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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einem Kriegstagebuchs.

weiteren Zuge durch Deutschland gebrauchen. Denn obgleich die Offiziere
wußten, daß man nicht die Saar überschreiten dürfe, meinten die Soldaten,
man breche demnächst nach Frankfurt auf.

Fortsetzung.

Soeben hörte ich, daß ein Offizier, ein Oberst, von seinem Gartenhäuschen
aus einen Brief an den Bürgermeister Schmidtborn geschrieben hat. Er bittet,
der Bürgermeister möge ihn zu einem Dejeuner mit seiner Anwesenheit beehren,
möge aber das Frühstück womöglich mitbringen. Der Bürgermeister schickt ihm
denn auch ein recht ansehnliches, indes erlauben ihm, wie er schreibt, seine
Pflichten nicht, selbst oben zu erscheinen.

Die preußische Seite der Saargegend wird immer belebter von Soldaten.
Viele Züge der Eisenbahn kommen des Nachts nach Se. Johann. Von Zeit
zu Zeit wird des Nachts von den Franzosen über die Stadt hinweg nach der
Eisenbahn hin geschossen, was schauerlich genug klingt. Es waren aber mehr
Kundgebungen, Schaden geschah nicht.

Daß die Hilfe immer näher kam, war uns gewiß. Ein keckes Reiterstück
richtete unsern Mut besonders auf. Ich hörte soeben, daß ein braunschweigischer
Husar, vor Begier, einmal einen Franzosen zu sehen, allein über die alte Brücke
von Se. Johann nach Saarbrücken gesprengt sei. Die an der Brückenstraße
und am Schloßberg ausgestellten französischen Schildwachen, in der Meinung, es
folge dem einen zum mindesten eine Schwadron, schössen hastig ihr Gewehr ab
und flüchtete" hinauf und dann rechts nach der Schloßstraße. Ihre Angst
steckte die andern französischen Soldaten in derselben Straße an, sodaß fliehende
Gruppen in Menge zu sehen waren. Inzwischen hatte der Husar eine zu
scharfe Wendung nach rechts gemacht und war gestürzt, ohne sich jedoch Schaden
zu thun. Die nahestehenden Bürger halfen ihm wieder zurecht, und er kehrte
unverwundet zurück, zufrieden, einmal einige Franzosen gesehen zu haben.*)
So etwas machte uns ordentlich stolz.

Gestern habe ich auch den General Frossard gesehen, er machte mit ziem¬
lich großem Gefolge einen Ritt durch die Stadt, eine äußerst bunte Gesellschaft.
Der General ritt ein sehr schönes Pferd, die andern stachen sehr dagegen ab.
Die Offiziere sahen heiter aus. Meine Kinder standen an der Thür voll Neu-
gier, und der General warf ihnen Kußhciudchen zu. Der Zug erinnerte mich
in der Buntheit und der Art des Reitens an die Art, wie die Banden der
populären Kunstreiter vor ihren Produktionen durch die Stadt reiten, um Aus¬
sehen zu erregen. Frossard ritt auch zum Bürgermeister und erkundigte sich,
ob die Franzosen auch ihre Bedürfnisse bezahlten, sie hätten strenge Befehle in
dieser Beziehung. Die Antwort des Bürgermeisters veranlaßte den General,



*) Der tollkühne Husar ist nicht viel weiter als bis Port-K-Moussou gekommen und
hat sein Leben lassen müssen.
Aus einem Kriegstagebuchs.

weiteren Zuge durch Deutschland gebrauchen. Denn obgleich die Offiziere
wußten, daß man nicht die Saar überschreiten dürfe, meinten die Soldaten,
man breche demnächst nach Frankfurt auf.

Fortsetzung.

Soeben hörte ich, daß ein Offizier, ein Oberst, von seinem Gartenhäuschen
aus einen Brief an den Bürgermeister Schmidtborn geschrieben hat. Er bittet,
der Bürgermeister möge ihn zu einem Dejeuner mit seiner Anwesenheit beehren,
möge aber das Frühstück womöglich mitbringen. Der Bürgermeister schickt ihm
denn auch ein recht ansehnliches, indes erlauben ihm, wie er schreibt, seine
Pflichten nicht, selbst oben zu erscheinen.

Die preußische Seite der Saargegend wird immer belebter von Soldaten.
Viele Züge der Eisenbahn kommen des Nachts nach Se. Johann. Von Zeit
zu Zeit wird des Nachts von den Franzosen über die Stadt hinweg nach der
Eisenbahn hin geschossen, was schauerlich genug klingt. Es waren aber mehr
Kundgebungen, Schaden geschah nicht.

Daß die Hilfe immer näher kam, war uns gewiß. Ein keckes Reiterstück
richtete unsern Mut besonders auf. Ich hörte soeben, daß ein braunschweigischer
Husar, vor Begier, einmal einen Franzosen zu sehen, allein über die alte Brücke
von Se. Johann nach Saarbrücken gesprengt sei. Die an der Brückenstraße
und am Schloßberg ausgestellten französischen Schildwachen, in der Meinung, es
folge dem einen zum mindesten eine Schwadron, schössen hastig ihr Gewehr ab
und flüchtete» hinauf und dann rechts nach der Schloßstraße. Ihre Angst
steckte die andern französischen Soldaten in derselben Straße an, sodaß fliehende
Gruppen in Menge zu sehen waren. Inzwischen hatte der Husar eine zu
scharfe Wendung nach rechts gemacht und war gestürzt, ohne sich jedoch Schaden
zu thun. Die nahestehenden Bürger halfen ihm wieder zurecht, und er kehrte
unverwundet zurück, zufrieden, einmal einige Franzosen gesehen zu haben.*)
So etwas machte uns ordentlich stolz.

Gestern habe ich auch den General Frossard gesehen, er machte mit ziem¬
lich großem Gefolge einen Ritt durch die Stadt, eine äußerst bunte Gesellschaft.
Der General ritt ein sehr schönes Pferd, die andern stachen sehr dagegen ab.
Die Offiziere sahen heiter aus. Meine Kinder standen an der Thür voll Neu-
gier, und der General warf ihnen Kußhciudchen zu. Der Zug erinnerte mich
in der Buntheit und der Art des Reitens an die Art, wie die Banden der
populären Kunstreiter vor ihren Produktionen durch die Stadt reiten, um Aus¬
sehen zu erregen. Frossard ritt auch zum Bürgermeister und erkundigte sich,
ob die Franzosen auch ihre Bedürfnisse bezahlten, sie hätten strenge Befehle in
dieser Beziehung. Die Antwort des Bürgermeisters veranlaßte den General,



*) Der tollkühne Husar ist nicht viel weiter als bis Port-K-Moussou gekommen und
hat sein Leben lassen müssen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/254>, abgerufen am 14.05.2024.