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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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von mehr als dreißig noch lebenden Sprachen gebildet, die gleich einer weit¬
läufig verwandten Vetterschaft dem oberflächlichen Beobachter kaum noch etwas
Gemeinsames zu besitzen scheinen. So lange die Verschiedenheit der beein¬
flussenden Kräfte vorhanden ist, d. h. so lange der Erdball bestehen wird, muß
auch der Erfolg derselbe bleiben, mit andern Worten, jede Spracheinheit der
Welt wird im Laufe der Zeit in eine Vielheit auseinanderfallen. Und man
darf sagen: glücklicherweise, denn allein die nationale Besonderheit der Sprachen
ist imstande, Originalität und Genialität des Geistes großzuziehen, bei der Gleich¬
macherei einer Weltsprache würde jede Eigenart unter der allgemeinen Schablone
verkümmern müssen. Das Bestreben, alle Völker für den innern sowohl wie
für den äußern Verkehr sprachlich zu uniformiren, erweist sich somit als eine
Danaidenarbeit, welcher der Erfolg versagt bleiben muß.

Trügerischen Wahnvorstellungen solcher Art huldigt wohl auch Herr
Schleyer mit seinen Anhängern nicht, obgleich der stark sozialistisch angehauchte
Volapük-Wahlspruch "Einer Menschheit eine Sprache" den Verdacht leicht er¬
wecken kann. Jedenfalls will er den Begriff der Weltsprache nur dahin ver¬
standen wissen, daß, unter Beibehaltung der angestammten Sprachen für den
Gebrauch jedes Volkes unter sich, noch ein allgemein anerkanntes Verständigungs¬
mittel für den zwischenstaatlichen Verkehr vorhanden sei, welches jeder sich an¬
eignen müsse, der in die Lage kommt, mit Angehörigen fremder Zungen in
Gedankenaustausch zu treten. Gäbe es ein solches Organ, dann hätte z. B. der
Kaufmann statt drei, vier oder noch mehr fremder Sprachen künftig nur die Welt¬
sprache zu erlernen, um seinen Handelsbriefwechsel mit allen Ländern führen zu
können. Der Morgenlandreisende brauchte sich dann nicht mehr mit dem Ara¬
bischen, Persischen, Türkischen, Italienischen und wer weiß welchen Sprachen sonst
noch herumzuschlagen, die einzige Weltsprache würde für den gewöhnlichen Be¬
darf den Nutzen aller jener einigermaßen in sich vereinigen. Von den Werken
der Gelehrten brauchten, um sie zum Gemeingut zu machen, künftig neben dem
Original nur Übersetzungen in die Weltsprache zu erscheinen, falls es die Ver¬
fasser nicht vorziehen sollten, gleich von vornherein ihren Erzeugnissen ein welt¬
sprachiges Gewand umzuhängen, wie vormals ein lateinisches.

Das Latein hat ja für die Wissenschaft bis in die Neuzeit als allgemeines
Verständigungsmittel gedient, und während des Mittelalters war seine Rolle
noch weit umfassender. Als Sprache der römischen Kirche wurde das Lateinische
von den Sendboten Roms überall zugleich mit dem Christentum zur Einführung
gebracht. Kultur und Bildung knüpften sich an die Christianisirung, durch die
Geistlichkeit wurden Schulen eingerichtet und geleitet, in deren Mittelpunkte die
Pflege der lateinischen Sprache stand. Nicht minder errang sich der Klerus
Einfluß auf staatliche Dinge, er verschaffte der Sprache Roms den Eingang in
die Schreibstuben der kaiserlichen Behörden und der landesfürstlichen Ämter und
drückte die Landessprache zur Stufe untergeordneter Bedeutung herab. Gestützt


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von mehr als dreißig noch lebenden Sprachen gebildet, die gleich einer weit¬
läufig verwandten Vetterschaft dem oberflächlichen Beobachter kaum noch etwas
Gemeinsames zu besitzen scheinen. So lange die Verschiedenheit der beein¬
flussenden Kräfte vorhanden ist, d. h. so lange der Erdball bestehen wird, muß
auch der Erfolg derselbe bleiben, mit andern Worten, jede Spracheinheit der
Welt wird im Laufe der Zeit in eine Vielheit auseinanderfallen. Und man
darf sagen: glücklicherweise, denn allein die nationale Besonderheit der Sprachen
ist imstande, Originalität und Genialität des Geistes großzuziehen, bei der Gleich¬
macherei einer Weltsprache würde jede Eigenart unter der allgemeinen Schablone
verkümmern müssen. Das Bestreben, alle Völker für den innern sowohl wie
für den äußern Verkehr sprachlich zu uniformiren, erweist sich somit als eine
Danaidenarbeit, welcher der Erfolg versagt bleiben muß.

Trügerischen Wahnvorstellungen solcher Art huldigt wohl auch Herr
Schleyer mit seinen Anhängern nicht, obgleich der stark sozialistisch angehauchte
Volapük-Wahlspruch „Einer Menschheit eine Sprache" den Verdacht leicht er¬
wecken kann. Jedenfalls will er den Begriff der Weltsprache nur dahin ver¬
standen wissen, daß, unter Beibehaltung der angestammten Sprachen für den
Gebrauch jedes Volkes unter sich, noch ein allgemein anerkanntes Verständigungs¬
mittel für den zwischenstaatlichen Verkehr vorhanden sei, welches jeder sich an¬
eignen müsse, der in die Lage kommt, mit Angehörigen fremder Zungen in
Gedankenaustausch zu treten. Gäbe es ein solches Organ, dann hätte z. B. der
Kaufmann statt drei, vier oder noch mehr fremder Sprachen künftig nur die Welt¬
sprache zu erlernen, um seinen Handelsbriefwechsel mit allen Ländern führen zu
können. Der Morgenlandreisende brauchte sich dann nicht mehr mit dem Ara¬
bischen, Persischen, Türkischen, Italienischen und wer weiß welchen Sprachen sonst
noch herumzuschlagen, die einzige Weltsprache würde für den gewöhnlichen Be¬
darf den Nutzen aller jener einigermaßen in sich vereinigen. Von den Werken
der Gelehrten brauchten, um sie zum Gemeingut zu machen, künftig neben dem
Original nur Übersetzungen in die Weltsprache zu erscheinen, falls es die Ver¬
fasser nicht vorziehen sollten, gleich von vornherein ihren Erzeugnissen ein welt¬
sprachiges Gewand umzuhängen, wie vormals ein lateinisches.

Das Latein hat ja für die Wissenschaft bis in die Neuzeit als allgemeines
Verständigungsmittel gedient, und während des Mittelalters war seine Rolle
noch weit umfassender. Als Sprache der römischen Kirche wurde das Lateinische
von den Sendboten Roms überall zugleich mit dem Christentum zur Einführung
gebracht. Kultur und Bildung knüpften sich an die Christianisirung, durch die
Geistlichkeit wurden Schulen eingerichtet und geleitet, in deren Mittelpunkte die
Pflege der lateinischen Sprache stand. Nicht minder errang sich der Klerus
Einfluß auf staatliche Dinge, er verschaffte der Sprache Roms den Eingang in
die Schreibstuben der kaiserlichen Behörden und der landesfürstlichen Ämter und
drückte die Landessprache zur Stufe untergeordneter Bedeutung herab. Gestützt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/180>, abgerufen am 30.05.2024.