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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfronndinuen.

lichen Stunde, mit Klugheit und List wollte sie mich umstricken. Sie ist jetzt
nicht edel und nicht einmal edel genug, um mir Achtung einzuflößen." Schiller
erntete, als er in den Kreis der reinen Liebe eintrat, die bittern Früchte dessen,
was er in der trüben, verworrenen Übergangszeit selbst gesät hatte. Es gehörte
die grundlose Liebe einer Lotte von Lengefeld dazu, die Kluft auszufüllen,
welche die Braut noch von dem Bräutigam trennte. Wie sie in frommer Hin¬
gebung und Selbstlosigkeit den Mann ihrer Liebe von der Schwester erwarb,
so rang sie um ihn mit der frühern Geliebten. Sie macht Schiller keine Vor¬
würfe, aber mit dem scharfen Auge der Eifersucht überwacht sie jedes Wort,
jede Handlung der leidenschaftlich erregten Frau und schöpft die Zuversicht in
dem schweren Kampfe aus dem Bewußtsein, daß sie ihrem Verlobten zu seinem
eignen Besten helfend zur Seite stehe. "Nein gewiß, Lieber -- schreibt sie
am 22. Januar 1790, also wahrscheinlich in der Zeit, als sich die Krisis bereits
dem Ende zuneigte --, sie ist nicht gemacht, dir zu gehören, sie hat so viele
Härten in ihrem Wesen, die dich nicht glücklich gemacht hätten. Unsre Ver¬
bindung wäre bei einem nähern Verhältnisse mit dir ganz zerstört worden, du
wärst gar nicht mehr für uns da gewesen. Wir wären uns fremder geworden
und zuletzt ganz getrennt, denn sie hätte uns nicht in deinem Herzen wissen
mögen. Ein guter Genius bildete mein Wesen, um einst wohlthätig auf das
deine wirken zu können."

Der Paroxysmus der Leidenschaft war bei der heroischen Dulderin vorüber¬
gehend. Sie ergriff die Zügel ihres Lebens von neuem, riß ihre Gedanken von
dem Abgrunde zurück, aus dem ihr der Wahnsinn entgegenstarrte, und erhob
das Haupt wieder zu der Sternenwelt ihrer allgemeinen Ideen. Ihre Briefe
erbat sie sich von Schiller zurück, um sie noch einmal zu lesen und mit den
seinigen zu sammeln und zu heften. Als Schiller kurz vor seiner Hochzeit nach
Erfurt reiste, um die Braut abzuholen, übergab er ihr das Andenken an eine
stürmische Zeit eigenhändig. Es war der Abschied, den er von ihrem Herzen
nahm. Charlotte sammelte und heftete die Blätter nicht. Trauernd saß sie
vor dem schwarzen Kästchen, in dem sie lagen, wie vor dem Sarge ihrer Liebe.
Dann nahm sie ein Blatt nach dem andern heraus und warf es in die Flammen.
Das Opfer war vollbracht, der Schleier war gefallen, der das Urbild der
Elisabeth im Don Karlos vor der Nachwelt verhüllen sollte. "Ich ehre uns
-- sprach sie vor sich hin, als die letzten Zettelchen in schwarzen Staub zusammen¬
sanken -- wenn ich sie vernichte." Ihre Liebe zu dem Dichter war der Segen
und der Fluch ihres Lebens. In der stürmischen Zeit der Entwicklung hatte
sie sich zu ihm gefunden, sich zu seiner Führern: erboten, und er hatte ihr dafür
von seinem Wesen gegeben. Jetzt wuchs der Geistesheros über sie hinaus,
vergebens klammerte sie sich an seine Fersen, er schob sie beiseite, aber ihr blieb
die geistige Erbschaft seiner ersten Periode, ihr blieb die Gährung, die er glücklich
überwunden hatte. So war es der Fran von Stein mit Goethe ergangen,


Dichterfronndinuen.

lichen Stunde, mit Klugheit und List wollte sie mich umstricken. Sie ist jetzt
nicht edel und nicht einmal edel genug, um mir Achtung einzuflößen." Schiller
erntete, als er in den Kreis der reinen Liebe eintrat, die bittern Früchte dessen,
was er in der trüben, verworrenen Übergangszeit selbst gesät hatte. Es gehörte
die grundlose Liebe einer Lotte von Lengefeld dazu, die Kluft auszufüllen,
welche die Braut noch von dem Bräutigam trennte. Wie sie in frommer Hin¬
gebung und Selbstlosigkeit den Mann ihrer Liebe von der Schwester erwarb,
so rang sie um ihn mit der frühern Geliebten. Sie macht Schiller keine Vor¬
würfe, aber mit dem scharfen Auge der Eifersucht überwacht sie jedes Wort,
jede Handlung der leidenschaftlich erregten Frau und schöpft die Zuversicht in
dem schweren Kampfe aus dem Bewußtsein, daß sie ihrem Verlobten zu seinem
eignen Besten helfend zur Seite stehe. „Nein gewiß, Lieber — schreibt sie
am 22. Januar 1790, also wahrscheinlich in der Zeit, als sich die Krisis bereits
dem Ende zuneigte —, sie ist nicht gemacht, dir zu gehören, sie hat so viele
Härten in ihrem Wesen, die dich nicht glücklich gemacht hätten. Unsre Ver¬
bindung wäre bei einem nähern Verhältnisse mit dir ganz zerstört worden, du
wärst gar nicht mehr für uns da gewesen. Wir wären uns fremder geworden
und zuletzt ganz getrennt, denn sie hätte uns nicht in deinem Herzen wissen
mögen. Ein guter Genius bildete mein Wesen, um einst wohlthätig auf das
deine wirken zu können."

