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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Äußeres verschließt mit rauher Eichenrinde einen zarten Blütengeist. Sie hat
mehr auf meine Bildung eingegriffen, als alle übrigen Weiber zusammen."
Als Jacobi sich mit der seltsamen Frau nicht befreunden konnte, schrieb er ihm
im Dezember desselben Jahres: "Du alter Weltmann und Weltweiser, du warst
imstande, in der rohen, krustigen, erdscholligen Außenseite snümlich der mora¬
lischen, nicht der bloßen körperlichen^ doch die schöne, auch von Herder und
Goethe so geachtete Oreade zu verkennen, die im Berge wohnt, genannt Frau
von Kalb?" Ntthreud ist es, wie er am 7. April 1820 sich für sie bei dem
Oberjustizrat Hornthal in Würzburg verwendet: "Ew. :c. verzeihen mir, daß
ich eine vieljährige, geistvolle und leidende Freundin an Ihren Richterstuhl
geleite. Ihr ganzes Leben war ein quälendes Durchdrängen durch den ver¬
wachsenen Wald eines Prozesses. Noch ist sie im Dickicht der Justiz, und wenn
es sich endlich lichten sollte, wird sie Gerechtigkeit und -- Grab zugleich vor
sich haben. Aber sie arbeitet für ihre Kinder, nicht für ihren kurzen Wintertag
des Lebens." Zuweilen freilich verlor mich er die Geduld, wenn die arme
Bedrängte ihn mit abenteuerlichen Plänen bestürmte, an deren Verwirklichung
er mithelfen sollte. So schreibt er im September 1809 an einen Freund:
"Die tolle Bittschrift an die Berliner würde ich nicht schreiben, welche ohnehin,
da ich nicht da wohne, zu viel Anmaßung meines Namens voraussetzte. Aber
vollends an Deutschland? Was geht sie Deutschland an? Müßt' ich mich nicht
schämen, es zu bekennen, daß ich für eine Person, welche als Adliche noch immer
Hilfsquellen haben muß, welche selber ökonomisch oft mit Phantasterei und
Leichtsinn handelte und deren Leiden doch z. B. gegen die Leiden eines Haus¬
vaters mit Familie ein kleines ist, ganz Deutschland aufgerufen?"

Über Charlottens Ausgang ist nur wenig zu sagen. Im Juli 1804 ver¬
ließ sie Waltershnusen und siedelte mit den Kindern nach Berlin über. Der
Prozeß wegen der Ostheimschen Lebensgüter dauerte fort, ohne daß ein Ende
abzusehen war, alle ihre Besitzungen waren tief verschuldet. Doch hatte sie im
Jahre 1806 noch 1200 Reichsthaler jährliche Einkünfte. Ihr Mann folgte
ihr nicht nach, er blieb in Franken zurück, da er immer noch auf eine Anstellung
im baierischen Militärdienste hoffte. Charlotte war ganz auf sich angewiesen.
Schon seit dem Jahre 1800 trug sie sich mit dem Gedanken, ein Erziehungs-
institut für die Töchter aus vornehmen Familien zu gründen. Sie legte Schiller
ihren Plan vor, aber dieser riet ihr entschieden ab. "Sie sind -- schrieb er ihr --
wenn ich es kurz sagen soll, viel zu individuell gebildet, und diese Beschäftigung
verlangt gerade das Gegenteil, eine ganz allgemeine generische Form." Auch
Jean Paul, dem sie noch 1806 ihre pädagogischen Ansichten entwickelte, zeigte
sich sehr ungläubig. "Geben Sie sich keine lange Mühe mit dem Abraten des
Erziehers -- schrieb er bereits im August 1800 an Herders Gattin --, die
Zöglinge werden fehlen." In Berlin trat sie Fichte näher, den sie schon in
Jena kennen gelernt hatte. So wenig sie mit seiner Kritik der geoffenbarten


Dichterfreundinnen.

