Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnen.

große, sonderbare weibliche Seele, die ein wirkliches Studium für ihn sei und
einem größeren Geiste als dem seinigen zu schaffen geben könne. Mit jedem
Fortschritte seines Umganges mit ihr entdecke er neue Erscheinungen in ihr,
die ihn wie schöne Partien in einer weiten Landschaft überraschten und ent¬
zückten. Sein Verhältnis zu ihr sei wie die geoffenbarte Religion auf den
Glauben gestützt. Wie bei dieser die Resultate lauger Prüfungen und lang¬
samer Fortschritte des menschlichen Geistes auf eine mystische Weise avcmcirt
seien, weil die Vernunft zu langsam dahin gelangt sein würde, so hätten auch
sie mit der Ahnung des Resultates angefangen und müßten nun ihr Verhältnis
verstandesmüßig untersuchen und befestigen. Da gebe es denn Epochen des
Fanatismus, des Skeptizismus, des Aberglaubens und Unglaubens, und am
Ende werde ein reiner und billiger Vernunftglaube der allein seligmachende
sein. Wahrscheinlich sei der Keim einer unerschütterlichen Freundschaft in beiden
vorhanden, aber er warte noch der Entwicklung. In Charlottens Gemüt sei
übrigens mehr Einheit als in dem seinigen, obgleich sie wandelbarer in Launen
und Stimmungen sei. Lange Einsamkeit und ein eigensinniger Hang ihres
Wesens hätten sein Bild in ihrer Seele tiefer und fester gegründet, als dies
bei ihm der Fall mit dem ihrigen habe sein können. In Wirklichkeit war das
Verhältnis wohl inniger, als diese kritische Betrachtung vermuten läßt. Schiller
widmete sich der Freundin ganz, soweit seine Arbeiten und der notwendige
Verkehr mit andern es zuließen. Täglich war er bei ihr, oft zweimal, zuweilen
von früh bis abends. Er ging mit ihr spazieren und begleitete sie in die
Gesellschaft. Die Weimarer waren an Seelcnfreundschafte" gewöhnt, sie re-
spektirten die Vertraulichkeit der beiden Fremden, äußerlich wenigstens, so
sehr, daß sie beide häufig zusammen einluden. Diese Rücksicht nahmen sogar
die Herzogin und die Herzogin-Mutter. Doch mag es auch an Klatsch und
übler Nachrede nicht gefehlt haben. Charlotte vergalt die Hingebung ihres
Dichters ähnlich wie die Stein mit schwesterlicher Zärtlichkeit. Sie sorgte für
seine äußere Bequemlichkeit, verschaffte ihm einen passenden Diener, half ihm
seine Häuslichkeit einrichten und erleichterte ihm als Führerin und Beraterin
feinen Eintritt in die Hofkreise. Man kann sie Schritt für Schritt verfolgen,
diese beiden in ihren Idealismus lind ihre Freundschaft eingeschlossenen Fremden,
wie sie mit einander die selbstbewußte und formgcrechte Weimarische Gesellschaft
durchwandern und ihre Betrachtungen anstellen. Mit aufrichtiger Bewunderung
sahen sie zur Herzogin Luise auf; ihre gleichsam jungfräuliche Strenge und
durch eine hohe Bildung erzeugte Milde schildert Charlotte noch in ihren
Memoiren mit warmen Worten. Natürlich brachte Charlotte auch den Arbeiten
ihres Freundes das lebhafteste Interesse entgegen. Besonders rührten sie die
Szenen in Don Karlos, die ihr eignes Bild wiederspiegelten.

Im Anfang wirkte diese Bethätigung einer innigen Freundschaft außer¬
ordentlich belebend auf Charlotte ein. Sie ward gesund, gesellig und heiter,


Dichterfreundinnen.

