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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Kind bisher ihr einziger Trost gewesen in langer, schwerer Zeit. Mit allen
Fasern ihres Herzens klammerte sie sich an den Knaben an, und mit furcht¬
barer Deutlichkeit sah sie die trostlose Lage, in die sie geraten war. Die
Leidenschaft im Herzen, die starre, kalte Welt vor sich, Ade und Verlassenheit,
wohin sie blickte! Das Gefühl der inner"? und äußern Not überwältigte sie
so, daß sie in eine tvdesähnliche Erstarrung fiel, ans der sie erst am andern
Tage erwachte. Und nun erst sollte sie auch den letzten Trost verlieren. Während
sie unter dem Mißtrauen litt, das sie selbst im Kreise der nächsten Angehörigen
wach gerufen hatte, lüftete sich der Schleier über Schillers Verlobung. Da
gewann die Leidenschaft, die wider ihren Willen in ihr erregt worden war und
in einer starken Natur wie der ihrigen zu einer ungestümen Macht anschwellen
mußte, Gewalt über sie. Es ist ohne Zweifel alles wahr, was ihre Gegner
ihr in dieser Zeit vorwerfen: daß sie Schillers Braut mit boshaften Be¬
merkungen verfolgte, daß sie einen anonymen Brief an sie schrieb, worin sie
ihr die Liebe zu Schiller als eine Thorheit verdächtigte, daß sie die Briefe der
Liebenden erbrach, wenn sie deren habhaft werden konnte, daß sie sich noch in
dieser letzten Frist verzweifelt an den Geliebten wendete, ihn mit Briefen und
Einladungen zu vertraulichen Besprechungen bestürmte und dann wieder ihre
Liebe zu ihm als eine Tollheit, einen ungeschickten Traum brandmarkte, der
schon lange nicht mehr in ihrer Erinnerung sei, daß sie kurz vor der Hochzeit,
als Lotte sie bei Frau von Stein traf, aussah wie ein rasender Mensch, bei
dem der Paroxhsmus vorüber ist, so erschöpft, so verstört. Es ist alles wahr
und erklärlich. "Sie saß unter uus -- schreibt Lotte in einem Briefe an
Schiller -- wie eine Erscheinung aus einem andern Planeten und als gehörte
sie gar nicht zu uns. Ich fürchtete wirklich für ihren Verstand. Sie ist mir
sehr aufgefallen, und hätte sie nicht wieder die unverzeihlicher Härten und das
Ungraziöse in ihrem Wesen, sie könnte mein Mitleid erregen." Schiller war
in nicht geringer Verlegenheit. Bald sucht er leicht über den heilet" Punkt
hinwegzukommen, bald das Benehmen der gekränkten Frau als eine unbegreifliche
Anmaßung hinzustellen. "Ich habe eben einen Brief an die Kalb geendigt
-- schreibt er am 8. Februar 1790 seiner Braut --, und zwar eine Antwort
auf einen, den ich heute von ihr erhalten habe. Sie beträgt sich wie gewöhnlich
sehr ungraziös, und ich habe mich, däucht mir, sehr schön an ihr gerächt. . . .
Ich habe ihr von unsrer Glückseligkeit geschrieben, dieses war meine Rache, sie
hat sie reichlich verdient." Und einige Tage später, kurz vor der Hochzeit:
"Sie draug in mich in ihren letzten Briefen, sie nur auf einen Augenblick zu
besuchen, weil sie mir etwas sehr wichtiges zu sagen habe. Da ich es neulich
endlich ganz abschlug, so eröffnete sie mir in ihrem letzten Briefe die Sache,
um derentwillen sie so nötig fand, mich zu sprechen. Dies war nun offenbar
nicht die Wahrheit, denn ihr Anliegen ist dnrch einen Brief noch leichter ab¬
zuthun gewesen. Sie war nie wahr gegen mich als etwa in einer leidenschaft-


Dichterfreundinnen.