Äußeres verschließt mit rauher Eichenrinde einen zarten Blütengeist. Sie hat
mehr auf meine Bildung eingegriffen, als alle übrigen Weiber zusammen."
Als Jacobi sich mit der seltsamen Frau nicht befreunden konnte, schrieb er ihm
im Dezember desselben Jahres: „Du alter Weltmann und Weltweiser, du warst
imstande, in der rohen, krustigen, erdscholligen Außenseite snümlich der mora¬
lischen, nicht der bloßen körperlichen^ doch die schöne, auch von Herder und
Goethe so geachtete Oreade zu verkennen, die im Berge wohnt, genannt Frau
von Kalb?" Ntthreud ist es, wie er am 7. April 1820 sich für sie bei dem
Oberjustizrat Hornthal in Würzburg verwendet: „Ew. :c. verzeihen mir, daß
ich eine vieljährige, geistvolle und leidende Freundin an Ihren Richterstuhl
geleite. Ihr ganzes Leben war ein quälendes Durchdrängen durch den ver¬
wachsenen Wald eines Prozesses. Noch ist sie im Dickicht der Justiz, und wenn
es sich endlich lichten sollte, wird sie Gerechtigkeit und — Grab zugleich vor
sich haben. Aber sie arbeitet für ihre Kinder, nicht für ihren kurzen Wintertag
des Lebens." Zuweilen freilich verlor mich er die Geduld, wenn die arme
Bedrängte ihn mit abenteuerlichen Plänen bestürmte, an deren Verwirklichung
er mithelfen sollte. So schreibt er im September 1809 an einen Freund:
„Die tolle Bittschrift an die Berliner würde ich nicht schreiben, welche ohnehin,
da ich nicht da wohne, zu viel Anmaßung meines Namens voraussetzte. Aber
vollends an Deutschland? Was geht sie Deutschland an? Müßt' ich mich nicht
schämen, es zu bekennen, daß ich für eine Person, welche als Adliche noch immer
Hilfsquellen haben muß, welche selber ökonomisch oft mit Phantasterei und
Leichtsinn handelte und deren Leiden doch z. B. gegen die Leiden eines Haus¬
vaters mit Familie ein kleines ist, ganz Deutschland aufgerufen?"

Über Charlottens Ausgang ist nur wenig zu sagen. Im Juli 1804 ver¬
ließ sie Waltershnusen und siedelte mit den Kindern nach Berlin über. Der
Prozeß wegen der Ostheimschen Lebensgüter dauerte fort, ohne daß ein Ende
abzusehen war, alle ihre Besitzungen waren tief verschuldet. Doch hatte sie im
Jahre 1806 noch 1200 Reichsthaler jährliche Einkünfte. Ihr Mann folgte
ihr nicht nach, er blieb in Franken zurück, da er immer noch auf eine Anstellung
im baierischen Militärdienste hoffte. Charlotte war ganz auf sich angewiesen.
Schon seit dem Jahre 1800 trug sie sich mit dem Gedanken, ein Erziehungs-
institut für die Töchter aus vornehmen Familien zu gründen. Sie legte Schiller
ihren Plan vor, aber dieser riet ihr entschieden ab. „Sie sind — schrieb er ihr —
wenn ich es kurz sagen soll, viel zu individuell gebildet, und diese Beschäftigung
verlangt gerade das Gegenteil, eine ganz allgemeine generische Form." Auch
Jean Paul, dem sie noch 1806 ihre pädagogischen Ansichten entwickelte, zeigte
sich sehr ungläubig. „Geben Sie sich keine lange Mühe mit dem Abraten des
Erziehers — schrieb er bereits im August 1800 an Herders Gattin —, die
Zöglinge werden fehlen." In Berlin trat sie Fichte näher, den sie schon in
Jena kennen gelernt hatte. So wenig sie mit seiner Kritik der geoffenbarten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/292>, abgerufen am 10.06.2024.