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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert.

Reichsapfel, inwendig hohl und merkwürdigerweise mit Pech ausgegossen, wofür
man eine sehr tiefsinnige, symbolische Deutung erfunden hatte; ein Monogramm
darauf deutet wahrscheinlich ebenfalls auf Konrad III. Das Rcichsszepter war
aus Silber, nur leicht vergoldet. Das angebliche Schwert Karls des Großen
zeigt auf der einen Seite des Knopfes einen einköpfigen Adler, auf der andern
den doppelschwänzigen Wappenlöwen Böhmens; die Klinge trägt die be¬
kannte Jnschrieft: Leu-i"of vineit,, Lnrisws rgM^t, (M'istus iirixerat. Diese
Stücke, ebenso wie die zahlreichen andern Reichskleinodien, werden jetzt in
Wien aufbewahrt. Die Stücke des kaiserlichen Krönungsornates waren gleich¬
falls halb imponirend, halb lächerlich in ihrem fadenscheinigen Prunke. Die
Alba, die Tunika, die Dalmatika, die Stola, der Gürtel, der Mantel, das
Pluviale, Handschuhe, Strümpfe, Sandalen u. s. w. Halb großartig, halb
grotesk waren auch die Krönungszeremonien, die ans der meisterhaften Schilde¬
rung der Krönung Josefs II. in Goethes Wahrheit und Dichtung allgemein
bekannt sind.

Betrachten wir nun als Gegensatz zu diesen Ansprüchen und Titeln, zu
diesem Prunke und diesen Feierlichkeiten die Macht und die Rechte, welche dem
Kaiser wirklich noch verblieben waren. Es waren folgende: 1. Das Recht,
Reichsgesetze zu veröffentlichen; 2. das Recht, hinsichtlich der Reichslehen die
Lehensherrlichkeit auszuüben; 3. das Recht, gewisse Reichsümter zu besetzen;
4. das Recht, das Reich auswärtigen Mächten gegenüber zu vertreten; 5. die
Schirmvogtei über die Kirche; 6. das Recht der ersten Bitte, d. h. das Recht
des Kaisers, in den reichsunmittelbaren Stiftern einmal während seiner Re¬
gierungszeit ein Kanonirat zu vergeben; 7. das Recht, Panisbricfe zu ver¬
teilen, d. h. das Recht, einem Stifte oder Kloster im Reiche die Verpflichtung
aufzuerlegen, bestimmte Personen, meist Militärinvaliden, aus Lebenszeit zu ver¬
pflegen; 8. das Recht, gewisse Justizprivilegien zu verteilen.

Dazu kamen dann noch die sogenannten kaiserlichen Reservatrechte, d. h.
solche, welche er nur in einzelnen Reichslanden, meistens auch nur unter Mit¬
wirkung der Landesherren, ausüben durfte. Zu diesen Reservatrechtcn gehörten
z. B. die Ernennung von Notarien, die Anlegung von Zöllen, die Erteilung
des Mttnzrechtes, die Errichtung von Universitäten, die Verleihung des Rechtes,
Doktoren zu ernennen, das Recht der Standeserhöhung, die Verleihung des Adels,
und andre Sachen von ähnlicher Wichtigkeit.

Diesen Rechten entsprach dann auch das kaiserliche Einkommen, worüber
noch bei den Rcichssinanzen gesprochen werden soll.

Neben und nach dem Kaiser standen dann als höchste Träger der Reichs¬
gewalt die Erzbeamtcn des Reiches. Auch in Bezug auf diese macht man dieselbe
Beobachtung wie bei allen Einrichtungen des alten Reiches: Titel, Prunk, hohle
Form, aber nicht viel dahinter. Denn diese höchsten Beamten traten fast nur
bei der Wahl und Krönung eines Kaisers in Thätigkeit. Die Erzürnter, Modi-


Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert.

Reichsapfel, inwendig hohl und merkwürdigerweise mit Pech ausgegossen, wofür
man eine sehr tiefsinnige, symbolische Deutung erfunden hatte; ein Monogramm
darauf deutet wahrscheinlich ebenfalls auf Konrad III. Das Rcichsszepter war
aus Silber, nur leicht vergoldet. Das angebliche Schwert Karls des Großen
zeigt auf der einen Seite des Knopfes einen einköpfigen Adler, auf der andern
den doppelschwänzigen Wappenlöwen Böhmens; die Klinge trägt die be¬
kannte Jnschrieft: Leu-i«of vineit,, Lnrisws rgM^t, (M'istus iirixerat. Diese
Stücke, ebenso wie die zahlreichen andern Reichskleinodien, werden jetzt in
Wien aufbewahrt. Die Stücke des kaiserlichen Krönungsornates waren gleich¬
falls halb imponirend, halb lächerlich in ihrem fadenscheinigen Prunke. Die
Alba, die Tunika, die Dalmatika, die Stola, der Gürtel, der Mantel, das
Pluviale, Handschuhe, Strümpfe, Sandalen u. s. w. Halb großartig, halb
grotesk waren auch die Krönungszeremonien, die ans der meisterhaften Schilde¬
rung der Krönung Josefs II. in Goethes Wahrheit und Dichtung allgemein
bekannt sind.

