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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfronndinnen.

Bauernhand an Schiller aus, und dieser zeigte sich erkenntlich, indem er das
Ehepaar mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt bekannt machte. In den Ge¬
sprächen mit dem Dichter ging Charlotten eine neue Welt auf. Sie brauchte
einen Ersatz für die hoffnungslose Gegenwart, und hoffnungslos war diese,
wenn sie auch die ganze Folge von Täuschungen, welche ihrer warteten, noch
nicht ahnte. Mir den Augenblick war es ihr schon peinlich genug, daß sie dem
Gedankenkreise ihres Mannes, dessen Söldnerweisheit zwischen dem nordameri¬
kanischen Freiheitskriege und dem Bourbvnenthrone hin und her schwankte, kalt
und fremd gegenüber stand. Schiller tröstete sie mit der Philosophie der Musen;
schon bei einem Gange durch die Kunstwerke Mannheims erschien er ihr als
der Seher, dessen Begeisterung, dessen feierliche Haltung, dessen sinnender, von
hoher Sehnsucht beseelter Blick ihr als die Offenbarung des wahrhaft Geistigen
erschien. Sie ließ ihn nicht von ihrer Seite, und dies wurde ihr umso leichter,
als Schiller auch zu Herrn von Kalb bald in ein freundschaftliches Verhältnis
trat. So vergingen ein paar Tage in raschem Wechsel der Gedanken und
Ereignisse, dann reifte sie mit dem Gatten weiter nach Landau, wo damals das
französische Regiment, dem der Major angehörte, sein Standquartier hatte.
Auch Schiller war von dem Eindrucke, den Charlotte auf ihn gemacht hatte,
befriedigt. Er nennt in einem Briefe an Frau vou Wolzogen die mit den
Kalbs verlebten Tage sehr angenehm und fährt fort: "Die Frau besonders
zeigt sehr viel Geist und gehört nicht zu den gewöhnlichen Frauenzimmern."
Charlotte erinnerte sich noch im Alter gern daran, daß Schiller am ersten
Tage plötzlich von ihr weg in das Schauspielhaus gegangen sei, um, wie sie
später erfuhr, den Schauspielern einzuschärfen, bei der am Abend stattfindenden
Aufführung von "Kabale und Liebe" den Namen Kalb nicht auszusprechen. Nach
kurzer Zeit sei er wieder gekommen und habe die interessante Unterhaltung mit
ihr fortgesetzt.

Die Garnisonstadt Landau war kein passender Aufenthalt für junge Offiziers-
frcmen, Herr von Kalb brachte Charlotte nach Mannheim zurück. Der ideale
Gedankenaustausch zwischen Schiller und Charlotte war nun auf lange hinaus
gesichert, und zwar auf der breitesten Basis eines ungestörten freundschaftlichen
Verkehrs. Im Anfange freilich war die Lage eigentümlich schwierig. Fran
von Kalb sah ihrer Niederkunft entgegen und hatte dann, als glücklich ein
Sohn angekommen war, an den Folgen eines heftigen Schreckens viel zu leiden.
Schiller holte selbst einmal in der Nacht den Arzt und erntete den Dank des
Gatten, der bald nachher von Landau herüberkam. Erst nachdem sich die junge
Mutter erholt hatte, konnte die ideale Welt wieder zur vollen Geltung gelangen.
An den! Herrlichkeiten derselben nahm auch der Schauspieler Heinrich Beck tell
der mit Schiller in der Bewunderung der hochbegabten Frau wetteiferte. Es
sind aus dieser Zeit nur wenige Zeugnisse auf uns gekommen, außer einigen
Briefen die mystisch angehauchten und poetisch verschleierten Selbstbekenntnisse


Dichterfronndinnen.

Bauernhand an Schiller aus, und dieser zeigte sich erkenntlich, indem er das
Ehepaar mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt bekannt machte. In den Ge¬
sprächen mit dem Dichter ging Charlotten eine neue Welt auf. Sie brauchte
einen Ersatz für die hoffnungslose Gegenwart, und hoffnungslos war diese,
wenn sie auch die ganze Folge von Täuschungen, welche ihrer warteten, noch
nicht ahnte. Mir den Augenblick war es ihr schon peinlich genug, daß sie dem
Gedankenkreise ihres Mannes, dessen Söldnerweisheit zwischen dem nordameri¬
kanischen Freiheitskriege und dem Bourbvnenthrone hin und her schwankte, kalt
und fremd gegenüber stand. Schiller tröstete sie mit der Philosophie der Musen;
schon bei einem Gange durch die Kunstwerke Mannheims erschien er ihr als
der Seher, dessen Begeisterung, dessen feierliche Haltung, dessen sinnender, von
hoher Sehnsucht beseelter Blick ihr als die Offenbarung des wahrhaft Geistigen
erschien. Sie ließ ihn nicht von ihrer Seite, und dies wurde ihr umso leichter,
als Schiller auch zu Herrn von Kalb bald in ein freundschaftliches Verhältnis
trat. So vergingen ein paar Tage in raschem Wechsel der Gedanken und
Ereignisse, dann reifte sie mit dem Gatten weiter nach Landau, wo damals das
französische Regiment, dem der Major angehörte, sein Standquartier hatte.
Auch Schiller war von dem Eindrucke, den Charlotte auf ihn gemacht hatte,
befriedigt. Er nennt in einem Briefe an Frau vou Wolzogen die mit den
Kalbs verlebten Tage sehr angenehm und fährt fort: „Die Frau besonders
zeigt sehr viel Geist und gehört nicht zu den gewöhnlichen Frauenzimmern."
Charlotte erinnerte sich noch im Alter gern daran, daß Schiller am ersten
Tage plötzlich von ihr weg in das Schauspielhaus gegangen sei, um, wie sie
später erfuhr, den Schauspielern einzuschärfen, bei der am Abend stattfindenden
Aufführung von „Kabale und Liebe" den Namen Kalb nicht auszusprechen. Nach
kurzer Zeit sei er wieder gekommen und habe die interessante Unterhaltung mit
ihr fortgesetzt.

