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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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schwunden. Der Patriotismus der Bürger von Se. Johann ging zuweilen so
weit, daß sie französische Soldaten, die dem Verbote zuwider in Se. Johann
ihr Bier tranken, den preußischen Patrouillen in die Hände lieferten, sodaß der
Bürgermeister von Se. Johann die Einwohner vor den militärischen Folgen
solcher Einmischung warnen mußte.

Wir hatten gleich nach dem Überfall vom 2. erwartet, daß man die Stadt
mit Soldaten belegen würde. Aber es geschah nicht. Man blieb auf den
Höhen und in den Gartenhäusern am Triller. Dorthin schleppte man aus den
nächsten Häusern einige Möbel für die Offiziere, damit sie nicht alle Bequem¬
lichkeiten vermißten. Frossard selbst blieb in seinem Grenzwirtshaus an der
goldnen Brenne und dem Hause des Herrn Kind, eines Deutsch-Franzosen,
das daran stieß. Wenn nun auch die Stadt keine Einquartierung bekam, so
war es doch stets auf den Straßen voll von französischen Soldaten. Sie be¬
trugen sich in ihrer Weise liebenswürdig, besonders gegen die Kinder, denen sie
Bonbons schenkten, und gegen die Dienstmädchen am Brunnen; das hinderte
sie freilich nicht, diesen die gekaufte Milch auszutrinken und ihnen das für die
Herrschaft bestimmte Brot zu entreißen. Unter den ersten, die nach dem Über¬
fall von den Höhen in die Stadt herunterstiegen, war ein Offizier, der einen
hungrigen Trupp von etwa vierzig Soldaten führte. Der Offizier ging zuerst
zu einem in Saarbrücken wohnenden französischen Bekannten, und einige Angen-
blicke darauf stellte er seine Mannschaften an die vier Fenster des Gasthauses
zur Post und ging selbst hinein in das Haus zum Wirt. Mit vorgehaltenem
Revolver fragte er den Wirt, der des Französischen ganz mächtig war, wie viel
Preußen am 2. den Franzosen gegenüber gestanden hätten; die Antwort, etwa
750, fand er lächerlich, der Wirt wiederholte die Zahl und fügte hinzu, die
Verstärkung, die sie hätten haben sollen, sei noch nicht zur Stelle gewesen, be¬
finde sich aber in den Wäldern bei Se. Johann; darauf fragte der Offizier
weiter, welche Straßen in der Stadt unterminirt seien. Die Antwort, daß die
Preußen dieses Verfahren nicht kennten, erregte wieder das Lächeln des Siegers.
Dann kam er zur Hauptsache. Er befahl dem Wirt, für sich und die Mann¬
schaften draußen am offenen Fenster Rotwein zu bringen. Dies geschah; als
der Wein dem Offizier vorgesetzt wurde, ließ der Offizier den Wirt zuerst
trinken. Den Leuten mußte nun auch Brot gereicht werden. Damit war ihnen
offenbar am meisten gedient, sie zerrissen die Brote sofort in handliche Stücke
und griffen tapfer zu. Sie hatten von ihrer Verwaltung zwar Geld genug
bekommen, aber die Verpflegung war sehr mangelhaft. Selbst die Schuhe der
französischen Soldaten sahen aus, als hätten sie schon eine ganze Kampagne
durchgemacht. Aber auch ihr Geld stand, wie sich zeigte, nicht im Verhältnis
zu ihren Bedürfnissen. Nur anfangs zahlten sie für das Fleisch. Brot und den
Tabak, den sie in den Luder fanden. Nachher zogen sie vor, diese Dinge zu
entnehmen, ohne zu zahlen. Das Geld könnten sie immer noch auf ihrem


schwunden. Der Patriotismus der Bürger von Se. Johann ging zuweilen so
weit, daß sie französische Soldaten, die dem Verbote zuwider in Se. Johann
ihr Bier tranken, den preußischen Patrouillen in die Hände lieferten, sodaß der
Bürgermeister von Se. Johann die Einwohner vor den militärischen Folgen
solcher Einmischung warnen mußte.

Wir hatten gleich nach dem Überfall vom 2. erwartet, daß man die Stadt
mit Soldaten belegen würde. Aber es geschah nicht. Man blieb auf den
Höhen und in den Gartenhäusern am Triller. Dorthin schleppte man aus den
nächsten Häusern einige Möbel für die Offiziere, damit sie nicht alle Bequem¬
lichkeiten vermißten. Frossard selbst blieb in seinem Grenzwirtshaus an der
goldnen Brenne und dem Hause des Herrn Kind, eines Deutsch-Franzosen,
das daran stieß. Wenn nun auch die Stadt keine Einquartierung bekam, so
war es doch stets auf den Straßen voll von französischen Soldaten. Sie be¬
trugen sich in ihrer Weise liebenswürdig, besonders gegen die Kinder, denen sie
Bonbons schenkten, und gegen die Dienstmädchen am Brunnen; das hinderte
sie freilich nicht, diesen die gekaufte Milch auszutrinken und ihnen das für die
Herrschaft bestimmte Brot zu entreißen. Unter den ersten, die nach dem Über¬
fall von den Höhen in die Stadt herunterstiegen, war ein Offizier, der einen
hungrigen Trupp von etwa vierzig Soldaten führte. Der Offizier ging zuerst
zu einem in Saarbrücken wohnenden französischen Bekannten, und einige Angen-
blicke darauf stellte er seine Mannschaften an die vier Fenster des Gasthauses
zur Post und ging selbst hinein in das Haus zum Wirt. Mit vorgehaltenem
Revolver fragte er den Wirt, der des Französischen ganz mächtig war, wie viel
Preußen am 2. den Franzosen gegenüber gestanden hätten; die Antwort, etwa
750, fand er lächerlich, der Wirt wiederholte die Zahl und fügte hinzu, die
Verstärkung, die sie hätten haben sollen, sei noch nicht zur Stelle gewesen, be¬
finde sich aber in den Wäldern bei Se. Johann; darauf fragte der Offizier
weiter, welche Straßen in der Stadt unterminirt seien. Die Antwort, daß die
Preußen dieses Verfahren nicht kennten, erregte wieder das Lächeln des Siegers.
Dann kam er zur Hauptsache. Er befahl dem Wirt, für sich und die Mann¬
schaften draußen am offenen Fenster Rotwein zu bringen. Dies geschah; als
der Wein dem Offizier vorgesetzt wurde, ließ der Offizier den Wirt zuerst
trinken. Den Leuten mußte nun auch Brot gereicht werden. Damit war ihnen
offenbar am meisten gedient, sie zerrissen die Brote sofort in handliche Stücke
und griffen tapfer zu. Sie hatten von ihrer Verwaltung zwar Geld genug
bekommen, aber die Verpflegung war sehr mangelhaft. Selbst die Schuhe der
französischen Soldaten sahen aus, als hätten sie schon eine ganze Kampagne
durchgemacht. Aber auch ihr Geld stand, wie sich zeigte, nicht im Verhältnis
zu ihren Bedürfnissen. Nur anfangs zahlten sie für das Fleisch. Brot und den
Tabak, den sie in den Luder fanden. Nachher zogen sie vor, diese Dinge zu
entnehmen, ohne zu zahlen. Das Geld könnten sie immer noch auf ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/253>, abgerufen am 31.05.2024.