Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnen.

geben, der im Juni 1782 den weimarischen Staatsdienst wegen grober Nach¬
lässigkeiten in der Verwaltung der Finanzen hatte verlassen müssen und seine
zerrütteten Vermögensverhältnisse durch die Heirat mit der reichen Erbin zu
verbessern trachtete; die zwciundzwanzigjährige Charlotte mußte ihre Hand dem
Bruder desselben, dem Major Heinrich von Kalb, reichen, einem militärischen
Abenteurer, der unter französischem Banner am Freiheitskriege in Amerika teil¬
genommen hatte und zur Zeit noch in französischen Diensten stand. Im Jahre
1783 fand die Verlobung statt, kurze Zeit darauf die Verheiratung. Herzens¬
neigung wirkte dabei so wenig mit, daß Charlotte in dem Bewußtsein, dem
Bräutigam in den äußern Verhältnissen nicht nachzustehen, Beruhigung suchte.
In der That waren die beiden Waisen in der unverantwortlichsten Art ver¬
handelt worden. Von ihrer Verheiratung an war ihr Leben mir noch eine
schiefe Ebene, auf der sie laugsam, aber sicher in das tiefste Elend hinabglitten.
Von Charlotte gilt dies noch mehr als von Eleonore.

Wir müssen an dieser Stelle einen Augenblick innehalten und rückwärts
blicken. Noch umgiebt die Bräute und jungen Gattinnen der Zauber einer hoch¬
adligen Erziehung, die bei aller Planlosigkeit doch den feinen Duft äußerer
Vornehmheit um sie verbreitet und sie gewöhnt hatte, alle Verhältnisse des
Lebens von einem freiern Standpunkte des gesellschaftlichen Lebens aus zu be¬
trachten. Imi vertrauten Verkehre mit dem meiningischeu Hofe hatten sie sich
die gewähltester Umgangsformen angeeignet, sodaß sie in geselliger Beziehung
hohe Ansprüche machen konnten. Die Empfänglichkeit für alles Hohe, die zarte
Scheu vor allem Niedrigen und Gewöhnlichen war ihnen geblieben. Als Knebel
die junge Eleonore von Kalb im Jahre 1784 auf einer Reise kennen lernte,
war er ganz entzückt von ihr und schrieb an seine Schwester: "Reine, kindliche
Wahrheit und gutes Verlangen habe ich nie auf einem Gesichte mehr ausgedrückt
gefunden. Jeder Muskel spannt sich in lieblicher Nundung dazu und ist voll
dieses Ausdrucks. Von allen Gestalten und Gesichtern an unserm Mittagstische
war es bei weitem das einzig edelste." Etwas reifer und selbstbewußter, aber
ähnlich geartet können wir uns Charlotte denken, als sie auf den Dornenpfad
einer unglücklichen Liebe einlenkte.

Charlotte hatte Schillers "Räuber" bald nach dem Erscheinen gelesen, aber
nicht ganz erfaßt. Nur einzelne Stellen, die ihrer Stimmung entsprachen,
hafteten in ihrem Gedächtnisse. In Bauernhand, im Hause ihrer Verwandten,
der Frau von Wolzogen, sah sie den Dichter selbst, doch nur von fern. Sie
trauerte damals um Bruder und Schwester, Schiller scheint sich absichtlich in
ehrerbietiger Entfernung gehalten zu haben.