große, sonderbare weibliche Seele, die ein wirkliches Studium für ihn sei und
einem größeren Geiste als dem seinigen zu schaffen geben könne. Mit jedem
Fortschritte seines Umganges mit ihr entdecke er neue Erscheinungen in ihr,
die ihn wie schöne Partien in einer weiten Landschaft überraschten und ent¬
zückten. Sein Verhältnis zu ihr sei wie die geoffenbarte Religion auf den
Glauben gestützt. Wie bei dieser die Resultate lauger Prüfungen und lang¬
samer Fortschritte des menschlichen Geistes auf eine mystische Weise avcmcirt
seien, weil die Vernunft zu langsam dahin gelangt sein würde, so hätten auch
sie mit der Ahnung des Resultates angefangen und müßten nun ihr Verhältnis
verstandesmüßig untersuchen und befestigen. Da gebe es denn Epochen des
Fanatismus, des Skeptizismus, des Aberglaubens und Unglaubens, und am
Ende werde ein reiner und billiger Vernunftglaube der allein seligmachende
sein. Wahrscheinlich sei der Keim einer unerschütterlichen Freundschaft in beiden
vorhanden, aber er warte noch der Entwicklung. In Charlottens Gemüt sei
übrigens mehr Einheit als in dem seinigen, obgleich sie wandelbarer in Launen
und Stimmungen sei. Lange Einsamkeit und ein eigensinniger Hang ihres
Wesens hätten sein Bild in ihrer Seele tiefer und fester gegründet, als dies
bei ihm der Fall mit dem ihrigen habe sein können. In Wirklichkeit war das
Verhältnis wohl inniger, als diese kritische Betrachtung vermuten läßt. Schiller
widmete sich der Freundin ganz, soweit seine Arbeiten und der notwendige
Verkehr mit andern es zuließen. Täglich war er bei ihr, oft zweimal, zuweilen
von früh bis abends. Er ging mit ihr spazieren und begleitete sie in die
Gesellschaft. Die Weimarer waren an Seelcnfreundschafte» gewöhnt, sie re-
spektirten die Vertraulichkeit der beiden Fremden, äußerlich wenigstens, so
sehr, daß sie beide häufig zusammen einluden. Diese Rücksicht nahmen sogar
die Herzogin und die Herzogin-Mutter. Doch mag es auch an Klatsch und
übler Nachrede nicht gefehlt haben. Charlotte vergalt die Hingebung ihres
Dichters ähnlich wie die Stein mit schwesterlicher Zärtlichkeit. Sie sorgte für
seine äußere Bequemlichkeit, verschaffte ihm einen passenden Diener, half ihm
seine Häuslichkeit einrichten und erleichterte ihm als Führerin und Beraterin
feinen Eintritt in die Hofkreise. Man kann sie Schritt für Schritt verfolgen,
diese beiden in ihren Idealismus lind ihre Freundschaft eingeschlossenen Fremden,
wie sie mit einander die selbstbewußte und formgcrechte Weimarische Gesellschaft
durchwandern und ihre Betrachtungen anstellen. Mit aufrichtiger Bewunderung
sahen sie zur Herzogin Luise auf; ihre gleichsam jungfräuliche Strenge und
durch eine hohe Bildung erzeugte Milde schildert Charlotte noch in ihren
Memoiren mit warmen Worten. Natürlich brachte Charlotte auch den Arbeiten
ihres Freundes das lebhafteste Interesse entgegen. Besonders rührten sie die
Szenen in Don Karlos, die ihr eignes Bild wiederspiegelten.