Kind bisher ihr einziger Trost gewesen in langer, schwerer Zeit. Mit allen
Fasern ihres Herzens klammerte sie sich an den Knaben an, und mit furcht¬
barer Deutlichkeit sah sie die trostlose Lage, in die sie geraten war. Die
Leidenschaft im Herzen, die starre, kalte Welt vor sich, Ade und Verlassenheit,
wohin sie blickte! Das Gefühl der inner«? und äußern Not überwältigte sie
so, daß sie in eine tvdesähnliche Erstarrung fiel, ans der sie erst am andern
Tage erwachte. Und nun erst sollte sie auch den letzten Trost verlieren. Während
sie unter dem Mißtrauen litt, das sie selbst im Kreise der nächsten Angehörigen
wach gerufen hatte, lüftete sich der Schleier über Schillers Verlobung. Da
gewann die Leidenschaft, die wider ihren Willen in ihr erregt worden war und
in einer starken Natur wie der ihrigen zu einer ungestümen Macht anschwellen
mußte, Gewalt über sie. Es ist ohne Zweifel alles wahr, was ihre Gegner
ihr in dieser Zeit vorwerfen: daß sie Schillers Braut mit boshaften Be¬
merkungen verfolgte, daß sie einen anonymen Brief an sie schrieb, worin sie
ihr die Liebe zu Schiller als eine Thorheit verdächtigte, daß sie die Briefe der
Liebenden erbrach, wenn sie deren habhaft werden konnte, daß sie sich noch in
dieser letzten Frist verzweifelt an den Geliebten wendete, ihn mit Briefen und
Einladungen zu vertraulichen Besprechungen bestürmte und dann wieder ihre
Liebe zu ihm als eine Tollheit, einen ungeschickten Traum brandmarkte, der
schon lange nicht mehr in ihrer Erinnerung sei, daß sie kurz vor der Hochzeit,
als Lotte sie bei Frau von Stein traf, aussah wie ein rasender Mensch, bei
dem der Paroxhsmus vorüber ist, so erschöpft, so verstört. Es ist alles wahr
und erklärlich. „Sie saß unter uus — schreibt Lotte in einem Briefe an
Schiller — wie eine Erscheinung aus einem andern Planeten und als gehörte
sie gar nicht zu uns. Ich fürchtete wirklich für ihren Verstand. Sie ist mir
sehr aufgefallen, und hätte sie nicht wieder die unverzeihlicher Härten und das
Ungraziöse in ihrem Wesen, sie könnte mein Mitleid erregen." Schiller war
in nicht geringer Verlegenheit. Bald sucht er leicht über den heilet» Punkt
hinwegzukommen, bald das Benehmen der gekränkten Frau als eine unbegreifliche
Anmaßung hinzustellen. „Ich habe eben einen Brief an die Kalb geendigt
— schreibt er am 8. Februar 1790 seiner Braut —, und zwar eine Antwort
auf einen, den ich heute von ihr erhalten habe. Sie beträgt sich wie gewöhnlich
sehr ungraziös, und ich habe mich, däucht mir, sehr schön an ihr gerächt. . . .
