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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Klagen eines Ieitnngsschreibers.

"sozusagen auch ein Mensch," er hat sich ein höheres Ziel gestellt, als den
Gelderlverb allein, es ist ihm nicht gleichgültig, welche Beachtung seinen Worten
geschenkt wird, er will auf seine Mitmenschen wirken, will seinen Ansichten
Geltung verschaffen, seine Gedanken uuter das Volk bringen.

Freilich diese Gedanken dürfen nicht zu hoch sein. Denn -- grausame
Enttäuschung! was war es denn, was die Lesegier des Zeitungslesers ver¬
schlang? Ich darf dreist behaupte", daß für die Art von Zeitungsleseru, die
ich hier im Ange habe, der Lesestoff umso anziehender ist, ein je geringeres
Maß geistiger Begabung und geistiger Anstrengung zur Herstellung desselben
erforderlich war. Tagesereignisse, nicht vorwiegend etwa weltcrschütternde oder
politisch bedeutsame, sondern solche, die nur in einem kleinen Umkreise von
Wichtigkeit sind und Beachtung finden, ferner "sensationelle" Nachrichten,
schauderhafte Mordthaten oder Unglücksfälle, alle jene Neuigkeiten, die in der
Rubrik enthalten sind, welche unter dem Titel "Buntes Allerlei" oder einem
ähnlichen in keiner Zeitung fehlen darf, ferner der Inhalt des Feuilletons,
eine Erzählung, an deren künstlerischen Wert der Leser nicht allzu hohe An¬
forderungen zu stellen pflegt, auch die Anzeigen -- das ist es, was durchmustert
wird; dann ist der Zeitungsleser oder die Zeitungsleserin fertig. Daneben bleibt
dein Leitartikel, den du mit großem Fleiß ausgearbeitet hattest, unbeachtet. Das,
wodurch die Ereignisse für den denkenden Menschen erst eine Bedeutuug erhalten,
die Beziehung, in der sie zu dem Ganzen des Geschehens stehen, ist für Leser
solchen Schlages nicht vorhanden, es reizt sie nicht, andrer Urteil hierüber zu
prüfen und sich ein eignes zu bilden; die Thätigkeit des menschlichen Geistes,
welche dieser Aufgabe sich widmet, hat für sie keinen Wert.

Besser darum, wenn die Zeitung solchen Erörterungen möglichst wenig
Raum gestattet, noch besser, wenn sie solche Aufsätze überhaupt gar nicht ent¬
hält. Mir ist eine Provinzialzeitung, die wohl richtiger ein erweitertes Lokal¬
blatt zu nennen wäre, bekannt, welche trotz der geringen Bedeutung ihres
Inhalts, oder vielleicht gerade dadurch, im Laufe der Jahre sich einen ver¬
hältnismäßig weiten Leserkreis erworben und ihrem Besitzer Wohlstand verschafft
hat. Diese Zeitung berichtet zwar über die politischen Ereignisse, diese werden
auch darin besprochen, sie bringt aber möglichst wenige Originalaufsütze und
nimmt überhaupt keine ausgesprochene politische Haltung ein; im übrigen liefert
sie Lokalkorrespondenzen und Anzeigen. Und dn ist nun merkwürdig, daß eigentlich
jedermann mit diesem Blatte unzufrieden ist und darauf schilt, weil jedermann
findet, daß es doch gar zu dürftig, sein Inhalt zu nichtssagend sei, aber -- jeder¬
mann hält und liest es, was selbstverständlich für das Bestehen eines Blattes
das Haupterfordernis ist. Das Publikum hat dieses Blatt großgezogen und
darf sich also nicht beklagen, daß es seinem Geschmack nicht entspricht; von dem
Herausgeber aber ist nicht zu erwarten, daß er die Tendenz des Blattes ändere,
weil das einfach -- nicht nötig ist.


Klagen eines Ieitnngsschreibers.

„sozusagen auch ein Mensch," er hat sich ein höheres Ziel gestellt, als den
Gelderlverb allein, es ist ihm nicht gleichgültig, welche Beachtung seinen Worten
geschenkt wird, er will auf seine Mitmenschen wirken, will seinen Ansichten
Geltung verschaffen, seine Gedanken uuter das Volk bringen.

Freilich diese Gedanken dürfen nicht zu hoch sein. Denn — grausame
Enttäuschung! was war es denn, was die Lesegier des Zeitungslesers ver¬
schlang? Ich darf dreist behaupte», daß für die Art von Zeitungsleseru, die
ich hier im Ange habe, der Lesestoff umso anziehender ist, ein je geringeres
Maß geistiger Begabung und geistiger Anstrengung zur Herstellung desselben
erforderlich war. Tagesereignisse, nicht vorwiegend etwa weltcrschütternde oder
politisch bedeutsame, sondern solche, die nur in einem kleinen Umkreise von
Wichtigkeit sind und Beachtung finden, ferner „sensationelle" Nachrichten,
schauderhafte Mordthaten oder Unglücksfälle, alle jene Neuigkeiten, die in der
Rubrik enthalten sind, welche unter dem Titel „Buntes Allerlei" oder einem
ähnlichen in keiner Zeitung fehlen darf, ferner der Inhalt des Feuilletons,
eine Erzählung, an deren künstlerischen Wert der Leser nicht allzu hohe An¬
forderungen zu stellen pflegt, auch die Anzeigen — das ist es, was durchmustert
wird; dann ist der Zeitungsleser oder die Zeitungsleserin fertig. Daneben bleibt
dein Leitartikel, den du mit großem Fleiß ausgearbeitet hattest, unbeachtet. Das,
wodurch die Ereignisse für den denkenden Menschen erst eine Bedeutuug erhalten,
die Beziehung, in der sie zu dem Ganzen des Geschehens stehen, ist für Leser
solchen Schlages nicht vorhanden, es reizt sie nicht, andrer Urteil hierüber zu
prüfen und sich ein eignes zu bilden; die Thätigkeit des menschlichen Geistes,
welche dieser Aufgabe sich widmet, hat für sie keinen Wert.

