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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Wucher auf dem Lande.

Sollen wir uns dieses Gefühles schämen? Ich meine nicht, denn es sind die
hilflosesten Elemente unsers Volkes, deren schamlose Ausbeutung uns so in Auf¬
regung versetzt. Es ist eben der Wucher auf dem Lande, der geschildert wird;
die Wucherer wohnen meist in der Stadt und sind gut organisirt, aber ihre
Opfer wohnen auf dem Lande, besonders da, wo wenig Industrie und fast nur
kleinbäuerliche Wirtschaft (auf eigne Rechnung) besteht. Dort herrscht das ganze
Elend der Unbildung und Unwissenheit, und zwar keineswegs überall gemildert
durch Einfachheit des Lebens, Sittlichkeit und Fleiß, vielmehr oft noch gesteigert
durch Bauernstolz, sorgloses in den Tag hinein leben, oder gar durch Trunksucht.
Beiläufig stimmen ziemlich alle Berichterstatter darin überein, daß die Wunder-
erscheinungen, in denen sich Leichtsinn und Trunksucht den Wucherern als Ge¬
sellen erbieten, geradezu unheilbar und von den Maßregeln auszuschließen sind,
mit denen man den anderweitigen Handgriffen des Wucherers begegnen möchte.
Der letzte Wucherer verläßt das Erdenhaus erst mit dem letzten Säufer, wie
es scheint. Aber vorher hat er noch eine Anzahl andrer Opfer zu Grunde ge¬
richtet, die nicht lasterhaft, sondern nur hilflos sind, und die im ganzen Um¬
fange unsre Teilnahme verdienen.

Der Wucher auf dem Lande ist alt, wie man denken kann. Das erste
Gutachten (von Metz in Straßburg) teilt eine Schrift aus dem Jahre 1779
mit, in der ein Elsüsser die wesentlichen Züge des Wuchers, wie er ihn kannte,
so zeichnet, daß sie noch heute völlig zutreffen. Man kann seine Darstellung
geradezu typisch nennen. Auch der besondre Umstand gehört dahin, daß damals
der Wucher fast nur von Juden geübt wurde. Mit Bedauern hebt er hervor,
daß sich im Elsaß die Zahl der Juden seit 1689 auf das Dreißigfache vermehrt
habe. In allen Berichten finden wir die Andeutung, daß sich zwar auch Christen
am Wucher beteiligen, namentlich öfter als "Zutreiber" und als Rückhalt für
Kapitalbedürfnisse der kleinen jüdischen Wucherer; aber überall treten doch die
Juden in den Vordergrund, besonders im Viehwucher. Ein Bericht sagt, daß
neun Zehntel aller Wuchcrfülle auf Juden zurückgehen. Es wird das Wohl
nur für gewisse jndcurciche Gegenden der Wirklichkeit entsprechen. Die vom
Christentum geförderte Hnmanitüt hat die schon bestehenden Vereine gegen den
Wucher dazu veranlaßt, bei ihrem wohlthätigen Streben jede religiöse An¬
feindung von vornherein abzuweisen. Man hat sogar vortreffliche Männer
israelitischen Glaubens in den Vorstand solcher Vereine gezogen, eine Maßregel,
die gleichzeitig von der Gerechtigkeit wie von der Klugheit geboten zu sein
schien, aber das kann den thatsächlichen Befund nicht umstoßen, daß die jüdische
Nasse sich seit Jahrhunderten vorzugsweise am Wucher beteiligt. Wer sich
bemüht, den Ursachen dieser Thatsache nachzugehen, wird zugleich vieles finden,
was die Juden entschuldigt, die Christen anklagt, aber das Gebiet dieser Polemik
ist nebensächlich und unfruchtbar, so lange die Gesetzgebung über die Verhältnisse
er bürgerlichen Rechte zu den verschiedenen Bekenntnissen nicht völlig geändert wird.


Der Wucher auf dem Lande.

Sollen wir uns dieses Gefühles schämen? Ich meine nicht, denn es sind die
hilflosesten Elemente unsers Volkes, deren schamlose Ausbeutung uns so in Auf¬
regung versetzt. Es ist eben der Wucher auf dem Lande, der geschildert wird;
die Wucherer wohnen meist in der Stadt und sind gut organisirt, aber ihre
Opfer wohnen auf dem Lande, besonders da, wo wenig Industrie und fast nur
kleinbäuerliche Wirtschaft (auf eigne Rechnung) besteht. Dort herrscht das ganze
Elend der Unbildung und Unwissenheit, und zwar keineswegs überall gemildert
durch Einfachheit des Lebens, Sittlichkeit und Fleiß, vielmehr oft noch gesteigert
durch Bauernstolz, sorgloses in den Tag hinein leben, oder gar durch Trunksucht.
Beiläufig stimmen ziemlich alle Berichterstatter darin überein, daß die Wunder-
erscheinungen, in denen sich Leichtsinn und Trunksucht den Wucherern als Ge¬
sellen erbieten, geradezu unheilbar und von den Maßregeln auszuschließen sind,
mit denen man den anderweitigen Handgriffen des Wucherers begegnen möchte.
Der letzte Wucherer verläßt das Erdenhaus erst mit dem letzten Säufer, wie
es scheint. Aber vorher hat er noch eine Anzahl andrer Opfer zu Grunde ge¬
richtet, die nicht lasterhaft, sondern nur hilflos sind, und die im ganzen Um¬
fange unsre Teilnahme verdienen.