Ich habe ihr von unsrer Glückseligkeit geschrieben, dieses war meine Rache, sie
hat sie reichlich verdient." Und einige Tage später, kurz vor der Hochzeit:
„Sie draug in mich in ihren letzten Briefen, sie nur auf einen Augenblick zu
besuchen, weil sie mir etwas sehr wichtiges zu sagen habe. Da ich es neulich
endlich ganz abschlug, so eröffnete sie mir in ihrem letzten Briefe die Sache,
um derentwillen sie so nötig fand, mich zu sprechen. Dies war nun offenbar
nicht die Wahrheit, denn ihr Anliegen ist dnrch einen Brief noch leichter ab¬
zuthun gewesen. Sie war nie wahr gegen mich als etwa in einer leidenschaft-


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[0235] Dichterfreundinnen. Kind bisher ihr einziger Trost gewesen in langer, schwerer Zeit. Mit allen Fasern ihres Herzens klammerte sie sich an den Knaben an, und mit furcht¬ barer Deutlichkeit sah sie die trostlose Lage, in die sie geraten war. Die Leidenschaft im Herzen, die starre, kalte Welt vor sich, Ade und Verlassenheit, wohin sie blickte! Das Gefühl der inner«? und äußern Not überwältigte sie so, daß sie in eine tvdesähnliche Erstarrung fiel, ans der sie erst am andern Tage erwachte. Und nun erst sollte sie auch den letzten Trost verlieren. Während sie unter dem Mißtrauen litt, das sie selbst im Kreise der nächsten Angehörigen wach gerufen hatte, lüftete sich der Schleier über Schillers Verlobung. Da gewann die Leidenschaft, die wider ihren Willen in ihr erregt worden war und in einer starken Natur wie der ihrigen zu einer ungestümen Macht anschwellen mußte, Gewalt über sie. Es ist ohne Zweifel alles wahr, was ihre Gegner ihr in dieser Zeit vorwerfen: daß sie Schillers Braut mit boshaften Be¬ merkungen verfolgte, daß sie einen anonymen Brief an sie schrieb, worin sie ihr die Liebe zu Schiller als eine Thorheit verdächtigte, daß sie die Briefe der Liebenden erbrach, wenn sie deren habhaft werden konnte, daß sie sich noch in dieser letzten Frist verzweifelt an den Geliebten wendete, ihn mit Briefen und Einladungen zu vertraulichen Besprechungen bestürmte und dann wieder ihre Liebe zu ihm als eine Tollheit, einen ungeschickten Traum brandmarkte, der schon lange nicht mehr in ihrer Erinnerung sei, daß sie kurz vor der Hochzeit, als Lotte sie bei Frau von Stein traf, aussah wie ein rasender Mensch, bei dem der Paroxhsmus vorüber ist, so erschöpft, so verstört. Es ist alles wahr und erklärlich. „Sie saß unter uus — schreibt Lotte in einem Briefe an Schiller — wie eine Erscheinung aus einem andern Planeten und als gehörte sie gar nicht zu uns. Ich fürchtete wirklich für ihren Verstand. Sie ist mir sehr aufgefallen, und hätte sie nicht wieder die unverzeihlicher Härten und das Ungraziöse in ihrem Wesen, sie könnte mein Mitleid erregen." Schiller war in nicht geringer Verlegenheit. Bald sucht er leicht über den heilet» Punkt hinwegzukommen, bald das Benehmen der gekränkten Frau als eine unbegreifliche Anmaßung hinzustellen. „Ich habe eben einen Brief an die Kalb geendigt — schreibt er am 8. Februar 1790 seiner Braut —, und zwar eine Antwort auf einen, den ich heute von ihr erhalten habe. Sie beträgt sich wie gewöhnlich sehr ungraziös, und ich habe mich, däucht mir, sehr schön an ihr gerächt. . . . Ich habe ihr von unsrer Glückseligkeit geschrieben, dieses war meine Rache, sie hat sie reichlich verdient." Und einige Tage später, kurz vor der Hochzeit: „Sie draug in mich in ihren letzten Briefen, sie nur auf einen Augenblick zu besuchen, weil sie mir etwas sehr wichtiges zu sagen habe. Da ich es neulich endlich ganz abschlug, so eröffnete sie mir in ihrem letzten Briefe die Sache, um derentwillen sie so nötig fand, mich zu sprechen. Dies war nun offenbar nicht die Wahrheit, denn ihr Anliegen ist dnrch einen Brief noch leichter ab¬ zuthun gewesen. Sie war nie wahr gegen mich als etwa in einer leidenschaft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/235>, abgerufen am 08.06.2024.