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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfremldinnen.

fast mutwillig. Mitten im idealsten Fluge ihrer Gedanken konnte sie herzlich
lachen, so frei und sicher fühlte sie sich. Allmählich aber mischte sich etwas
Beängstigendes und Leidenschaftliches in das Zusammenleben mit dem Freunde.
Schiller war doch nicht mehr, wie in Mannheim, der bald unbändig aufwallende,
bald weiblich sanfte Jüngling des Sturmes und Dranges, der sich bereitwillig
in die moralische Pflege der jungen Frau begeben hatte. Der Aufenthalt in
Dresden war nicht günstig für seine sittliche Entwicklung gewesen. Andeutungen
in Hubers Briefen und bekannte Thatsachen lassen erkennen, das; der sinnliche
Teil seines Wesens gewaltsam zur Geltung zu kommen suchte. Er bot nicht
mehr wie in Mannheim jedem schönen Mädchen Herz und Hand zugleich an,
sondern war im Notfalle bereit, das Herz allein und die Hand allein zu ver¬
schenken. In deu Armen einer schönen Glücksritterin in Dresden aus der
Klasse der Demimoude, des Fräulein Arnim, hatte er den Mut dazu gewonnen.
Es war kein Zeichen von feinem sittlichen Takte, daß er seiner Seelenfreundin
in Weimar das Bild der Arnim zeigen und rühmen konnte. Charlotte sollte
noch mehr darunter zu leiden haben.

Auch in geistiger Beziehung stand Schiller im Begriff, ein andrer zu
werden. Schon durch seine geschichtlichen und philosophischen Studien war er
von dem idealen Traumleben der Sturm- nud Drangperiode abgelenkt worden;
in Weimar schloß er sich mehr und mehr an Wieland an, der mit ihm einen
förmlichen Kursus der Kunstpoesie durcharbeitete und ihn dringend auf die
klassischen Dichtungen der Alten als auf die unvergänglichen Muster hinwies.
Überhaupt war die Weimarer Luft dem Sturm und Drang nicht günstig, und
Schiller sträubte sich nicht gegen die Umwandlung seiner Ideen. Mit Don
Karlos schließt 1787 die Zeit seines unbegrenzten Idealismus ab, Don Karlos
aber ist ans dem Boden seiner Liebe zu Charlotte erwachsen und mit dieser
bis zum Abschluß aufs innigste verwebt gewesen. Als Don Karlos vollendet
war, begann seine Seclenfrenndschaft mit der Idealistin zu ermatten. Denn
Charlotte änderte sich nicht, sie blieb, was sie war, die Heldin der Sturm¬
und Draugzeit. Ehe aber Schiller sich vollkommen klärte, ehe er geistig die
Freundin winklich überragte, umfing ihn eine Zeit lang die Trübe, welche jeden
Übergang kennzeichnet. Daher hat in dieser Zeit das Pathos seiner Empfin¬
dungen zuweilen etwas Ungesundes, wie wir schon in seinem Verhalten gegen
Karoline von Beulwitz gesehen haben. Seine vulkanische Natur warf einen
glühenden Aschenregen aus, der die friedliche Umgebung versengte. Auch in
Charlotte sah er nicht mehr allein die geistige Schwester, sondern ebenso sehr
das Weib, welches seine sinnliche Natur aufregte. Er suchte sie geflissentlich
allein zu sehen, er bat sie schriftlich, zu ihm zu kommen, weil er nicht ausgehen
könne. Charlotte mußte abschlagen, abweisen, und Schiller zürnte ihr deswegen.
Sie war wirklich in einer schlimmen Lage. Ihr Augenleiden wurde trotz der
sorgfältigen Behandlung des jungen Hufeland, der sich damals in Weimar


Dichterfremldinnen.

fast mutwillig. Mitten im idealsten Fluge ihrer Gedanken konnte sie herzlich
lachen, so frei und sicher fühlte sie sich. Allmählich aber mischte sich etwas
Beängstigendes und Leidenschaftliches in das Zusammenleben mit dem Freunde.
Schiller war doch nicht mehr, wie in Mannheim, der bald unbändig aufwallende,
bald weiblich sanfte Jüngling des Sturmes und Dranges, der sich bereitwillig
in die moralische Pflege der jungen Frau begeben hatte. Der Aufenthalt in
Dresden war nicht günstig für seine sittliche Entwicklung gewesen. Andeutungen
in Hubers Briefen und bekannte Thatsachen lassen erkennen, das; der sinnliche
Teil seines Wesens gewaltsam zur Geltung zu kommen suchte. Er bot nicht
mehr wie in Mannheim jedem schönen Mädchen Herz und Hand zugleich an,
sondern war im Notfalle bereit, das Herz allein und die Hand allein zu ver¬
schenken. In deu Armen einer schönen Glücksritterin in Dresden aus der
Klasse der Demimoude, des Fräulein Arnim, hatte er den Mut dazu gewonnen.
Es war kein Zeichen von feinem sittlichen Takte, daß er seiner Seelenfreundin
in Weimar das Bild der Arnim zeigen und rühmen konnte. Charlotte sollte
noch mehr darunter zu leiden haben.

Auch in geistiger Beziehung stand Schiller im Begriff, ein andrer zu
werden. Schon durch seine geschichtlichen und philosophischen Studien war er
von dem idealen Traumleben der Sturm- nud Drangperiode abgelenkt worden;
in Weimar schloß er sich mehr und mehr an Wieland an, der mit ihm einen
förmlichen Kursus der Kunstpoesie durcharbeitete und ihn dringend auf die
klassischen Dichtungen der Alten als auf die unvergänglichen Muster hinwies.
Überhaupt war die Weimarer Luft dem Sturm und Drang nicht günstig, und
Schiller sträubte sich nicht gegen die Umwandlung seiner Ideen. Mit Don
Karlos schließt 1787 die Zeit seines unbegrenzten Idealismus ab, Don Karlos
aber ist ans dem Boden seiner Liebe zu Charlotte erwachsen und mit dieser
bis zum Abschluß aufs innigste verwebt gewesen. Als Don Karlos vollendet
war, begann seine Seclenfrenndschaft mit der Idealistin zu ermatten. Denn
Charlotte änderte sich nicht, sie blieb, was sie war, die Heldin der Sturm¬
und Draugzeit. Ehe aber Schiller sich vollkommen klärte, ehe er geistig die
Freundin winklich überragte, umfing ihn eine Zeit lang die Trübe, welche jeden
Übergang kennzeichnet. Daher hat in dieser Zeit das Pathos seiner Empfin¬
dungen zuweilen etwas Ungesundes, wie wir schon in seinem Verhalten gegen
Karoline von Beulwitz gesehen haben. Seine vulkanische Natur warf einen
glühenden Aschenregen aus, der die friedliche Umgebung versengte. Auch in
Charlotte sah er nicht mehr allein die geistige Schwester, sondern ebenso sehr
das Weib, welches seine sinnliche Natur aufregte. Er suchte sie geflissentlich
allein zu sehen, er bat sie schriftlich, zu ihm zu kommen, weil er nicht ausgehen
könne. Charlotte mußte abschlagen, abweisen, und Schiller zürnte ihr deswegen.
Sie war wirklich in einer schlimmen Lage. Ihr Augenleiden wurde trotz der
sorgfältigen Behandlung des jungen Hufeland, der sich damals in Weimar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/232>, abgerufen am 30.05.2024.