andre erzeugen
die mannichfaltigsten Arten der Anschauung und Auffassung. Als Folge derselben
kann eine Verschiedenartigkeit des geistigen Fortschrittes nicht ausbleiben, und
diese wiederum führt notwendigerweise die Völker in verschiednen auseinander-
gehenden Richtungen immer weiter weg von der Spracheinheit. Aus der einen
indogermanischen Ursprache hat sich im Laufe der Jahrtausende die stattliche Reihe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/179>, abgerufen am 15.05.2024.