Der Paroxysmus der Leidenschaft war bei der heroischen Dulderin vorüber¬
gehend. Sie ergriff die Zügel ihres Lebens von neuem, riß ihre Gedanken von
dem Abgrunde zurück, aus dem ihr der Wahnsinn entgegenstarrte, und erhob
das Haupt wieder zu der Sternenwelt ihrer allgemeinen Ideen. Ihre Briefe
erbat sie sich von Schiller zurück, um sie noch einmal zu lesen und mit den
seinigen zu sammeln und zu heften. Als Schiller kurz vor seiner Hochzeit nach
Erfurt reiste, um die Braut abzuholen, übergab er ihr das Andenken an eine
stürmische Zeit eigenhändig. Es war der Abschied, den er von ihrem Herzen
nahm. Charlotte sammelte und heftete die Blätter nicht. Trauernd saß sie
vor dem schwarzen Kästchen, in dem sie lagen, wie vor dem Sarge ihrer Liebe.
Dann nahm sie ein Blatt nach dem andern heraus und warf es in die Flammen.
Das Opfer war vollbracht, der Schleier war gefallen, der das Urbild der
Elisabeth im Don Karlos vor der Nachwelt verhüllen sollte. „Ich ehre uns
— sprach sie vor sich hin, als die letzten Zettelchen in schwarzen Staub zusammen¬
sanken — wenn ich sie vernichte." Ihre Liebe zu dem Dichter war der Segen
und der Fluch ihres Lebens. In der stürmischen Zeit der Entwicklung hatte
sie sich zu ihm gefunden, sich zu seiner Führern: erboten, und er hatte ihr dafür
von seinem Wesen gegeben. Jetzt wuchs der Geistesheros über sie hinaus,
vergebens klammerte sie sich an seine Fersen, er schob sie beiseite, aber ihr blieb
die geistige Erbschaft seiner ersten Periode, ihr blieb die Gährung, die er glücklich
überwunden hatte. So war es der Fran von Stein mit Goethe ergangen,


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[0236] Dichterfronndinuen. lichen Stunde, mit Klugheit und List wollte sie mich umstricken. Sie ist jetzt nicht edel und nicht einmal edel genug, um mir Achtung einzuflößen." Schiller erntete, als er in den Kreis der reinen Liebe eintrat, die bittern Früchte dessen, was er in der trüben, verworrenen Übergangszeit selbst gesät hatte. Es gehörte die grundlose Liebe einer Lotte von Lengefeld dazu, die Kluft auszufüllen, welche die Braut noch von dem Bräutigam trennte. Wie sie in frommer Hin¬ gebung und Selbstlosigkeit den Mann ihrer Liebe von der Schwester erwarb, so rang sie um ihn mit der frühern Geliebten. Sie macht Schiller keine Vor¬ würfe, aber mit dem scharfen Auge der Eifersucht überwacht sie jedes Wort, jede Handlung der leidenschaftlich erregten Frau und schöpft die Zuversicht in dem schweren Kampfe aus dem Bewußtsein, daß sie ihrem Verlobten zu seinem eignen Besten helfend zur Seite stehe. „Nein gewiß, Lieber — schreibt sie am 22. Januar 1790, also wahrscheinlich in der Zeit, als sich die Krisis bereits dem Ende zuneigte —, sie ist nicht gemacht, dir zu gehören, sie hat so viele Härten in ihrem Wesen, die dich nicht glücklich gemacht hätten. Unsre Ver¬ bindung wäre bei einem nähern Verhältnisse mit dir ganz zerstört worden, du wärst gar nicht mehr für uns da gewesen. Wir wären uns fremder geworden und zuletzt ganz getrennt, denn sie hätte uns nicht in deinem Herzen wissen mögen. Ein guter Genius bildete mein Wesen, um einst wohlthätig auf das deine wirken zu können." Der Paroxysmus der Leidenschaft war bei der heroischen Dulderin vorüber¬ gehend. Sie ergriff die Zügel ihres Lebens von neuem, riß ihre Gedanken von dem Abgrunde zurück, aus dem ihr der Wahnsinn entgegenstarrte, und erhob das Haupt wieder zu der Sternenwelt ihrer allgemeinen Ideen. Ihre Briefe erbat sie sich von Schiller zurück, um sie noch einmal zu lesen und mit den seinigen zu sammeln und zu heften. Als Schiller kurz vor seiner Hochzeit nach Erfurt reiste, um die Braut abzuholen, übergab er ihr das Andenken an eine stürmische Zeit eigenhändig. Es war der Abschied, den er von ihrem Herzen nahm. Charlotte sammelte und heftete die Blätter nicht. Trauernd saß sie vor dem schwarzen Kästchen, in dem sie lagen, wie vor dem Sarge ihrer Liebe. Dann nahm sie ein Blatt nach dem andern heraus und warf es in die Flammen. Das Opfer war vollbracht, der Schleier war gefallen, der das Urbild der Elisabeth im Don Karlos vor der Nachwelt verhüllen sollte. „Ich ehre uns — sprach sie vor sich hin, als die letzten Zettelchen in schwarzen Staub zusammen¬ sanken — wenn ich sie vernichte." Ihre Liebe zu dem Dichter war der Segen und der Fluch ihres Lebens. In der stürmischen Zeit der Entwicklung hatte sie sich zu ihm gefunden, sich zu seiner Führern: erboten, und er hatte ihr dafür von seinem Wesen gegeben. Jetzt wuchs der Geistesheros über sie hinaus, vergebens klammerte sie sich an seine Fersen, er schob sie beiseite, aber ihr blieb die geistige Erbschaft seiner ersten Periode, ihr blieb die Gährung, die er glücklich überwunden hatte. So war es der Fran von Stein mit Goethe ergangen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/236>, abgerufen am 14.05.2024.