Erst in Mannheim traf sie wieder mit ihm zusammen. Dorthin kam sie
im Mai oder Juni 1784 mit ihrem Gemahl, der sich vor Ablauf seines Ur¬
laubes dem Herzoge Maximilian von Pfalz-Zweibrücken, dem künftigen Erben
des baierischen Thrones, empfehlen wollte. Sie richtete einen Auftrag aus


Dichterfreundinnen.

geben, der im Juni 1782 den weimarischen Staatsdienst wegen grober Nach¬
lässigkeiten in der Verwaltung der Finanzen hatte verlassen müssen und seine
zerrütteten Vermögensverhältnisse durch die Heirat mit der reichen Erbin zu
verbessern trachtete; die zwciundzwanzigjährige Charlotte mußte ihre Hand dem
Bruder desselben, dem Major Heinrich von Kalb, reichen, einem militärischen
Abenteurer, der unter französischem Banner am Freiheitskriege in Amerika teil¬
genommen hatte und zur Zeit noch in französischen Diensten stand. Im Jahre
1783 fand die Verlobung statt, kurze Zeit darauf die Verheiratung. Herzens¬
neigung wirkte dabei so wenig mit, daß Charlotte in dem Bewußtsein, dem
Bräutigam in den äußern Verhältnissen nicht nachzustehen, Beruhigung suchte.
In der That waren die beiden Waisen in der unverantwortlichsten Art ver¬
handelt worden. Von ihrer Verheiratung an war ihr Leben mir noch eine
schiefe Ebene, auf der sie laugsam, aber sicher in das tiefste Elend hinabglitten.
Von Charlotte gilt dies noch mehr als von Eleonore.

Wir müssen an dieser Stelle einen Augenblick innehalten und rückwärts
blicken. Noch umgiebt die Bräute und jungen Gattinnen der Zauber einer hoch¬
adligen Erziehung, die bei aller Planlosigkeit doch den feinen Duft äußerer
Vornehmheit um sie verbreitet und sie gewöhnt hatte, alle Verhältnisse des
Lebens von einem freiern Standpunkte des gesellschaftlichen Lebens aus zu be¬
trachten. Imi vertrauten Verkehre mit dem meiningischeu Hofe hatten sie sich
die gewähltester Umgangsformen angeeignet, sodaß sie in geselliger Beziehung
hohe Ansprüche machen konnten. Die Empfänglichkeit für alles Hohe, die zarte
Scheu vor allem Niedrigen und Gewöhnlichen war ihnen geblieben. Als Knebel
die junge Eleonore von Kalb im Jahre 1784 auf einer Reise kennen lernte,
war er ganz entzückt von ihr und schrieb an seine Schwester: „Reine, kindliche
Wahrheit und gutes Verlangen habe ich nie auf einem Gesichte mehr ausgedrückt
gefunden. Jeder Muskel spannt sich in lieblicher Nundung dazu und ist voll
dieses Ausdrucks. Von allen Gestalten und Gesichtern an unserm Mittagstische
war es bei weitem das einzig edelste." Etwas reifer und selbstbewußter, aber
ähnlich geartet können wir uns Charlotte denken, als sie auf den Dornenpfad
einer unglücklichen Liebe einlenkte.

Charlotte hatte Schillers „Räuber" bald nach dem Erscheinen gelesen, aber
nicht ganz erfaßt. Nur einzelne Stellen, die ihrer Stimmung entsprachen,
hafteten in ihrem Gedächtnisse. In Bauernhand, im Hause ihrer Verwandten,
der Frau von Wolzogen, sah sie den Dichter selbst, doch nur von fern. Sie
trauerte damals um Bruder und Schwester, Schiller scheint sich absichtlich in
ehrerbietiger Entfernung gehalten zu haben.