Betrachten wir nun als Gegensatz zu diesen Ansprüchen und Titeln, zu
diesem Prunke und diesen Feierlichkeiten die Macht und die Rechte, welche dem
Kaiser wirklich noch verblieben waren. Es waren folgende: 1. Das Recht,
Reichsgesetze zu veröffentlichen; 2. das Recht, hinsichtlich der Reichslehen die
Lehensherrlichkeit auszuüben; 3. das Recht, gewisse Reichsümter zu besetzen;
4. das Recht, das Reich auswärtigen Mächten gegenüber zu vertreten; 5. die
Schirmvogtei über die Kirche; 6. das Recht der ersten Bitte, d. h. das Recht
des Kaisers, in den reichsunmittelbaren Stiftern einmal während seiner Re¬
gierungszeit ein Kanonirat zu vergeben; 7. das Recht, Panisbricfe zu ver¬
teilen, d. h. das Recht, einem Stifte oder Kloster im Reiche die Verpflichtung
aufzuerlegen, bestimmte Personen, meist Militärinvaliden, aus Lebenszeit zu ver¬
pflegen; 8. das Recht, gewisse Justizprivilegien zu verteilen.

Dazu kamen dann noch die sogenannten kaiserlichen Reservatrechte, d. h.
solche, welche er nur in einzelnen Reichslanden, meistens auch nur unter Mit¬
wirkung der Landesherren, ausüben durfte. Zu diesen Reservatrechtcn gehörten
z. B. die Ernennung von Notarien, die Anlegung von Zöllen, die Erteilung
des Mttnzrechtes, die Errichtung von Universitäten, die Verleihung des Rechtes,
Doktoren zu ernennen, das Recht der Standeserhöhung, die Verleihung des Adels,
und andre Sachen von ähnlicher Wichtigkeit.

Diesen Rechten entsprach dann auch das kaiserliche Einkommen, worüber
noch bei den Rcichssinanzen gesprochen werden soll.

Neben und nach dem Kaiser standen dann als höchste Träger der Reichs¬
gewalt die Erzbeamtcn des Reiches. Auch in Bezug auf diese macht man dieselbe
Beobachtung wie bei allen Einrichtungen des alten Reiches: Titel, Prunk, hohle
Form, aber nicht viel dahinter. Denn diese höchsten Beamten traten fast nur
bei der Wahl und Krönung eines Kaisers in Thätigkeit. Die Erzürnter, Modi-


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[0319] Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert. Reichsapfel, inwendig hohl und merkwürdigerweise mit Pech ausgegossen, wofür man eine sehr tiefsinnige, symbolische Deutung erfunden hatte; ein Monogramm darauf deutet wahrscheinlich ebenfalls auf Konrad III. Das Rcichsszepter war aus Silber, nur leicht vergoldet. Das angebliche Schwert Karls des Großen zeigt auf der einen Seite des Knopfes einen einköpfigen Adler, auf der andern den doppelschwänzigen Wappenlöwen Böhmens; die Klinge trägt die be¬ kannte Jnschrieft: Leu-i«of vineit,, Lnrisws rgM^t, (M'istus iirixerat. Diese Stücke, ebenso wie die zahlreichen andern Reichskleinodien, werden jetzt in Wien aufbewahrt. Die Stücke des kaiserlichen Krönungsornates waren gleich¬ falls halb imponirend, halb lächerlich in ihrem fadenscheinigen Prunke. Die Alba, die Tunika, die Dalmatika, die Stola, der Gürtel, der Mantel, das Pluviale, Handschuhe, Strümpfe, Sandalen u. s. w. Halb großartig, halb grotesk waren auch die Krönungszeremonien, die ans der meisterhaften Schilde¬ rung der Krönung Josefs II. in Goethes Wahrheit und Dichtung allgemein bekannt sind. Betrachten wir nun als Gegensatz zu diesen Ansprüchen und Titeln, zu diesem Prunke und diesen Feierlichkeiten die Macht und die Rechte, welche dem Kaiser wirklich noch verblieben waren. Es waren folgende: 1. Das Recht, Reichsgesetze zu veröffentlichen; 2. das Recht, hinsichtlich der Reichslehen die Lehensherrlichkeit auszuüben; 3. das Recht, gewisse Reichsümter zu besetzen; 4. das Recht, das Reich auswärtigen Mächten gegenüber zu vertreten; 5. die Schirmvogtei über die Kirche; 6. das Recht der ersten Bitte, d. h. das Recht des Kaisers, in den reichsunmittelbaren Stiftern einmal während seiner Re¬ gierungszeit ein Kanonirat zu vergeben; 7. das Recht, Panisbricfe zu ver¬ teilen, d. h. das Recht, einem Stifte oder Kloster im Reiche die Verpflichtung aufzuerlegen, bestimmte Personen, meist Militärinvaliden, aus Lebenszeit zu ver¬ pflegen; 8. das Recht, gewisse Justizprivilegien zu verteilen. Dazu kamen dann noch die sogenannten kaiserlichen Reservatrechte, d. h. solche, welche er nur in einzelnen Reichslanden, meistens auch nur unter Mit¬ wirkung der Landesherren, ausüben durfte. Zu diesen Reservatrechtcn gehörten z. B. die Ernennung von Notarien, die Anlegung von Zöllen, die Erteilung des Mttnzrechtes, die Errichtung von Universitäten, die Verleihung des Rechtes, Doktoren zu ernennen, das Recht der Standeserhöhung, die Verleihung des Adels, und andre Sachen von ähnlicher Wichtigkeit. Diesen Rechten entsprach dann auch das kaiserliche Einkommen, worüber noch bei den Rcichssinanzen gesprochen werden soll. Neben und nach dem Kaiser standen dann als höchste Träger der Reichs¬ gewalt die Erzbeamtcn des Reiches. Auch in Bezug auf diese macht man dieselbe Beobachtung wie bei allen Einrichtungen des alten Reiches: Titel, Prunk, hohle Form, aber nicht viel dahinter. Denn diese höchsten Beamten traten fast nur bei der Wahl und Krönung eines Kaisers in Thätigkeit. Die Erzürnter, Modi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/319>, abgerufen am 14.05.2024.