Im Anfang wirkte diese Bethätigung einer innigen Freundschaft außer¬
ordentlich belebend auf Charlotte ein. Sie ward gesund, gesellig und heiter,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201010"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_690" prev="#ID_689"> große, sonderbare weibliche Seele, die ein wirkliches Studium für ihn sei und<lb/>
einem größeren Geiste als dem seinigen zu schaffen geben könne. Mit jedem<lb/>
Fortschritte seines Umganges mit ihr entdecke er neue Erscheinungen in ihr,<lb/>
die ihn wie schöne Partien in einer weiten Landschaft überraschten und ent¬<lb/>
zückten. Sein Verhältnis zu ihr sei wie die geoffenbarte Religion auf den<lb/>
Glauben gestützt. Wie bei dieser die Resultate lauger Prüfungen und lang¬<lb/>
samer Fortschritte des menschlichen Geistes auf eine mystische Weise avcmcirt<lb/>
seien, weil die Vernunft zu langsam dahin gelangt sein würde, so hätten auch<lb/>
sie mit der Ahnung des Resultates angefangen und müßten nun ihr Verhältnis<lb/>
verstandesmüßig untersuchen und befestigen. Da gebe es denn Epochen des<lb/>
Fanatismus, des Skeptizismus, des Aberglaubens und Unglaubens, und am<lb/>
Ende werde ein reiner und billiger Vernunftglaube der allein seligmachende<lb/>
sein. Wahrscheinlich sei der Keim einer unerschütterlichen Freundschaft in beiden<lb/>
vorhanden, aber er warte noch der Entwicklung. In Charlottens Gemüt sei<lb/>
übrigens mehr Einheit als in dem seinigen, obgleich sie wandelbarer in Launen<lb/>
und Stimmungen sei. Lange Einsamkeit und ein eigensinniger Hang ihres<lb/>
Wesens hätten sein Bild in ihrer Seele tiefer und fester gegründet, als dies<lb/>
bei ihm der Fall mit dem ihrigen habe sein können. In Wirklichkeit war das<lb/>
Verhältnis wohl inniger, als diese kritische Betrachtung vermuten läßt. Schiller<lb/>
widmete sich der Freundin ganz, soweit seine Arbeiten und der notwendige<lb/>
Verkehr mit andern es zuließen. Täglich war er bei ihr, oft zweimal, zuweilen<lb/>
von früh bis abends. Er ging mit ihr spazieren und begleitete sie in die<lb/>
Gesellschaft. Die Weimarer waren an Seelcnfreundschafte» gewöhnt, sie re-<lb/>
spektirten die Vertraulichkeit der beiden Fremden, äußerlich wenigstens, so<lb/>
sehr, daß sie beide häufig zusammen einluden. Diese Rücksicht nahmen sogar<lb/>
die Herzogin und die Herzogin-Mutter. Doch mag es auch an Klatsch und<lb/>
übler Nachrede nicht gefehlt haben. Charlotte vergalt die Hingebung ihres<lb/>
Dichters ähnlich wie die Stein mit schwesterlicher Zärtlichkeit. Sie sorgte für<lb/>
seine äußere Bequemlichkeit, verschaffte ihm einen passenden Diener, half ihm<lb/>
seine Häuslichkeit einrichten und erleichterte ihm als Führerin und Beraterin<lb/>
feinen Eintritt in die Hofkreise. Man kann sie Schritt für Schritt verfolgen,<lb/>
diese beiden in ihren Idealismus lind ihre Freundschaft eingeschlossenen Fremden,<lb/>
wie sie mit einander die selbstbewußte und formgcrechte Weimarische Gesellschaft<lb/>
durchwandern und ihre Betrachtungen anstellen. Mit aufrichtiger Bewunderung<lb/>
sahen sie zur Herzogin Luise auf; ihre gleichsam jungfräuliche Strenge und<lb/>
durch eine hohe Bildung erzeugte Milde schildert Charlotte noch in ihren<lb/>
Memoiren mit warmen Worten. Natürlich brachte Charlotte auch den Arbeiten<lb/>
ihres Freundes das lebhafteste Interesse entgegen. Besonders rührten sie die<lb/>