Erst in Mannheim traf sie wieder mit ihm zusammen. Dorthin kam sie
im Mai oder Juni 1784 mit ihrem Gemahl, der sich vor Ablauf seines Ur¬
laubes dem Herzoge Maximilian von Pfalz-Zweibrücken, dem künftigen Erben
des baierischen Thrones, empfehlen wollte. Sie richtete einen Auftrag aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200969"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_585" prev="#ID_584"> geben, der im Juni 1782 den weimarischen Staatsdienst wegen grober Nach¬<lb/>
lässigkeiten in der Verwaltung der Finanzen hatte verlassen müssen und seine<lb/>
zerrütteten Vermögensverhältnisse durch die Heirat mit der reichen Erbin zu<lb/>
verbessern trachtete; die zwciundzwanzigjährige Charlotte mußte ihre Hand dem<lb/>
Bruder desselben, dem Major Heinrich von Kalb, reichen, einem militärischen<lb/>
Abenteurer, der unter französischem Banner am Freiheitskriege in Amerika teil¬<lb/>
genommen hatte und zur Zeit noch in französischen Diensten stand. Im Jahre<lb/>
1783 fand die Verlobung statt, kurze Zeit darauf die Verheiratung. Herzens¬<lb/>
neigung wirkte dabei so wenig mit, daß Charlotte in dem Bewußtsein, dem<lb/>
Bräutigam in den äußern Verhältnissen nicht nachzustehen, Beruhigung suchte.<lb/>
In der That waren die beiden Waisen in der unverantwortlichsten Art ver¬<lb/>
handelt worden. Von ihrer Verheiratung an war ihr Leben mir noch eine<lb/>
schiefe Ebene, auf der sie laugsam, aber sicher in das tiefste Elend hinabglitten.<lb/>
Von Charlotte gilt dies noch mehr als von Eleonore.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586"> Wir müssen an dieser Stelle einen Augenblick innehalten und rückwärts<lb/>
blicken. Noch umgiebt die Bräute und jungen Gattinnen der Zauber einer hoch¬<lb/>
adligen Erziehung, die bei aller Planlosigkeit doch den feinen Duft äußerer<lb/>
Vornehmheit um sie verbreitet und sie gewöhnt hatte, alle Verhältnisse des<lb/>
Lebens von einem freiern Standpunkte des gesellschaftlichen Lebens aus zu be¬<lb/>
trachten. Imi vertrauten Verkehre mit dem meiningischeu Hofe hatten sie sich<lb/>
die gewähltester Umgangsformen angeeignet, sodaß sie in geselliger Beziehung<lb/>
hohe Ansprüche machen konnten. Die Empfänglichkeit für alles Hohe, die zarte<lb/>
Scheu vor allem Niedrigen und Gewöhnlichen war ihnen geblieben. Als Knebel<lb/>
die junge Eleonore von Kalb im Jahre 1784 auf einer Reise kennen lernte,<lb/>
war er ganz entzückt von ihr und schrieb an seine Schwester: &#x201E;Reine, kindliche<lb/>
Wahrheit und gutes Verlangen habe ich nie auf einem Gesichte mehr ausgedrückt<lb/>
gefunden. Jeder Muskel spannt sich in lieblicher Nundung dazu und ist voll<lb/>
dieses Ausdrucks. Von allen Gestalten und Gesichtern an unserm Mittagstische<lb/>
war es bei weitem das einzig edelste." Etwas reifer und selbstbewußter, aber<lb/>
ähnlich geartet können wir uns Charlotte denken, als sie auf den Dornenpfad<lb/>
einer unglücklichen Liebe einlenkte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587"> Charlotte hatte Schillers &#x201E;Räuber" bald nach dem Erscheinen gelesen, aber<lb/>
nicht ganz erfaßt. Nur einzelne Stellen, die ihrer Stimmung entsprachen,<lb/>
hafteten in ihrem Gedächtnisse. In Bauernhand, im Hause ihrer Verwandten,<lb/>
der Frau von Wolzogen, sah sie den Dichter selbst, doch nur von fern. Sie<lb/>
trauerte damals um Bruder und Schwester, Schiller scheint sich absichtlich in<lb/>