Besser darum, wenn die Zeitung solchen Erörterungen möglichst wenig
Raum gestattet, noch besser, wenn sie solche Aufsätze überhaupt gar nicht ent¬
hält. Mir ist eine Provinzialzeitung, die wohl richtiger ein erweitertes Lokal¬
blatt zu nennen wäre, bekannt, welche trotz der geringen Bedeutung ihres
Inhalts, oder vielleicht gerade dadurch, im Laufe der Jahre sich einen ver¬
hältnismäßig weiten Leserkreis erworben und ihrem Besitzer Wohlstand verschafft
hat. Diese Zeitung berichtet zwar über die politischen Ereignisse, diese werden
auch darin besprochen, sie bringt aber möglichst wenige Originalaufsütze und
nimmt überhaupt keine ausgesprochene politische Haltung ein; im übrigen liefert
sie Lokalkorrespondenzen und Anzeigen. Und dn ist nun merkwürdig, daß eigentlich
jedermann mit diesem Blatte unzufrieden ist und darauf schilt, weil jedermann
findet, daß es doch gar zu dürftig, sein Inhalt zu nichtssagend sei, aber — jeder¬
mann hält und liest es, was selbstverständlich für das Bestehen eines Blattes
das Haupterfordernis ist. Das Publikum hat dieses Blatt großgezogen und
darf sich also nicht beklagen, daß es seinem Geschmack nicht entspricht; von dem
Herausgeber aber ist nicht zu erwarten, daß er die Tendenz des Blattes ändere,
weil das einfach — nicht nötig ist.


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[0239] Klagen eines Ieitnngsschreibers. „sozusagen auch ein Mensch," er hat sich ein höheres Ziel gestellt, als den Gelderlverb allein, es ist ihm nicht gleichgültig, welche Beachtung seinen Worten geschenkt wird, er will auf seine Mitmenschen wirken, will seinen Ansichten Geltung verschaffen, seine Gedanken uuter das Volk bringen. Freilich diese Gedanken dürfen nicht zu hoch sein. Denn — grausame Enttäuschung! was war es denn, was die Lesegier des Zeitungslesers ver¬ schlang? Ich darf dreist behaupte», daß für die Art von Zeitungsleseru, die ich hier im Ange habe, der Lesestoff umso anziehender ist, ein je geringeres Maß geistiger Begabung und geistiger Anstrengung zur Herstellung desselben erforderlich war. Tagesereignisse, nicht vorwiegend etwa weltcrschütternde oder politisch bedeutsame, sondern solche, die nur in einem kleinen Umkreise von Wichtigkeit sind und Beachtung finden, ferner „sensationelle" Nachrichten, schauderhafte Mordthaten oder Unglücksfälle, alle jene Neuigkeiten, die in der Rubrik enthalten sind, welche unter dem Titel „Buntes Allerlei" oder einem ähnlichen in keiner Zeitung fehlen darf, ferner der Inhalt des Feuilletons, eine Erzählung, an deren künstlerischen Wert der Leser nicht allzu hohe An¬ forderungen zu stellen pflegt, auch die Anzeigen — das ist es, was durchmustert wird; dann ist der Zeitungsleser oder die Zeitungsleserin fertig. Daneben bleibt dein Leitartikel, den du mit großem Fleiß ausgearbeitet hattest, unbeachtet. Das, wodurch die Ereignisse für den denkenden Menschen erst eine Bedeutuug erhalten, die Beziehung, in der sie zu dem Ganzen des Geschehens stehen, ist für Leser solchen Schlages nicht vorhanden, es reizt sie nicht, andrer Urteil hierüber zu prüfen und sich ein eignes zu bilden; die Thätigkeit des menschlichen Geistes, welche dieser Aufgabe sich widmet, hat für sie keinen Wert. Besser darum, wenn die Zeitung solchen Erörterungen möglichst wenig Raum gestattet, noch besser, wenn sie solche Aufsätze überhaupt gar nicht ent¬ hält. Mir ist eine Provinzialzeitung, die wohl richtiger ein erweitertes Lokal¬ blatt zu nennen wäre, bekannt, welche trotz der geringen Bedeutung ihres Inhalts, oder vielleicht gerade dadurch, im Laufe der Jahre sich einen ver¬ hältnismäßig weiten Leserkreis erworben und ihrem Besitzer Wohlstand verschafft hat. Diese Zeitung berichtet zwar über die politischen Ereignisse, diese werden auch darin besprochen, sie bringt aber möglichst wenige Originalaufsütze und nimmt überhaupt keine ausgesprochene politische Haltung ein; im übrigen liefert sie Lokalkorrespondenzen und Anzeigen. Und dn ist nun merkwürdig, daß eigentlich jedermann mit diesem Blatte unzufrieden ist und darauf schilt, weil jedermann findet, daß es doch gar zu dürftig, sein Inhalt zu nichtssagend sei, aber — jeder¬ mann hält und liest es, was selbstverständlich für das Bestehen eines Blattes das Haupterfordernis ist. Das Publikum hat dieses Blatt großgezogen und darf sich also nicht beklagen, daß es seinem Geschmack nicht entspricht; von dem Herausgeber aber ist nicht zu erwarten, daß er die Tendenz des Blattes ändere, weil das einfach — nicht nötig ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/239>, abgerufen am 30.05.2024.