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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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auf die Pfeiler der Kirche, des Staates und der Wissenschaft hat das Lateinische
die wechselvollen Schicksale der Zeiten lange überdauert und die Rolle einer
mittelalterlichen Weltsprache mit Erfolg gespielt. Der erste Abfall geschah von
staatlicher Seite. Es erwachte allmählich das nationale Selbstbewußtsein der
Völker und erhob sich gegen die aufgenötigte fremde Zunge, die man nicht mit
Unrecht als ein Zeichen der päpstlichen Weltherrschaft und geistiger Knechtung
betrachtete. Im deutschen Reiche begann dieser Umschwung am Ende des drei¬
zehnten Jahrhunderts unter Rudolf von Habsburg, setzte sich fort unter Ludwig
dem Baiern und griff dann immer mehr um sich, bis die Bewegung eine ge¬
waltige Bundesgenossin an der Kirche gewann. Luther öffnete auch der großen
Menge des Volkes die Augen über den Zweck, welchen Rom bei Unterdrückung
der Muttersprache verfolgte, die Reformation übertrug den Sprachenkampf aus
den Amtsstuben der Behörden auf die Kanzel und errang in der überraschend
kurzen Zeit von wenigen Jahren einen glänzenden Sieg. So ging dem La¬
teinischen der Staat verloren, so ward es aus der Kirche wenigstens der Re¬
formation vertrieben. Aber auch in denjenigen Ländern, von denen die evan¬
gelische Lehre gar nicht oder nicht dauernd Besitz ergriff, sah sich Rom wohl
oder übel gezwungen, an der Kirchenherrschaft des Lateinischen etwas nachzu¬
lassen, den Geltungsbereich desselben gegenüber dem Vordringen der Landes¬
sprachen schrittweise zu verringern.*) Nach menschlicher Voraussicht wird aber
das Latein in dieser Beschränkung die anerkannte Weltsprache der römischen
Kirche bleiben, so lange noch ein xontitox irmximus von den Gemächern des
Vatikans oder sonst einem Mittelpunkte aus die geistige Herrschaft über seine
Gläubigen ausüben wird.

Am standhaftesten für die Weltstellung der lateinischen Sprache erwies
sich die Stütze der Wissenschaft. Der aufblühende Humanismus bemühte sich
zu derselben Zeit, wo die andern Stützen immermehr sanken, für die Sprache
Cieeros wenigstens das Feld der Wissenschaft zu retten. Nahezu zweihundert
Jahre über die Reformationszeit hinaus glückte ihm das Streben, von da ab
mußte sich auch diese letzte Hochburg dem siegreichen Nationalbewußtsein Punkt
für Puukt ergeben, und es mag nebenbei daran erinnert werden, daß 1687, also
gerade jetzt vor zweihundert Jahren, der unerschrockene Christian Thomasius
in Leipzig als erster es wagte, eine Universitätsvorlesung in deutscher Sprache
zu halten. Förmlich besiegelt wurde der völlige Sturz des Lateinischen in
neuester Zeit durch die gewaltige Vergrößerung des wissenschaftlichen Forschungs¬
gebietes. So lange sich der Begriff Wissenschaft wesentlich mit Philologie,
Theologie und Philosophie deckte, genügte das Latein vollkommen zum Ge-
dankenausdruck, denn es war durch jahrhundertelangen Gebrauch in diesen



Erst noch vor wenige" Monate" hat der Papst den Söhnen der schwarzen Berge
die Messe in montenegrinischer Sprache zugestehen müssen.
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auf die Pfeiler der Kirche, des Staates und der Wissenschaft hat das Lateinische
die wechselvollen Schicksale der Zeiten lange überdauert und die Rolle einer
mittelalterlichen Weltsprache mit Erfolg gespielt. Der erste Abfall geschah von
staatlicher Seite. Es erwachte allmählich das nationale Selbstbewußtsein der
Völker und erhob sich gegen die aufgenötigte fremde Zunge, die man nicht mit
Unrecht als ein Zeichen der päpstlichen Weltherrschaft und geistiger Knechtung
betrachtete. Im deutschen Reiche begann dieser Umschwung am Ende des drei¬
zehnten Jahrhunderts unter Rudolf von Habsburg, setzte sich fort unter Ludwig
dem Baiern und griff dann immer mehr um sich, bis die Bewegung eine ge¬
waltige Bundesgenossin an der Kirche gewann. Luther öffnete auch der großen
Menge des Volkes die Augen über den Zweck, welchen Rom bei Unterdrückung
der Muttersprache verfolgte, die Reformation übertrug den Sprachenkampf aus
den Amtsstuben der Behörden auf die Kanzel und errang in der überraschend
kurzen Zeit von wenigen Jahren einen glänzenden Sieg. So ging dem La¬
teinischen der Staat verloren, so ward es aus der Kirche wenigstens der Re¬
formation vertrieben. Aber auch in denjenigen Ländern, von denen die evan¬
gelische Lehre gar nicht oder nicht dauernd Besitz ergriff, sah sich Rom wohl
oder übel gezwungen, an der Kirchenherrschaft des Lateinischen etwas nachzu¬
lassen, den Geltungsbereich desselben gegenüber dem Vordringen der Landes¬
sprachen schrittweise zu verringern.*) Nach menschlicher Voraussicht wird aber
das Latein in dieser Beschränkung die anerkannte Weltsprache der römischen
Kirche bleiben, so lange noch ein xontitox irmximus von den Gemächern des
Vatikans oder sonst einem Mittelpunkte aus die geistige Herrschaft über seine
Gläubigen ausüben wird.

Am standhaftesten für die Weltstellung der lateinischen Sprache erwies
sich die Stütze der Wissenschaft. Der aufblühende Humanismus bemühte sich
zu derselben Zeit, wo die andern Stützen immermehr sanken, für die Sprache
Cieeros wenigstens das Feld der Wissenschaft zu retten. Nahezu zweihundert
Jahre über die Reformationszeit hinaus glückte ihm das Streben, von da ab
mußte sich auch diese letzte Hochburg dem siegreichen Nationalbewußtsein Punkt
für Puukt ergeben, und es mag nebenbei daran erinnert werden, daß 1687, also
gerade jetzt vor zweihundert Jahren, der unerschrockene Christian Thomasius
in Leipzig als erster es wagte, eine Universitätsvorlesung in deutscher Sprache
zu halten. Förmlich besiegelt wurde der völlige Sturz des Lateinischen in
neuester Zeit durch die gewaltige Vergrößerung des wissenschaftlichen Forschungs¬
gebietes. So lange sich der Begriff Wissenschaft wesentlich mit Philologie,
Theologie und Philosophie deckte, genügte das Latein vollkommen zum Ge-
dankenausdruck, denn es war durch jahrhundertelangen Gebrauch in diesen



Erst noch vor wenige» Monate» hat der Papst den Söhnen der schwarzen Berge
die Messe in montenegrinischer Sprache zugestehen müssen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/181>, abgerufen am 30.05.2024.