Die Garnisonstadt Landau war kein passender Aufenthalt für junge Offiziers-
frcmen, Herr von Kalb brachte Charlotte nach Mannheim zurück. Der ideale
Gedankenaustausch zwischen Schiller und Charlotte war nun auf lange hinaus
gesichert, und zwar auf der breitesten Basis eines ungestörten freundschaftlichen
Verkehrs. Im Anfange freilich war die Lage eigentümlich schwierig. Fran
von Kalb sah ihrer Niederkunft entgegen und hatte dann, als glücklich ein
Sohn angekommen war, an den Folgen eines heftigen Schreckens viel zu leiden.
Schiller holte selbst einmal in der Nacht den Arzt und erntete den Dank des
Gatten, der bald nachher von Landau herüberkam. Erst nachdem sich die junge
Mutter erholt hatte, konnte die ideale Welt wieder zur vollen Geltung gelangen.
An den! Herrlichkeiten derselben nahm auch der Schauspieler Heinrich Beck tell
der mit Schiller in der Bewunderung der hochbegabten Frau wetteiferte. Es
sind aus dieser Zeit nur wenige Zeugnisse auf uns gekommen, außer einigen
Briefen die mystisch angehauchten und poetisch verschleierten Selbstbekenntnisse


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[0191] Dichterfronndinnen. Bauernhand an Schiller aus, und dieser zeigte sich erkenntlich, indem er das Ehepaar mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt bekannt machte. In den Ge¬ sprächen mit dem Dichter ging Charlotten eine neue Welt auf. Sie brauchte einen Ersatz für die hoffnungslose Gegenwart, und hoffnungslos war diese, wenn sie auch die ganze Folge von Täuschungen, welche ihrer warteten, noch nicht ahnte. Mir den Augenblick war es ihr schon peinlich genug, daß sie dem Gedankenkreise ihres Mannes, dessen Söldnerweisheit zwischen dem nordameri¬ kanischen Freiheitskriege und dem Bourbvnenthrone hin und her schwankte, kalt und fremd gegenüber stand. Schiller tröstete sie mit der Philosophie der Musen; schon bei einem Gange durch die Kunstwerke Mannheims erschien er ihr als der Seher, dessen Begeisterung, dessen feierliche Haltung, dessen sinnender, von hoher Sehnsucht beseelter Blick ihr als die Offenbarung des wahrhaft Geistigen erschien. Sie ließ ihn nicht von ihrer Seite, und dies wurde ihr umso leichter, als Schiller auch zu Herrn von Kalb bald in ein freundschaftliches Verhältnis trat. So vergingen ein paar Tage in raschem Wechsel der Gedanken und Ereignisse, dann reifte sie mit dem Gatten weiter nach Landau, wo damals das französische Regiment, dem der Major angehörte, sein Standquartier hatte. Auch Schiller war von dem Eindrucke, den Charlotte auf ihn gemacht hatte, befriedigt. Er nennt in einem Briefe an Frau vou Wolzogen die mit den Kalbs verlebten Tage sehr angenehm und fährt fort: „Die Frau besonders zeigt sehr viel Geist und gehört nicht zu den gewöhnlichen Frauenzimmern." Charlotte erinnerte sich noch im Alter gern daran, daß Schiller am ersten Tage plötzlich von ihr weg in das Schauspielhaus gegangen sei, um, wie sie später erfuhr, den Schauspielern einzuschärfen, bei der am Abend stattfindenden Aufführung von „Kabale und Liebe" den Namen Kalb nicht auszusprechen. Nach kurzer Zeit sei er wieder gekommen und habe die interessante Unterhaltung mit ihr fortgesetzt. Die Garnisonstadt Landau war kein passender Aufenthalt für junge Offiziers- frcmen, Herr von Kalb brachte Charlotte nach Mannheim zurück. Der ideale Gedankenaustausch zwischen Schiller und Charlotte war nun auf lange hinaus gesichert, und zwar auf der breitesten Basis eines ungestörten freundschaftlichen Verkehrs. Im Anfange freilich war die Lage eigentümlich schwierig. Fran von Kalb sah ihrer Niederkunft entgegen und hatte dann, als glücklich ein Sohn angekommen war, an den Folgen eines heftigen Schreckens viel zu leiden. Schiller holte selbst einmal in der Nacht den Arzt und erntete den Dank des Gatten, der bald nachher von Landau herüberkam. Erst nachdem sich die junge Mutter erholt hatte, konnte die ideale Welt wieder zur vollen Geltung gelangen. An den! Herrlichkeiten derselben nahm auch der Schauspieler Heinrich Beck tell der mit Schiller in der Bewunderung der hochbegabten Frau wetteiferte. Es sind aus dieser Zeit nur wenige Zeugnisse auf uns gekommen, außer einigen Briefen die mystisch angehauchten und poetisch verschleierten Selbstbekenntnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/191>, abgerufen am 30.05.2024.