ehrerbietiger Entfernung gehalten zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> Erst in Mannheim traf sie wieder mit ihm zusammen. Dorthin kam sie<lb/>
im Mai oder Juni 1784 mit ihrem Gemahl, der sich vor Ablauf seines Ur¬<lb/>
laubes dem Herzoge Maximilian von Pfalz-Zweibrücken, dem künftigen Erben<lb/>
des baierischen Thrones, empfehlen wollte. Sie richtete einen Auftrag aus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Dichterfreundinnen. geben, der im Juni 1782 den weimarischen Staatsdienst wegen grober Nach¬ lässigkeiten in der Verwaltung der Finanzen hatte verlassen müssen und seine zerrütteten Vermögensverhältnisse durch die Heirat mit der reichen Erbin zu verbessern trachtete; die zwciundzwanzigjährige Charlotte mußte ihre Hand dem Bruder desselben, dem Major Heinrich von Kalb, reichen, einem militärischen Abenteurer, der unter französischem Banner am Freiheitskriege in Amerika teil¬ genommen hatte und zur Zeit noch in französischen Diensten stand. Im Jahre 1783 fand die Verlobung statt, kurze Zeit darauf die Verheiratung. Herzens¬ neigung wirkte dabei so wenig mit, daß Charlotte in dem Bewußtsein, dem Bräutigam in den äußern Verhältnissen nicht nachzustehen, Beruhigung suchte. In der That waren die beiden Waisen in der unverantwortlichsten Art ver¬ handelt worden. Von ihrer Verheiratung an war ihr Leben mir noch eine schiefe Ebene, auf der sie laugsam, aber sicher in das tiefste Elend hinabglitten. Von Charlotte gilt dies noch mehr als von Eleonore. Wir müssen an dieser Stelle einen Augenblick innehalten und rückwärts blicken. Noch umgiebt die Bräute und jungen Gattinnen der Zauber einer hoch¬ adligen Erziehung, die bei aller Planlosigkeit doch den feinen Duft äußerer Vornehmheit um sie verbreitet und sie gewöhnt hatte, alle Verhältnisse des Lebens von einem freiern Standpunkte des gesellschaftlichen Lebens aus zu be¬ trachten. Imi vertrauten Verkehre mit dem meiningischeu Hofe hatten sie sich die gewähltester Umgangsformen angeeignet, sodaß sie in geselliger Beziehung hohe Ansprüche machen konnten. Die Empfänglichkeit für alles Hohe, die zarte Scheu vor allem Niedrigen und Gewöhnlichen war ihnen geblieben. Als Knebel die junge Eleonore von Kalb im Jahre 1784 auf einer Reise kennen lernte, war er ganz entzückt von ihr und schrieb an seine Schwester: „Reine, kindliche Wahrheit und gutes Verlangen habe ich nie auf einem Gesichte mehr ausgedrückt gefunden. Jeder Muskel spannt sich in lieblicher Nundung dazu und ist voll dieses Ausdrucks. Von allen Gestalten und Gesichtern an unserm Mittagstische war es bei weitem das einzig edelste." Etwas reifer und selbstbewußter, aber ähnlich geartet können wir uns Charlotte denken, als sie auf den Dornenpfad einer unglücklichen Liebe einlenkte. Charlotte hatte Schillers „Räuber" bald nach dem Erscheinen gelesen, aber nicht ganz erfaßt. Nur einzelne Stellen, die ihrer Stimmung entsprachen, hafteten in ihrem Gedächtnisse. In Bauernhand, im Hause ihrer Verwandten, der Frau von Wolzogen, sah sie den Dichter selbst, doch nur von fern. Sie trauerte damals um Bruder und Schwester, Schiller scheint sich absichtlich in ehrerbietiger Entfernung gehalten zu haben. Erst in Mannheim traf sie wieder mit ihm zusammen. Dorthin kam sie im Mai oder Juni 1784 mit ihrem Gemahl, der sich vor Ablauf seines Ur¬ laubes dem Herzoge Maximilian von Pfalz-Zweibrücken, dem künftigen Erben des baierischen Thrones, empfehlen wollte. Sie richtete einen Auftrag aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/190>, abgerufen am 29.05.2024.