Szenen in Don Karlos, die ihr eignes Bild wiederspiegelten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_691" next="#ID_692"> Im Anfang wirkte diese Bethätigung einer innigen Freundschaft außer¬<lb/>
ordentlich belebend auf Charlotte ein.  Sie ward gesund, gesellig und heiter,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] Dichterfreundinnen. große, sonderbare weibliche Seele, die ein wirkliches Studium für ihn sei und einem größeren Geiste als dem seinigen zu schaffen geben könne. Mit jedem Fortschritte seines Umganges mit ihr entdecke er neue Erscheinungen in ihr, die ihn wie schöne Partien in einer weiten Landschaft überraschten und ent¬ zückten. Sein Verhältnis zu ihr sei wie die geoffenbarte Religion auf den Glauben gestützt. Wie bei dieser die Resultate lauger Prüfungen und lang¬ samer Fortschritte des menschlichen Geistes auf eine mystische Weise avcmcirt seien, weil die Vernunft zu langsam dahin gelangt sein würde, so hätten auch sie mit der Ahnung des Resultates angefangen und müßten nun ihr Verhältnis verstandesmüßig untersuchen und befestigen. Da gebe es denn Epochen des Fanatismus, des Skeptizismus, des Aberglaubens und Unglaubens, und am Ende werde ein reiner und billiger Vernunftglaube der allein seligmachende sein. Wahrscheinlich sei der Keim einer unerschütterlichen Freundschaft in beiden vorhanden, aber er warte noch der Entwicklung. In Charlottens Gemüt sei übrigens mehr Einheit als in dem seinigen, obgleich sie wandelbarer in Launen und Stimmungen sei. Lange Einsamkeit und ein eigensinniger Hang ihres Wesens hätten sein Bild in ihrer Seele tiefer und fester gegründet, als dies bei ihm der Fall mit dem ihrigen habe sein können. In Wirklichkeit war das Verhältnis wohl inniger, als diese kritische Betrachtung vermuten läßt. Schiller widmete sich der Freundin ganz, soweit seine Arbeiten und der notwendige Verkehr mit andern es zuließen. Täglich war er bei ihr, oft zweimal, zuweilen von früh bis abends. Er ging mit ihr spazieren und begleitete sie in die Gesellschaft. Die Weimarer waren an Seelcnfreundschafte» gewöhnt, sie re- spektirten die Vertraulichkeit der beiden Fremden, äußerlich wenigstens, so sehr, daß sie beide häufig zusammen einluden. Diese Rücksicht nahmen sogar die Herzogin und die Herzogin-Mutter. Doch mag es auch an Klatsch und übler Nachrede nicht gefehlt haben. Charlotte vergalt die Hingebung ihres Dichters ähnlich wie die Stein mit schwesterlicher Zärtlichkeit. Sie sorgte für seine äußere Bequemlichkeit, verschaffte ihm einen passenden Diener, half ihm seine Häuslichkeit einrichten und erleichterte ihm als Führerin und Beraterin feinen Eintritt in die Hofkreise. Man kann sie Schritt für Schritt verfolgen, diese beiden in ihren Idealismus lind ihre Freundschaft eingeschlossenen Fremden, wie sie mit einander die selbstbewußte und formgcrechte Weimarische Gesellschaft durchwandern und ihre Betrachtungen anstellen. Mit aufrichtiger Bewunderung sahen sie zur Herzogin Luise auf; ihre gleichsam jungfräuliche Strenge und durch eine hohe Bildung erzeugte Milde schildert Charlotte noch in ihren Memoiren mit warmen Worten. Natürlich brachte Charlotte auch den Arbeiten ihres Freundes das lebhafteste Interesse entgegen. Besonders rührten sie die Szenen in Don Karlos, die ihr eignes Bild wiederspiegelten. Im Anfang wirkte diese Bethätigung einer innigen Freundschaft außer¬ ordentlich belebend auf Charlotte ein. Sie ward gesund, gesellig und heiter,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/231>, abgerufen am 30.05.2024.