Der Wucher auf dem Lande ist alt, wie man denken kann. Das erste
Gutachten (von Metz in Straßburg) teilt eine Schrift aus dem Jahre 1779
mit, in der ein Elsüsser die wesentlichen Züge des Wuchers, wie er ihn kannte,
so zeichnet, daß sie noch heute völlig zutreffen. Man kann seine Darstellung
geradezu typisch nennen. Auch der besondre Umstand gehört dahin, daß damals
der Wucher fast nur von Juden geübt wurde. Mit Bedauern hebt er hervor,
daß sich im Elsaß die Zahl der Juden seit 1689 auf das Dreißigfache vermehrt
habe. In allen Berichten finden wir die Andeutung, daß sich zwar auch Christen
am Wucher beteiligen, namentlich öfter als „Zutreiber" und als Rückhalt für
Kapitalbedürfnisse der kleinen jüdischen Wucherer; aber überall treten doch die
Juden in den Vordergrund, besonders im Viehwucher. Ein Bericht sagt, daß
neun Zehntel aller Wuchcrfülle auf Juden zurückgehen. Es wird das Wohl
nur für gewisse jndcurciche Gegenden der Wirklichkeit entsprechen. Die vom
Christentum geförderte Hnmanitüt hat die schon bestehenden Vereine gegen den
Wucher dazu veranlaßt, bei ihrem wohlthätigen Streben jede religiöse An¬
feindung von vornherein abzuweisen. Man hat sogar vortreffliche Männer
israelitischen Glaubens in den Vorstand solcher Vereine gezogen, eine Maßregel,
die gleichzeitig von der Gerechtigkeit wie von der Klugheit geboten zu sein
schien, aber das kann den thatsächlichen Befund nicht umstoßen, daß die jüdische
Nasse sich seit Jahrhunderten vorzugsweise am Wucher beteiligt. Wer sich
bemüht, den Ursachen dieser Thatsache nachzugehen, wird zugleich vieles finden,
was die Juden entschuldigt, die Christen anklagt, aber das Gebiet dieser Polemik
ist nebensächlich und unfruchtbar, so lange die Gesetzgebung über die Verhältnisse
er bürgerlichen Rechte zu den verschiedenen Bekenntnissen nicht völlig geändert wird.


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[0259] Der Wucher auf dem Lande. Sollen wir uns dieses Gefühles schämen? Ich meine nicht, denn es sind die hilflosesten Elemente unsers Volkes, deren schamlose Ausbeutung uns so in Auf¬ regung versetzt. Es ist eben der Wucher auf dem Lande, der geschildert wird; die Wucherer wohnen meist in der Stadt und sind gut organisirt, aber ihre Opfer wohnen auf dem Lande, besonders da, wo wenig Industrie und fast nur kleinbäuerliche Wirtschaft (auf eigne Rechnung) besteht. Dort herrscht das ganze Elend der Unbildung und Unwissenheit, und zwar keineswegs überall gemildert durch Einfachheit des Lebens, Sittlichkeit und Fleiß, vielmehr oft noch gesteigert durch Bauernstolz, sorgloses in den Tag hinein leben, oder gar durch Trunksucht. Beiläufig stimmen ziemlich alle Berichterstatter darin überein, daß die Wunder- erscheinungen, in denen sich Leichtsinn und Trunksucht den Wucherern als Ge¬ sellen erbieten, geradezu unheilbar und von den Maßregeln auszuschließen sind, mit denen man den anderweitigen Handgriffen des Wucherers begegnen möchte. Der letzte Wucherer verläßt das Erdenhaus erst mit dem letzten Säufer, wie es scheint. Aber vorher hat er noch eine Anzahl andrer Opfer zu Grunde ge¬ richtet, die nicht lasterhaft, sondern nur hilflos sind, und die im ganzen Um¬ fange unsre Teilnahme verdienen. Der Wucher auf dem Lande ist alt, wie man denken kann. Das erste Gutachten (von Metz in Straßburg) teilt eine Schrift aus dem Jahre 1779 mit, in der ein Elsüsser die wesentlichen Züge des Wuchers, wie er ihn kannte, so zeichnet, daß sie noch heute völlig zutreffen. Man kann seine Darstellung geradezu typisch nennen. Auch der besondre Umstand gehört dahin, daß damals der Wucher fast nur von Juden geübt wurde. Mit Bedauern hebt er hervor, daß sich im Elsaß die Zahl der Juden seit 1689 auf das Dreißigfache vermehrt habe. In allen Berichten finden wir die Andeutung, daß sich zwar auch Christen am Wucher beteiligen, namentlich öfter als „Zutreiber" und als Rückhalt für Kapitalbedürfnisse der kleinen jüdischen Wucherer; aber überall treten doch die Juden in den Vordergrund, besonders im Viehwucher. Ein Bericht sagt, daß neun Zehntel aller Wuchcrfülle auf Juden zurückgehen. Es wird das Wohl nur für gewisse jndcurciche Gegenden der Wirklichkeit entsprechen. Die vom Christentum geförderte Hnmanitüt hat die schon bestehenden Vereine gegen den Wucher dazu veranlaßt, bei ihrem wohlthätigen Streben jede religiöse An¬ feindung von vornherein abzuweisen. Man hat sogar vortreffliche Männer israelitischen Glaubens in den Vorstand solcher Vereine gezogen, eine Maßregel, die gleichzeitig von der Gerechtigkeit wie von der Klugheit geboten zu sein schien, aber das kann den thatsächlichen Befund nicht umstoßen, daß die jüdische Nasse sich seit Jahrhunderten vorzugsweise am Wucher beteiligt. Wer sich bemüht, den Ursachen dieser Thatsache nachzugehen, wird zugleich vieles finden, was die Juden entschuldigt, die Christen anklagt, aber das Gebiet dieser Polemik ist nebensächlich und unfruchtbar, so lange die Gesetzgebung über die Verhältnisse er bürgerlichen Rechte zu den verschiedenen Bekenntnissen nicht völlig geändert wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/259>, abgerufen am 31.05.2024.